Greenpeace-Aktivisten hindern das Verklappungsschiff "Kronos" mit einer festgemachten Rettungsinsel am Auslaufen. © Greenpeace

Wie Greenpeace im Norden zu kämpfen begann

Stand: 20.06.2022 16:30 Uhr

Sie klettern auf Schornsteine, kapern Bohrschiffe: Seit 1971 machen Aktivisten von Greenpeace mit spektakulären Aktionen für mehr Umweltschutz international auf sich aufmerksam. 1980 startet die Organisation auch in Norddeutschland Aktionen.

Am 15. September 1971 schließen sich Pazifisten und Atomkraftgegner zusammen, um mit einem umgebauten Fischkutter vor Alaska einen Atomtest zu verhindern. Aus dieser Aktion entsteht in den folgenden Jahrzehnten eine der weltweit größten Umweltorganisationen: Greenpeace. Gegründet in Vancouver (Kanada), macht Greenpeace Deutschland neun Jahre später mit der ersten Aktion im Norden auf sich aufmerksam: Am 13. Oktober 1980 hindert eine Handvoll Umweltschützer das Verklappungsschiff "Kronos" in Nordenham an der Unterweser daran, in Richtung Nordsee auszulaufen. Dort sollte die "Kronos" im Auftrag deutscher und internationaler Chemiekonzerne giftige Dünnsäure in die Nordsee leiten - damals noch ein völlig legaler Vorgang, obwohl bekannt war, dass das Gift Fische und Plankton schwer schädigt.

Tote Fische vor das Bayer-Chemiewerk gekippt

Gruppenbild der Gründer von Greenpeace Deutschland (von links nach rechts: Heinrich Bauer, Gerhard Wallmeyer, Monika Griefahn, Harald Zindler, Wolfgang Fischer, Gerd Leipold und Rex Haas © Greenpeace
Die Gründer von Greenpeace in Deutschland nahmen 1980 den Kampf gegen Umweltgifte durch Großunternehmen auf.

"Die Aktion planten wir gemeinsam mit den Elbfischern, die damals bis zu einem Drittel ihres Fangs über Bord schmeißen mussten, weil jeder sehen konnte, dass die Fische krank waren. Die Fischer waren wegen der Gifteinleitungen schon seit Langem auf den Barrikaden", erinnert sich Gerhard Wallmeyer, Gründungsmitglied von Greenpeace Deutschland, vor einigen Jahren. Am selben Tag kippen weitere Greenpeace-Aktivisten missgebildete tote Fische vor das Bayer-Chemiewerk in Brunsbüttel und das Hydrografische Institut in Hamburg. Über diese ersten zwei Aktionen berichten die Lokalzeitungen, auch bei Umweltgruppen gibt es einige Resonanz. Überregionale Medien beschäftigen sich aber zunächst nicht mit dem Thema.

Stichwort: Dünnsäure

Aktivisten besetzen Boehringer-Schornstein in Hamburg

Das ändert sich mit der zweiten großen Greenpeace-Aktion in Deutschland: Zwei Aktivisten besetzen den Schlot der Chemiefabrik Boehringer in Hamburg-Billbrook und rollen ein Protest-Transparent aus, um auf den ungebremsten Ausstoß von Dioxin und anderen hochgiftigen Umweltgiften aufmerksam zu machen. Die Aktion sorgt für Furore: Mehrfach berichtet die Tagesschau darüber. Fotos der beiden Umweltschützer, die sich am Schornstein festgekettet haben, gehen durch die Zeitungen. "Danach war unser Leben als Bürgerinitiative ein völlig anderes. Wir kriegten plötzlich säckeweise Post", so Wallmeyer, der bis 2017 die Spendenabteilung der Organisation leitet. "In vielen Briefen war Geld oder ein Scheck, oder jemand wollte Mitglied werden. Wir mussten erstmals jemanden auf Teilzeit einstellen, um die Verwaltung und Buchführung zu übernehmen. Es ging rasant aufwärts."

Greenpeace-Gründer Wallmeyer: "Wir trafen den Zeitgeist"

Gerhard Wallmeyer vor dem Greenpeace-Büro in Hamburg an der Elbe © NDR Foto: Irene Altenmüller
Gerhard Wallmeyer 2010 an der Elbe im Hamburger Hafen - in den 80er-Jahren noch "eine dreckige, stinkige Gegend".

