Zu größeren Ausschreitungen kommt es bei einer Demonstration gegen Polizeiterror und Mietwucher von etwa 1.200 Jugendlichen am 26.5.1973 im Hamburg-Hohenfelde in der Ekhofstraße, wo die Polizei nur wenige Tage zuvor ein von Jugendlichen besetztes Haus geräumt hatte. © picture alliance / dpa Foto: dp6

Erster Einsatz 1973: Hamburger MEK räumt besetztes Haus

Stand: 23.05.2023 05:00 Uhr

Im Frühjahr 1973 haIten junge Leute der linken Szene in Hamburg ein Haus besetzt - seit Wochen. Für die Räumung rückt am 23. Mai erstmals das Mobile Einsatzkommando (MEK) an. Diese spezielle Einheit der Polizei greift seitdem immer ein, wenn große Gefahr besteht.

von Dirk Hempel

An jenem Tag im Mai stürmen Polizisten ein Haus an der Ekhofstraße im Hamburger Stadtteil Hohenfelde. Dort haben sich mehr als 70 Hausbesetzer verbarrikadiert, junge Männer und Frauen der linken Szene. Sie protestieren seit Wochen gegen den Abriss des altes Gebäudes, an dessen Stelle die Neue Heimat ein Hochhaus errichten will. Immer öfter aber haben sie auch Anwohnende und Polizisten bedroht und angegriffen.

MEK bringt Lage nach acht Minuten unter Kontrolle

Am frühen Morgen des 23.05.1973 stürmte die Hamburger Polizei ein von 15 bis 30 Jugendlichen besetztes Haus in der Ekhofstraße im Stadtteil Hohenfelde. Einige Hausbesetzer wurden festgesetzt oder festgenommen. © picture alliance / dpa Foto: -
Bei der Räumung des besetzten Hauses in Hamburg-Hohenfelde nimmt die Polizei 1973 mehrere Jugendliche fest, wie den hier am Boden liegenden jungen Mann.

Der Schein einer Leuchtrakete erhellt die Nacht, als die Beamten gegen 4 Uhr früh in das Haus vordringen. Die Straße ist abgesperrt, Panzerwagen und Wasserwerfer sind vor Ort. Die Polizei ist mit Schutzhelmen, Schlagstöcken und neuen durchsichtigen Schilden aus amerikanischer Produktion ausgestattet. Sie überrascht die Hausbesetzer im Schlaf. Sie werden durchsucht und müssen sich auf den Boden legen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Schon nach acht Minuten hat die Polizei die Lage unter Kontrolle gebracht.

In den Fenstern der Nachbarhäuser verfolgen die vom Lärm geweckten Anwohner den Abtransport der Festgenommenen. Zustimmung wird laut, aber auch Protest gegen das Vorgehen der Polizei, vor allem aus einem von Studierenden bewohnten Haus. Mehr als 500 zum Teil schwer bewaffnete Beamte sind an der Räumung in der Ekhofstraße beteiligt, die Stürmung des Hauses aber hat das Mobile Einsatzkommando (MEK) durchgeführt. 

In der Hamburgischen Bürgerschaft kommt es am selben Tag zu heftigen Debatten. Zu spät sei die Polizei eingesetzt worden, wirft die CDU-Opposition Innensenator Heinz Ruhnau (SPD) vor. Dieser rückt die Sorge für das Wohl der Beamten in den Vordergrund, die zuerst Informationen hätten sammeln müssen. Einen Tag später wird das Haus abgerissen - begleitet von weiteren Protesten.

Spezialeinheiten nach Anschlag bei Olympischen Spielen gegründet

Zwei der Terroristen während der Olympischen Sommerspiele in München zeigen sich vermummt auf einem Balkon. © picture-alliance / dpa
Auslöser für die Gründung des MEK ist der Terroranschlag von München 1972.

Das MEK - die neue Spezialeinheit - ist erst im November des Vorjahres aufgestellt worden, nachdem palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele 1972 in München israelische Sportler als Geiseln genommen hatten. Die Befreiungsaktion durch die unvorbereitete Schutzpolizei endete mit einer Katastrophe - insgesamt kamen 17 Menschen ums Leben. Deshalb haben die Innenminister der Bundesländer die Gründung von Spezialeinheiten bei Polizei und Bundesgrenzschutz beschlossen.

Das Hamburger MEK besteht damals aus rund 40 Beamten. Sie kommen vor allem von der Schutz- und der Bereitschaftspolizei, haben ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen und sind hervorragend ausgebildet, als Scharfschützen, Karatekämpfer, Sprengstoffspezialisten. Sie erhalten besonderes Fahrtraining und kennen sich in Rechtskunde aus.

Elite für besonders schwierige Fälle

Die Elitepolizisten soll Terroristen bekämpfen, Schwerverbrecher und Entführer festnehmen, Geiselnehmer überwältigen, besetzte Gebäude stürmen und gegen gewalttätige Demonstranten vorgehen. Anders als die Sondereinsatzkommandos (SEK) der anderen Bundesländer, die nur den Zugriff durchführen, übernimmt die Hamburger Spezialeinheit von Anfang an auch Fahndungsaufgaben sowie die Observation der mutmaßlichen Straftäter.

Die Einheit ist seit 1972 in einer Polizeikaserne im Stadtteil Alsterdorf stationiert. Ein Team ist jederzeit für den nächsten Einsatz bereit. Und der kommt damals schneller als erwartet. Schon im September 1973 sprengen MEK-Beamte die Tür einer Hochhauswohnung in Hamburg-Barmbek und verhaften bei einer vom Verfassungsschutz vorbereiteten Aktion drei Terrorverdächtige.

