Undatierte Aufnahme des Anlegers am Parkcafé im Hamburger Stadtpark © Archiv Stadtpark Verein Hamburg e.V.

Volksparks: Entstehung und Geschichte der Parks für Jedermann

Stand: 23.06.2014 10:30 Uhr

Ungesunde und beengte Wohnverhältnisse machen um 1900 die einfache Stadtbevölkerung krank. Eine neue Art von Park mit vielen Spielflächen soll Abhilfe schaffen: die Volksparks.

von Irene Altenmüller, NDR.de

Ein Garten, "nicht zum Durchwandern, sondern zum Inbesitznehmen", so beschreibt Fritz Schumacher, Hamburgs großer Stadtplaner, seine Vorstellung eines Parks für Hamburg. Anfang des 20. Jahrhunderts ist diese Auffassung, nach der ein Park nicht nur zum gesitteten Flanieren auf eigens dafür angelegten Wegen, sondern auch zum Toben, Spielen oder Sport treiben dienen dürfe, ungewöhnlich. Zwar gibt es in den größeren Städten bereits öffentliche Grünanlagen - in Hamburg etwa die Flächen rund um die Außenalster sowie die ehemaligen Wallanlagen und in Altona, das damals noch zu Holstein gehört, den Baurs Park.

Englische Gärten: Flanieren erlaubt, spielen verboten

Doch diese im Stil englischer Landschaftsgärten angelegten Parks sind - ähnlich wie die fürstlichen Schlossparks mit ihren geometrisch gegliederten Barockgärten - eher Kunstwerke als Erholungsstätten. Als "begehbare Landschaftsgemälde" sollen sie vor allem eine Freude für das Auge sein - Betreten der Grünflächen unerwünscht.

Drängende Enge, kaum Grün

Blick in das Kehrwiederviertel mit Brooksbrücke vor dem Bau der Speicherstadt um 1883 © Archiv Speicherstadtmuseum
In den einfachen Wohnvierteln Hamburgs sind um 1900 frisches Grün und frische Luft Mangelware.

Mit den Bedürfnissen der einfachen städtischen Bevölkerung um 1900 hat diese Form des Naturgenusses wenig zu tun. Die Einwohnerzahl ist in den Städten rasant gestiegen, auf gleichem Raum leben immer mehr Menschen. Allein in Hamburg verdreifacht sich die Einwohnerzahl innerhalb von vier Jahrzehnten von rund 300.000 auf über eine Million. Platz für Grünflächen, um sich frei zu bewegen und sich an der frischen Luft zu erholen, gibt es in der drängenden Enge der einfachen Arbeiterviertel nicht. Die hygienischen Bedingungen sind vielerorts katastrophal: Die Choleraepidemie von 1892, bei der in Hamburg mehr als 8.000 Menschen sterben, ist die schreckliche Konsequenz dieser Lebensumstände.

Ein Park, der "Leib und Seele gesund macht"

In Hamburg erkennt Alfred Lichtwark, der erste Direktor der Kunsthalle und selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, als Erster die Notwendigkeit, für die einfache Bevölkerung einen Ausgleich für die ungesunden Lebensverhältnisse zu schaffen. "Wir brauchen einen Park zum Aufenthalt, nicht bloß zum gelegentlichen Spazierengehen", fordert er. "Einen Park, der eine reiche Quelle edler Lebensfreude bietet und Leib und Seele gesund macht und gesund hält. Der übliche Park im sogenannten englischen Stil hat es bisher nicht geleistet".

Schumacher, Lichtwark, Tutenberg entwickeln Volksparks

Porträt von Fritz Schumacher © picture-alliance / dpa
Auf Basis der Volkspark-Idee entwickelt Fritz Schumacher für Hamburg das Konzept für einen Stadtpark.

Spielen, Sport treiben, sich mit anderen Menschen austauschen, einfach die Seele baumeln lassen, aber auch: sich bilden und etwas über die Natur erfahren. Die neue Parkform soll vielfältige Anforderungen erfüllen und so ein Park für alle Bevölkerungsschichten sein - ein echter "Volkspark". In Fritz Schumacher, dem Planer des Hamburger Stadtparks, findet Lichtwark einen prominenten Mitstreiter. In Altona setzt sich Ferdinand Tutenberg für die Volkspark-Idee ein und realisiert ab 1914 den Altonaer Volkspark. Auch in anderen norddeutschen Städten setzen sich Gartenplaner für die Schaffung von Volksparks ein, darunter etwa Leberecht Migge, der zur Künstlerkolonie in Worpswede zählt oder Harry Maasz, der einen - allerdings nie vollständig realisierten - Volkspark für Lübeck entwirft.

Dass die Volkspark-Befürworter im Hamburger Senat mit ihrer Idee erfolgreich sind, liegt nicht allein an der Sorge des reichen Hamburger Bürgertums um die einfache Bevölkerung, sondern hat vor allem handfeste wirtschaftliche Gründe. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine gesündere und zufriedenere Arbeiterschaft auch produktiver ist. Auch aus der Cholera-Epidemie hat man gelernt: Sie hatte der Hansestadt einen empfindlichen wirtschaftlichen Schaden zugefügt, weil Schiffe aus Hamburg in den internationalen Häfen mit Quarantäne belegt wurden.

Ein Park zum Tummeln

Besucher auf der großen Wiese im Hamburger Stadtpark © NDR Foto: Irene Altenmüller
Der Stadtpark in Winterhude gehört bis heute zu den beliebtesten Erholungsflächen der Hamburger.

Noch heute halten die Volksparks ein breitgefächertes Angebot bereit, mit großzügigen Wiesen als Spiel- und Sportflächen, Schwimmbad, Kanuverleih, Ruhezonen und Freiluftbühnen. Daneben haben viele Volksparks einen Bereich der sich speziell der Bildung widmet, etwa einen Waldlehrpfad oder einen Schulgarten.

Eine Gestaltung, die sich nicht allein nach ästhetischen Gesichtspunkten, sondern vor allem nach den Bedürfnissen der Besucher richtet - dieses Konzept geht bis heute auf: Hamburgs Volksparks sind beliebt wie eh und je. Wer an einem sonnigen Wochenende einen dieser Parks aufsucht, dem bietet sich ein Bild, wie es dem Gartenplaner Leberecht Migge vorgeschwebt haben muss, als er schrieb: "Das Volk muss sich im Volkspark wirklich tummeln können, sonst hat er keinen Sinn. Das ist erst ein wahrer Volkspark, der seine Wiesen nur deshalb so sammetweich grünen ließ, damit das Volk geladen sei, sich darauf zu lagern, darauf zu spielen und zu tanzen."

Dieses Thema im Programm:

Rund um den Michel | 15.06.2014 | 18:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Neuzeit

Hamburger Geschichte

Mehr Geschichte

Schriftsteller Thomas Mann auf einer undatierten Aufnahme © picture-alliance / dpa Foto: Bifab

Thomas Mann: 100 Jahre "Der Zauberberg"

Für die "Buddenbrooks" erhielt Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Sein Werk "Der Zauberberg" wird jetzt 100 Jahre alt. mehr

Norddeutsche Geschichte

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?