Die folgenden Greenpeace-Aktionen stoßen auf ein enormes Medienecho. Kein Zufall: Die Umweltschützer setzen auf die Macht der Bilder. Schlauchboote, die riesige Schiffe aufhalten, Schornsteinkletterer, die eine Chemiefabrik in Misskredit bringen - stets transportiert Greenpeace die Botschaft: Jeder Einzelne kann etwas bewirken, auch gegen die ganz Großen. "Unsere Idee löste eine enorme Begeisterung aus. Es traf genau den damaligen Zeitgeist, nicht nur auf Marktplätzen zu demonstrieren, sondern direkte gewaltfreie Aktionen zu machen", so Wallmeyer.

Greenpeace kämpft mit der "Beluga" für saubere Flüsse

Ein Greenpeace-Taucher befördert giftige Abwässer an die Oberfläche der Weser. © Greenpeace Foto: Diether Vennemann
Das Greenpeace-Laborschiff "Beluga" kreuzte über Deutschlands Flüsse. Taucher machten die versteckten Einleitstellen unter Wasser ausfindig.

In den 80er-Jahren kämpft Greenpeace in Deutschland gegen die Verschmutzung der Flüsse, die regelrecht zu Kloaken verkommen sind. Ungehindert leitet die Industrie ihre giftigen Abwässer ein. "Ich bin damals häufig mit Journalisten mit dem Schlauchboot auf der Elbe durch den Hamburger Hafen gefahren und da konnte ich alle 200 bis 300 Meter ein Abwasserrohr zeigen, da kam es mal knallgelb raus, mal violett, mal heiß dampfend", so Wallmeyer. Die Einleitgenehmigungen waren geheim, sodass nur mittels Proben herauszufinden war, welche Abwässer die Firmen eigentlich in die Flüsse leiteten.

Von Spendengeldern erwerben die Umweltschützer ein ausrangiertes Feuerwehrschiff, das sie mit Helfern in ein schwimmendes Labor umwandeln. Mit der "Beluga" untersuchen sie Wasserproben aus Elbe, Weser und Rhein direkt an den Einleitstellen. "Wir waren die Einzigen, die Laborschiffe in Fahrt hatten. Wir waren besser ausgerüstet als alle Behörden", erinnert sich Wallmeyer nicht ohne Stolz.

"Das Bewusstsein der Menschen hat sich verändert"

Greenpeace deckt einen Umweltskandal nach dem anderen auf, die Medien und die gesamte Öffentlichkeit schenken den Greenpeace-Aktionen besondere Aufmerksamkeit. Damit hat die Organisation ein wichtiges Ziel erreicht: Sie hat das Problem der Umweltverschmutzung in die Öffentlichkeit gebracht und Sensibilität dafür geweckt. "Ich glaube, das ist sogar die wichtigste Funktion von Greenpeace. Das Bewusstsein der Menschen hat sich verändert. Wir haben Leute dazu gebracht, über die Umweltverschmutzung nachzudenken. Man kann alle möglichen konkreten Erfolge aufzählen, wie etwa mit der Dünnsäure, aber wichtiger ist, dass viele Menschen ihre persönliche Einstellung geändert haben", so Wallmeyer.

Doch Greenpeace macht nicht nur auf Probleme aufmerksam, sondern sucht auch nach Lösungen. In den 90er-Jahren entwickelt die Organisation gemeinsam mit einer sächsischen Firma den ersten FCKW-freien Kühlschrank. Die großen Hersteller laufen zunächst Sturm gegen die Erfindung. Doch die Verbraucher wollen das umweltfreundliche Gerät und kaufen es. Schon bald hat sich der FCKW-freie Kühlschrank bei allen Herstellern durchgesetzt. Ähnlich erfolgreich ist eine Greenpeace-Kampagne für chlorfrei hergestelltes Papier - der Verbraucher beginnt, seine Macht gegenüber den Unternehmen zugunsten des Umweltschutzes zu nutzen.

Verbraucher-Macht und das PR-Desaster um "Brent Spar"

Mit Wasserkanonen versucht der Ölkonzern, das Greenpeace-Schlauchboot von der Ölplattform "Brent Spar" fernzuhalten. © Greenpeace Foto: Dave Sims
Die Besetzung der Ölplattform "Brent Spar" war eine der spektakulärsten Aktionen. Mit Wasserkanonen versuchte der Ölkonzern, die Aktivisten fernzuhalten.

