Das "Waarenhaus Hermann Tietz": Hamburgs erstes Kaufhaus
Am 1. März 1897 öffnet in Hamburg das "Waarenhaus Hermann Tietz" als erstes modernes Kaufhaus der Stadt. Seitdem durchlebt es eine wechselvolle Geschichte: Die jüdischen Gründer werden enteignet, das Alsterhaus und der Konzern Hertie entstehen.
Ein hoher Lichthof mit vier Etagen und geschwungenen Treppen, verziert mit Ornamenten: So empfängt das "Waarenhaus Hermann Tietz" ab dem 1. März 1897 seine Besucher. Sie erwartet ein Warenangebot aus allen Bereichen des täglichen und nicht so alltäglichen Lebens und Produkte aus der ganzen Welt - und setzt damit neue Maßstäbe im Konsum des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Das erste moderne Kaufhaus der Stadt befindet sich im Großen Burstah, schräg hinter dem Rathaus und gegenüber des Nikolaifleets. Es ist die erste Filiale der Firma Hermann Tietz in Norddeutschland. Der Konzern war von Oscar Tietz mit dem Kapital seines Onkels Hermann Tietz gegründet worden und hatte sein erstes Geschäft am 1. März 1882 in Gera eröffnet - unter dem Namen "Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwarengeschäft Hermann Tietz". Hervorstechende Merkmale moderner Warenhäuser finden sich hier: Dazu zählen etwa festgelegte Preise, keine Stundungs- oder Anschreibemöglichkeiten sowie ein vielfältiges, branchenübergreifendes Angebot.
Umzug an den Jungfernstieg nur 15 Jahre später
Nur 15 Jahre nach der Eröffnung zieht das "Waarenhaus", das sich anfangs noch mit zwei "a" geschrieben hatte, um. Nicht sonderlich weit, aber noch ein Stückchen mehr in das Herz der aufblühenden Handelsmetropole - an den Jungfernstieg. Das zweite "a" geht bei dem Umzug verloren.
"Als das Warenhaus Hermann Tietz am 24. April 1912 seine Türen öffnete, war es gleich stadtbekannt. Schon die alte Tietz-Filiale hatte die Hamburger mit ihrer Lichterpracht und ihrem umfangreichen Sortiment begeistert." Auszug aus Alsterhaus-Firmenhistorie
Doch am Jungfernstieg ist alles noch viel größer - und das Warenangebot noch umfangreicher. Das neue Kaufhaus steht in der Mitte der Straße an der Binnenalster - gleichsam in der Mitte der Stadt - breit wie ein Häuserblock und mit hohen Fensterfronten. Die beiden Weltkriege übersteht es baulich nahezu unbeschadet und so präsentiert sich die Fassade des Kaufhauses, das seit 1936 den Namen Alsterhaus trägt, heute noch so wie vor 110 Jahren. Doch hinter der Fassade hinterlässt zunächst die deutsche Geschichte ihre Spuren - und später die Warenhaus-Krise.
Erster Weltkrieg: Aus Gürteln werden Patronentaschen
Der Erste Weltkrieg stellt zwei Jahre nach der Kaufhausöffnung am Jungfernstieg eine erste Zäsur dar: "Der Krieg und seine Erfordernisse regulierten das Warenangebot", heißt es in einem historischen Firmenprospekt. "Alle Volllederbestände sollten zu Gürteln und Patronentaschen verarbeitet werden. Bettdecken, Feldbetten, getrocknete Erbsen, Linsen - haltbare Lebensmittel überhaupt - mussten dem Militär zur Verfügung gestellt werden."
In den Goldenen 1920er-Jahren erlebt das Warenhaus einen Aufschwung, die Firma "Hermann Tietz" entwickelt sich bis zur Weltwirtschaftskrise mit Filialen in ganz Deutschland zum größten Warenhauskonzern Europas im Eigenbesitz. Das Kaufhaus am Jungfernstieg lässt Luxus lebendig werden:
"Es gab dort extravagante französische Hüte, maßgefertigte Kleider, Sonnenschirme aus reiner Seide, Orientteppiche, Bücher und vieles mehr. (Den Kunden) standen jetzt ein Erfrischungsraum, ein Schreibzimmer und ein Lesesaal zur Verfügung, außerdem eine überwältigende Lebensmittelabteilung mit Frischfleisch, Fluss- und Seefischen, Früchten und Delikatessen aus der ganzen Welt." Auszug aus Alsterhaus-Firmenhistorie
Zwangsverkauf in der NS-Zeit: "Hertie" entsteht
Dann übernehmen die Nationalsozialisten 1933 die Macht und schikanieren jüdische Unternehmer, darunter auch die Familie Tietz. Noch im gleichen Jahr wird ihre Warenhauskette mit Filialen in ganz Deutschland für einen Schleuderpreis an ein Bankenkonsortium verkauft. "Systematisch war ihr Warenhaus von Politik und Wirtschaft des NS-Regimes in den Ruin getrieben worden", heißt es in der Firmenhistorie des Alsterhauses. Die Familie Tietz flieht ins Ausland. Das Kaufhaus wird fortan unter der Abkürzung des Vor- und Nachnamens von Hermann Tietz weiterbetrieben: "Hertie" entsteht. Von 1936 an heißt es dann Alsterhaus.
