Monika Ertl auf einer Aufnahme Mitte der 1950er-Jahre. © picture-alliance / dpa

Mord im Konsulat: Als Monika Ertl "Che" Guevara rächte

Stand: 12.05.2023 05:00 Uhr

Eine Tat wie aus einem Agenten-Thriller: Im April 1971 ermordet die Deutsche Monika Ertl in Hamburg den bolivianischen Ex-Geheimdienstchef Quintanilla Pereira. Am 12. Mai 1973 wird sie selbst erschossen. Was waren die Hintergründe?

von Irene Altenmüller

Es ist der 1. April 1971, morgens gegen 9.40 Uhr: Im Hamburger Stadtteil Eppendorf betritt eine blonde Frau den stattlichen Backsteinbau des bolivianischen Generalkonsulats in der Heilwigstraße 125. Die vermeintliche Australierin hat einen Termin mit dem Konsul Roberto Quintanilla Pereira, es soll um eine Visa-Angelegenheit für eine Folklore-Gruppe gehen. Doch kaum steht die Frau dem Bolivianer gegenüber, zieht sie eine Pistole aus ihrer Handtasche und feuert aus nächster Nähe auf Quintanilla. Drei Schüsse treffen ihn in der Brust, er stirbt wenig später im Krankenhaus. Die Ehefrau des Opfers, die ebenfalls anwesend ist, versucht noch, die fliehende Täterin aufzuhalten, diese verliert bei dem Handgemenge ihre blonde Perücke, ihre Brille, die Pistole und ihre Handtasche. Darin: ein Zettel mit der Parole "Victoria o Muerte" (Sieg oder Tod) sowie das Kürzel "ELN" - der Name einer bolivianischen Guerilla-Organisation.

Quintanilla: Diplomat mit dunkler Vergangenheit

Backsteinbau in der Heilwigstaße 125 in Hamburg, in dem sich früher das bolivianische Generalkosulat befand © NDR Foto: Irene Altenmüller
Das frühere bolivianische Konsulat in der Hamburger Heilwigstraße ist heute ein Wohnhaus.

Die spektakuläre Tat beschäftigt die Zeitungen, das "Hamburger Abendblatt" berichtet, seit dem Anschlag lebe die Familie des Ermordeten in Angst, die Fahndung nach der unbekannten Täterin laufe, sämtliche See- und Flughäfen, Bahnhöfe und Grenzübergangsstellen würden kontrolliert. Nur zwei Tage nach der Tat gerät auch das Opfer ins Zwielicht: Quintanilla sei womöglich in Bolivien in sechs Gewaltverbrechen und eine Schmuggel-Affäre verwickelt gewesen, seine Abberufung aus Hamburg habe bevorgestanden.

Monika Ertl: Mutmaßliche Täterin wird in Bolivien erschossen

Der Mord wird nie vollständig aufgeklärt, es gilt aber als sicher, dass es sich bei der Täterin um die Bolivien-Deutsche Monika Ertl handelte. Die Behörden des südamerikanischen Landes setzen ein Kopfgeld von 20.000 Dollar auf Ertl aus, doch diese bleibt zunächst verschwunden. Knapp zwei Jahre später, am 12. Mai 1973, wird die damals 35-Jährige in El Alto, damals ein Stadtteil von Boliviens Hauptstadt La Paz, von Sicherheitskräften am helllichten Tag erschossen. Wer war diese Frau, was waren ihre Motive?

Monikas Vater Hans Ertl: Kameramann mit NS-Vergangenheit

Leni Riefenstahl mit Hans Ertl bei Filmaufnahmen in einem Schwimmstadion (undatierte Aufnahme). © picture alliance/United Archives Foto: KPA
Hans Ertl drehte mit der NS-Regisseurin Leni Riefenstahl den bekannten "Olympia"-Film.

Die Spurensuche führt tief in Boliviens Geschichte - einer Geschichte, die geprägt ist von Rassismus und sozialer Ungleichheit und zugleich eng verwoben ist mit der deutschen Nachkriegsgeschichte. Denn ein ganzes Netzwerk alter NS-Täter taucht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Bolivien unter, zählt dort schon bald zur Oberschicht. Die Beziehungen der Altnazis zu den diktatorischen Regimen des Landes sind eng, wie die Autorin Karin Harrasser in ihrem 2022 erschienen Buch "Surazo" eindrucksvoll belegt.