1974 wendet das MEK erstmals den finalen Rettungsschuss an

Im Jahr darauf werden die Beamten zu einer Bankfiliale am Steindamm in St. Georg gerufen. Der Bankräuber hatte einen Polizisten getötet und sieben Menschen in seine Gewalt gebracht. Bei der Übergabe des Fluchtwagens tötet ein MEK-Mann den Geiselnehmer durch Kopfschuss - es ist der erste finale Rettungsschuss in der Geschichte der Bundesrepublik.

Kampf gegen Rocker-Banden und Auftragsmörder

In den folgenden Jahrzehnten ist die Hamburger Spezialeinheit bei zahlreichen spektakulären Kriminalfällen im Einsatz. Noch 1974 dämmen sie durch gezielte Aktionen die Gewalt von Rocker-Banden ein, damals ein großes Problem in der Hansestadt. 1981 geht ihnen an der Wilhelmsburger Honigfabrik Peter-Jürgen Boock in die Fänge, der als RAF-Terrorist an der Entführung des danach ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer beteiligt war.

Den St.-Pauli-Auftragsmörder Werner Pinzner verhaften die MEK-Beamten am 15. April 1986 in seiner Wohnung, als er gerade aus dem Bad kommt. In einem späteren Verhör im Polizeipräsidium erschießt der Killer Staatsanwalt Wolfgang Bistry, seine anwesende Ehefrau Jutta, die die Waffe ins Gebäude geschmuggelt hat, und sich selbst. Ein großer Skandal.

Weitere Informationen
Der St. Pauli-Killer Werner Pinzner bei seiner Verhaftung im April 1986 © NDR / Gebrüder Beetz Filmproduktion / Polizeimuseum Hamburg

St.-Pauli-Killer Werner Pinzner: Das letzte Blutbad

Als Auftragsmörder gehört er in den 80ern zu den skrupellosesten Männern in Hamburg. Bei einer Vernehmung kommt es zum tödlichen Drama. mehr

Im Einsatz bei Erpresser "Dagobert" und Reemtsma-Entführung

Arno Funke mit seinem Anwalt Wolfgang Ziegler am 14.03.1995 vor Gericht. © dpa Foto: Wolfgang Kumm
Arno Funke alias "Dagobert" (l.) wird 1995 zu mehreren Jahren Haft verurteilt.

Auch im Mai 1991, als der damalige Sozialsenator und spätere Erste Bürgermeister Ortwin Runde von einer bewaffneten Frau mehr als zwei Stunden als Geisel festgehalten wird, greift das MEK ein und überwältigt die Frau. Den Kaufhaus-Erpresser "Dagobert", der von Karstadt 1,4 Millionen Mark fordert und immer wieder in Geschäften Bomben explodieren lässt, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, jagen sie fast zwei Jahre lang. Immer wieder entkommt ihnen Arno Funke - wie er bürgerlich heißt - knapp, bis er schließlich 1994 in einer Berliner Telefonzelle festgenommen wird.

Auch nach der Entführung von Jan Philipp Reemtsma im März 1996, der erst nach 33 Tagen frei kommt, sind die Beamten der Spezialeinheit gefragt. Ein Beamter wird sogar als Double des Rechtsanwalts vorbereitet, der das Geld übergeben soll, kommt aber nicht zum Einsatz.

Im Jahr darauf verhaften sie den Erpresser von Versandhaus-Chef Michael Otto bei der Geldübergabe an der Bahnstrecke nach Lübeck. Und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center durchsuchen die Beamten Wohnungen im Umfeld der Attentäter, die an der TU Harburg studiert hatten und die sogenannte Hamburger Terrorzelle bildeten.

Immer wieder neue Herausforderungen

Immer wieder stellen sich die Spezialkräfte auf neue Herausforderungen ein. So zeigen die Anschläge in Paris 2015, bei denen islamistische Terroristen an mehreren Orten der Stadt gleichzeitig angriffen, dass das MEK noch flexibler agieren muss. Auch bei den Krawallen gegen den G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg sind die Beamten an den Brennpunkten des Geschehens im Einsatz.

Im März 2023 kommen sie bei der Amoktat in Hamburg-Alsterdorf zum Einsatz, bei der ein Attentäter in ein Gebäude der Zeugen Jehovas eindringt und sieben Menschen erschießt, bevor sich das ehemalige Mitglied der christlichen Gemeinschaft selbst tötet.

Team stetig erweitert - auch Frauen sind dabei

In den mehr als 50 Jahren ihres Bestehens hat die Hamburger Spezialeinheit nach Angaben der Polizei rund 3.200 Einsätze durchgeführt, wobei sie nur fünf Mal Schusswaffen einsetzen musste. Drei Täter wurden getötet, ein Beamter verletzt.

Die Einheit ist über die Jahre angewachsen, Frauen gehören schon seit Jahren selbstverständlich zum Team. Noch immer üben sie den Einsatz auch auf Schiffen und in Flugzeugen, das Abseilen von Hochhäusern und die Landung mit Hubschraubern. Heute existiert in Hamburg neben dem MEK auch ein SEK, sind Observation und Zugriff wie in den anderen Bundesländern stärker getrennt, auch wenn die Spezialkräfte weiterhin Hand in Hand arbeiten.

Weitere Informationen
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Hamburg Journal | 03.11.2022 | 19:30 Uhr

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