Das funktioniert auch bei einer weiteren spektakulären Greenpeace-Aktion: 1995 besetzen Aktivisten die Öllager- und Verladeplattform "Brent Spar", die der Shell-Konzern in der Nordsee versenken will. Mehrere Wochen zieht sich die Auseinandersetzung zwischen Umweltschützern und Ölkonzern hin. Greenpeace ruft die Verbraucher zu einem Boykott von Shell-Tankstellen auf, die Umsätze brechen um bis zu 50 Prozent ein.

Schließlich lenkt der Konzern ein und entsorgt die Plattform an Land. Doch für Greenpeace endet die Aktion in einem PR-Desaster: Es stellt sich heraus, dass die giftigen Ölrückstände im Tank der Plattform viel geringer sind, als die Umweltschützer behauptet hatten, und weitgehend den Angaben des Ölkonzerns entsprechen. Die Umweltschutzorganisation entschuldigt sich bei Konzern und Öffentlichkeit, doch die Glaubwürdigkeit von Greenpeace ist - zumindest vorübergehend - beschädigt.

Klimawandel und Kohleausstieg sind aktuelle Themen

Greenpeace protestiert gegen den Import von Soja aus zerstörten Wald- und Savannengebieten am Frachtschiff "Hiroshima Star" in der Unterweser. © Greenpeace Foto: Daniel Müller
Ein wichtiges Thema für die Greenpeace-Aktivisten ist der Schutz des Regenwaldes am Amazonas.

Auch im neuen Jahrtausend gehen Greenpeace die Arbeitsfelder nicht aus. Ganz oben auf der Agenda: der Kampf gegen den Klimawandel. Dazu gehören Aktionen für den Ausstieg aus der Kohle - zum Beispiel im Tagebau im nordrhein-westfälischen Garzweiler. "Wir setzen uns weiter für den Kohleausstieg bis spätestens 2030 ein", sagt Martin Kaiser, Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland. Darüber hinaus unterstützt Greenpeace die Klima-Proteste der Jugendlichen bei "Fridays for Future". Weitere Themenbereiche, die es von den Umweltschützern national und international zu bearbeiten gilt, sind die Verkehrspolitik, der Schutz der Ozeane, Waffenexporte oder die Abholzung des Regenwaldes am Amazonas. Immer wieder macht Greenpeace mit Aktionen darauf aufmerksam - so protestieren Aktivisten 2019 an einem Frachter auf der Weser gegen den Import von Soja aus zerstörten Wald- und Savannen-Gebieten in Brasilien für deutsche Tierställe.

Greenpeace auch oft in der Kritik

Seit mehr als fünf Jahrzehnten macht Greenpeace mit spektakulären Aktionen auf Umwelt-, Natur-, und Klimaschutz aufmerksam. Bilder von Aktivisten in Schlauchbooten zwischen Walen und Walfängern mit ihren Harpunen gehen um die Welt. 2019 protestieren Aktivisten an einem Frachter auf der Weser gegen den Import von Soja aus zerstörten Wald- und Savannen-Gebieten in Brasilien für deutsche Tierställe. Im Juni 2021 sorgt die Landung mit einem Motorgleitschirm bei der Fußball-EM in der Allianz-Arena in München für viel Aufsehen - zwei Menschen werden dabei verletzt. Die Kritik ist groß. Wegen der bisweilen sehr drastischen - und gelegentlich rechtswidrigen - Aktionen haben einige Länder dem Verein bereits die Gemeinnützigkeit aberkannt.

Spenden von Unterstützern erreichen Rekordniveau

Für ihr Engagement im Umweltsektor ist Greenpeace auf Spenden angewiesen. Denn die Organisation nimmt ausschließlich Geld von Privatleuten an - nicht von Regierungen, Parteien oder der Industrie. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Förderinnen und Förderer stark angestiegen. 2020 unterstützten mehr als 630.000 Menschen Greenpeace finanziell, rund 7.000 engagierten sich aktiv. Das ist die höchste Zahl seit Gründung der Umweltschutzorganisation im Jahr 1980. Allein in Deutschland summierten sich die Spenden in dem Jahr auf einen Höchststand von 80,3 Millionen Euro. Die hohe Zahl der Förderinnen und Förderer gebe der Organisation mit ihren Spenden Stabilität und Unabhängigkeit, so Kaiser. Und die brauche es angesichts der großen Herausforderungen wie Klima- und Artenkrise auch.

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