Auch Monikas Vater, Hans Ertl, ist kein unbeschriebenes Blatt: Der Bergsteiger und Kameramann war weit über Deutschland hinaus bekannt: In Nazideutschland dreht er unter anderem mit der innovativen wie später umstrittenen NS-Regisseurin Leni Riefenstahl den bekannten "Olympia"-Film. Mit ihr verbindet ihn nicht nur Berufliches - Hans Ertl berichtet in seiner Autobiografie Jahre später offenbar nicht ohne Stolz, sie habe ihn "wie Konfekt vernascht". Während des Zweiten Weltkriegs arbeitet Ertl weiter an Propagandafilmen, begleitet Erwin Rommels Afrika-Feldzug als Front-Fotograf.

Mit Hans Ertl auf Expeditionen

Der deutsche Kameramann und Dokumentarfilmer Hans Ertl und seine Tochter Monika Ertl betrachten gemeinsamen ein archäologisches Fundstück (Aufnahme von 1955). © picture-alliance / dpa
Kameramann und Dokumentarfilmer Hans Ertl zeigt seiner Tochter Monika Mitte der 1950er-Jahre Ausgrabungsstücke aus Südamerika.

Anders als ihr Vater hat Monika Ertl keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen, ihr Leben lässt sich daher nur aus den wenigen gesicherten Fakten sowie Erinnerungen von Zeitzeugen rekonstruieren. 1937 wird sie in München geboren, wächst mit ihren beiden Schwestern zunächst am idyllischen Chiemsee auf. Als sie 16 Jahre alt ist, siedelt die Familie nach Bolivien über, dort hat Hans Ertl ab 1949 bereits mehrfach an Filmen gearbeitet - in Deutschland war er vorübergehend mit einem Berufsverbot belegt worden. Ertl führt das Leben eines Abenteurers, leitet Expeditionen in den Himalaya und den Amazonas-Regenwald. Seine Lieblingstochter Monika begleitet ihn auf einige seiner Reisen, unterstützt ihn als Kamera-Assistentin.

In den Untergrund: Von der bürgerlichen Ehe zur Guerilla

1958 heiratet Monika den Bergbauingenieur Hans Harjes. Mit ihm geht sie nach Chile, wo sie mit dem sozialen Elend der Bergarbeiter und der indigenen Bevölkerung konfrontiert wird - ein tiefer Gegensatz zu ihrem eigenen bürgerlichen Leben. Monika beginnt, sich in sozialen Projekten zu engagieren, beschäftigt sich mit der südamerikanischen Befreiungstheologie und der Idee einer "Kirche der Armen", die sich aktiv ins politische Geschehen einmischt. Als ihre Ehe mit dem konservativen Harjes scheitert, wendet sich Monika zunehmend linken und linksextremen Bewegungen zu, mit denen sie bei einer Europa-Reise auch in Deutschland in Kontakt kommt.

Was Monika letztlich dazu bewegt, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen, liegt im Dunkeln. Spätestens ab 1969 zählt sie zur Führungsebene der Guerilla-Organisation ELN (Ejercito de Liberación Nacional, Nationale Befreiungsarmee). Kurz darauf kommt es zum endgültigen Bruch mit ihrem Vater: Monika möchte auf seiner Hacienda ein Ausbildungscamp der ELN einrichten, doch Hans Ertl lehn brüsk ab: "Du kannst alles von mir haben, aber das nicht", habe er zu ihr gesagt, so Ertl Jahre später in einem TV-Interview. Er sei ein geachteter ehemaliger deutscher Offizier und könne "unmöglich eine kommunistische Guerillera unterstützen."

1967 wird "Che" Guevara in Bolivien ermordet

Porträtaufnahme des Revolutionsführers Ernest "Che" Guevara aus dem Jahr 1965 © picture alliance / UPI/dpa
1967 wird "Che" Guevara im bolivianischen Dschungel getötet. Bis heute gilt er als Ikone der Revolution.

Prominente Unterstützung erhält die Guerillagruppe ELN dagegen aus Kuba, wo einige Jahre zuvor die Revolution gelungen war. Gemeinsamen mit kubanischen Kampftruppen reist Ernesto "Che" Guevara, Hoffnungsträger und Symbolfigur der Revolution, nach Bolivien, um sie auch dort voranzutreiben. Doch die Gruppe wird bei Kämpfen im bolivianischen Dschungel weitgehend aufgerieben, der verletzte "Che" Guevara wird im Oktober 1967 gefangen genommen und erschossen. Auf Anordnung des Geheimdienstchefs Roberto Quintanilla Pereira werden der Leiche die Hände abgeschnitten - angeblich, um sie später eindeutig identifizieren zu können. Die Verstümmelung ist womöglich aber auch ein symbolischer Akt, mit der der Mythos "Che" Guevara zerstört werden soll.