Nach dem Krieg verlangen die Tietz-Erben ihr Eigentum zurück. Der von den Banken eingesetzte neue Hertie-Chef Georg Karg weigert sich zunächst und behauptet, die Familie sei aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Unternehmen ausgeschieden. Schließlich einigt man sich auf einen Vergleich, nach dem die Familie die Filialen in München, Stuttgart und Karlsruhe zurückerhält. Bis 1965 ist das Alsterhaus auch der Hertie-Hauptsitz.
Viele Umbauten und hoheitlicher Besuch im Alsterhaus
In den 1970er-Jahren wird im Alsterhaus für 40 Millionen D-Mark die Verkaufsfläche durch den Zukauf eines Nachbarhauses auf 19.000 Quadratmeter erweitert, 1983 für weitere 50 Millionen D-Mark der Innenraum umgebaut und neu gestaltet.
Vier Jahre später feiert das Alsterhaus seinen 75. Geburtstag. Zum Jubiläum kommen ganz besondere Gäste: Im Rahmen ihres Hamburg-Besuchs am 6. November 1987 statten der britische Thronfolger Prinz Charles und seine Frau Diana dem Warenhaus einen Besuch ab. Das Prinzenpaar eröffnet dort die "Britische Woche" und rührt kräftig die Werbetrommel für Produkte von der Insel. Tausende Menschen sind auf den Jungfernstieg gekommen, um einen kurzen Blick auf die Royals zu erhaschen. Aber nur die Alsterhaus-Verkäuferinnen, die zur Feier des Tages Halstücher mit britischer Flagge tragen, haben exklusive Logenplätze. Charles bekommt als Gastgeschenk eine Mappe mit Ansichten der Hansestadt, Diana zwei Mecki-Figuren für die kleinen Prinzen daheim.
Auf Boom folgen Verluste - und mehrfache Übernahmen
Doch auch so hoher Besuch kann nicht darüber hinwegtäuschen: Nach dem Boom während der Wirtschaftswunderjahre und immer mehr Filialeröffnungen geht der Umsatz des Hertie-Konzerns ab Mitte der 1980er-Jahre massiv zurück. Verluste häufen sich. 1993 übernimmt schließlich der Karstadt-Konzern die Hertie-Gruppe und damit auch das Alsterhaus. Bei einem erneuten Umbau wird die Verkaufsfläche bis 2005 auf 24.000 Quadratmeter erhöht. 2006 geht es zusammen mit den beiden anderen Luxuskaufhäusern des Konzerns - dem Oberpollinger in München und dem KaDeWe in Berlin - in die Karstadt Premium GmbH über.
2010 übernimmt Nicolas Berggruen den Karstadt-Konzern, 2014 kauft die Signa Holding GmbH rund um den österreichischen Milliardär und Immobilieninvestor René Benko die Mehrheitsverhältnisse der Karstadt Premium GmbH. Die drei zugehörigen Luxus-Kaufhäuser firmieren fortan unter dem Namen "The KaDeWe Group". Im Juni 2015 erfolgt ein erneuter Wechsel: Die italienische Warenhausgruppe La Rinascente übernimmt von Benko mit 50,1 Prozent die Mehrheit an dem Traditionskaufhaus.
Schönheitskur für 80 Millionen Euro
Das wird von 2016 an über mehrere Jahre erneut umgebaut - für 80 Millionen Euro. Das Alsterhaus sei in die Jahre gekommen und brauche deshalb eine Schönheitskur, sagte eine Sprecherin damals. Mit Luxusmarken und einem ansprechenden Eingang sollen neue Käuferschichten angelockt werden.
Mehr als 110 Jahre nach der Eröffnung am Jungfernstieg ist das Alsterhaus nach mehreren Facelifts und diversen Eigentümerwechseln eine Institution in Hamburg, die Anfang 2024 aber ins Wanken gerät: Die KaDeWe-Gruppe ist insolvent. Im Juli 2024 wird aber bekannt, dass das Alsterhaus gerettet ist.
Nur an das frühere "Waarenhaus Hermann Tietz" erinnert heute nichts mehr. Am Großen Burstah ist von der verspielten Architektur nichts mehr zu erkennen. An der Stelle des Konsumtempels von 1897 steht ein nüchterner Zweckbau der Hamburger Sparkasse.