Roberto Quintanilla Pereira: Für Grausamkeit berüchtigt

Nach "Che" Guevara rückt mit Inti Peredo ein enger Vertrauter Monika Ertls an die Spitze des ELN nach. Zeitungen und Autoren kolportieren bis heute vielfach, dass die beiden ein Liebespaar waren - bis heute ist unklar, ob es sich dabei um ein Fakt oder eine romantische Verklärung der revolutionären Realität handelt. Im September 1969 wird Peredo ebenfalls gefangen genommen, gefoltert und getötet. Wieder ist Quintanilla dabei, beteiligt sich an den Folterungen und posiert anschließend für ein Foto mit dem Toten. Der für seine Grausamkeit berüchtigte Geheimdienstchef soll später "aus der Schusslinie" gebracht werden - man setzt ihn daher als Diplomaten ein, weit weg in Europa - in Hamburg. Dort tötet ihn mutmaßlich Monika Ertl und geht als "die Frau, die 'Che' Guevara rächte" in die jüngere Geschichte Boliviens ein.

Motiv: Rache für tote Guerilla-Kämpfer

Rache - nicht nur für "Che" Guevara, sondern auch für die anderen ELN-Kämpfer, die Quintinilla systematisch folterte und ermordete, aber auch ein unübersehbares Zeichen des Widerstands gegen die verheerenden Gewaltverhältnisse - so interpretiert Karin Harrasser die Tat. "Dass Monika mit ihren deutschen Wurzeln und Verbindungen die Idealbesetzung für diese Aufgabe war, lag auf der Hand", schreibt die Autorin. Die ELN selbst bekennt sich kurz nach der Tat in einem Schreiben zu dem Anschlag: Man habe den Oberst "im Auftrag unserer gefolterten und toten Kameraden, der abgeschlachteten Bergleute und des gedemütigten und geplünderten Volkes" hingerichtet.

Monika Ertl: Erschossen auf offener Straße

Klaus Barbie, ehemaliger Chef der deutschen Geheimen Staatspolizei in Lyon, am 11.05.1987 bei der Prozesseröffnung gegen ihn im französischen Lyon im Gerichtssaal. © dpa bildfunk Foto: Rainer Jensen
Der berüchtigte NS-Verbrecher Klaus Barbie beriet in Bolivien die Militärdiktatur und veranlasste wohl auch die Ermordung Monika Ertls. Erst 1983 wurde er nach Europa ausgeliefert.

Nach ihrer Rückkehr nach Bolivien ist Monika Ertl weiter im Untergrund aktiv, was sie genau vorhat, verliert sich erneut im Dunkeln der Geschichte. Möglicherweise plant sie gemeinsam mit den bekannten Nazi-Jägern Serge und Beate Klarsfeld die Entführung des NS-Täters Klaus Barbie. Der als "Schlächter von Lyon" bekannte Kriegsverbrecher, der während des NS-Regimes für eine Vielzahl von Gräueltaten verantwortlich war, residiert seit vielen Jahren unbehelligt unter falschem Namen in Bolivien. Ob sie direkt an den Planungen zur Entfühung beteiligt ist, ist unklar. Als gesichert gilt jedoch, dass Ertl mit dem federführenden Journalisten Sánchez Salazar bekannt und mit den Aktionen der Klarsfelds vertraut war.

Als "Onkel Klaus" kennt Monika Ertl ihn seit ihrer Jugend, er ist ein Nachbar ihres Vaters auf dessen Ranch. In Bolivien berät Barbie die blutige Militärdiktatur des deutschstämmigen Obersts Hugo Banzer - auch er wohnte in Hans Ertls Nachbarschaft. Barbie arbeitet für Banzer als "Folterspezialist", empfiehlt auch Quintanilla, die ELN-Kämpfer systematisch zu foltern und zu ermorden.

Barbie ist es wohl auch, der die Tötung Monika Ertls beauftragt. Sie wird auf offener Straße erschossen, ihre Leiche verscharrt - bis heute weiß man nicht, wo. Monika Ertls Schwester Beatrix erhält 2007 ein letztes Erinnerungsstück: Ihr wird der olivgrüne Schlafsack ihrer Schwester ausgehändigt.

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Das Erste | 14.08.2022 | 23:35 Uhr

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