Wie aus der "Hamburg" die "Maxim Gorkiy" wurde
Tausende Schaulustige säumen am 21. Februar 1968 das Elbufer. Bunte Flaggen wehen und Typhone tuten. Anlass ist der Stapellauf des ersten großen Passagierschiffs in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Marie-Luise Kiesinger, die Ehefrau des Bundeskanzlers, tauft das 100 Millionen Mark teure Schiff mit den Worten "Ich wünsche dir allzeit glückliche Fahrt" auf den Namen "Hamburg". Während die Arbeiter nachmittags in der Werkskantine feiern, trifft sich abends die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Saal des Hotel Atlantic zum Festakt.
Kreuzfahrten statt Liniendienst nach New York
Als die Deutsche Atlantik Linie den Neubau einige Jahre zuvor in Auftrag gegeben hat, braucht sie dringend ein neues Schiff für ihre Linienverbindung nach New York. Denn 1966 ist dort die legendäre wie beliebte Vorgängerin, die "Hanseatic", ausgebrannt. Ein zwischenzeitlich angeschafftes israelisches Schiff, das unter dem Namen "Hanseatic II" fährt, scheint für die Nachfrage nicht auszureichen. Doch der Neubau kommt zu spät. Denn die Linienschifffahrt ist auf der Nordatlantikroute nicht mehr konkurrenzfähig, seitdem die Flugzeuge größer und billiger geworden sind. Deshalb fährt die "Hamburg" von Anfang an als Kreuzfahrtschiff.
Schwimmendes Luxushotel
Der 195 Meter lange, schneeweiße Luxusliner mit dem feinen roten Streifen am Rumpf und dem charakteristischen Schornstein, der die Decks bei jeder Windrichtung rußfrei hält, wird von zwei AEG-Dampfturbinen angetrieben, die 23.000 PS Motorleistung entfalten. Auf zwölf Decks befindet sich eine kleine Stadt mit allen Annehmlichkeiten für Passagiere der gehobenen Klasse, vom Theater bis zum Sport-Center, vom Kindergarten bis zur Kapelle.
Ein Jahr nach dem Stapellauf wird die "Hamburg" in Dienst gestellt. Im März 1969 startet sie von Cuxhaven aus zur 35-tägigen Jungfernfahrt, die 600 Passagiere über Dakar im Senegal nach Rio de Janeiro und Buenos Aires führt. 60 Köche sorgen rund um die Uhr für das leibliche Wohl der Gäste. Das Schiff hat unter anderem 21 Tonnen Fleisch, je 350 Kilogramm geräucherten Aal und Lachs sowie sieben Zentner Kaviar geladen. Das Glas Whisky kostet an der Bar nur 1,60 D-Mark, zudem wird anders als an Land mit der doppelten Menge ausgeschenkt.
Mit der Ölkrise geht es bergab
Die "Hamburg" unternimmt Fahrten in die Karibik und ins Mittelmeer, nach Kalifornien und Mexiko. Für eine zweiwöchige Reise ins Schwarze Meer müssen die Passagiere im Jahr 1971 zwischen 2.160 und 5.090 Mark bezahlen, für die Große Westafrikafahrt bis 7.970 Mark - ein Luxus, den sich nicht viele leisten können. Dennoch sind die Schiffe gut gebucht. Auch die "Hanseatic II" verlegt sich bald aufs Kreuzfahrtgeschäft, bietet jedoch zumeist günstigere Kurzreisen für 1.000 Mark an. Aber die beliebten Schiffe können den wirtschaftlichen Niedergang der Reederei, verursacht durch den schwachen Wechselkurs des Dollars und die Ölkrise von 1973, nicht aufhalten.
Aus der "Hamburg" wird "Maxim Gorkiy"
Als eine Fusion mit Hapag-Lloyd scheitert und die Deutsche Atlantik Linie ihren Geschäftsbetrieb einstellen muss, wird die "Hamburg" an die Sowjetische Staatsreederei verkauft. Die 300 Besatzungsmitglieder verlieren von heute auf morgen ihre Arbeit. Ab Januar 1974 fährt das Schiff als "Maxim Gorkiy", am Heck die rote Flagge mit Hammer und Sichel. Die Sowjetunion ist schon lange im internationalen Kreuzfahrtgeschäft tätig, um mit günstigen Angeboten harte Devisen zu schöpfen. Jahrelang geht das Schiff für den Reiseveranstalter Neckermann + Reisen auf Kreuzfahrt, bleibt auch bei deutschen Touristen weiterhin hoch im Kurs. Auf einer Atlantiküberquerung wird 1974 der Thriller "18 Stunden bis zur Ewigkeit" mit Omar Sharif in der Hauptrolle gedreht.
Kollision im Eismeer
Eine bevorzugte Tour führt die "Maxim Gorkiy" nach Island und Norwegen. Das wird ihr im Juni 1989 beinahe zum Verhängnis. 300 Kilometer von Spitzbergen entfernt kollidiert sie mit einem Eisberg und droht im Nordmeer zu sinken, doch das Schiff wird erfolgreich evakuiert. Die Passagiere müssen bei eisigen Temperaturen stundenlang in den Booten und auf Eisschollen ausharren, bevor sie die norwegische Küstenwache mit Hubschraubern und Booten rettet. Das Schiff kann nach Spitzbergen geschleppt werden und dann mit eigener Kraft nach Bremerhaven fahren, wo es auf der Lloydwerft repariert wird.
Auf dem Schiff endet der Kalte Krieg
Wirklich berühmt wird die "Maxim Gorkiy" im Dezember 1989, wenige Tage nach dem Mauerfall. Im Hafen von Malta kommt es zu einem der bedeutendsten amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zwei Tage lang sprechen George H. Bush und Michail Gorbatschow über den politischen Wandel in der DDR und in Osteuropa, über das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen und über Abrüstung. Am Ende ihrer Verhandlungen erklären sie den Kalten Krieg für beendet und beschließen eine neue Kooperation der Supermächte.
Kreuzfahrten bis in die Südsee
Nach dem Ende der Sowjetunion wird die "Maxim Gorkiy" 1991 in Nassau auf den Bahamas registriert. In Charterfahrt für Phönix Reisen wird sie zu einem der bekanntesten Kreuzfahrtschiffe in Deutschland, Nordlandreisen bilden weiterhin einen Schwerpunkt des Programms, aber sie kreuzt auch in der Südsee und vor Singapur.
Immer wieder ist das Schiff in Hamburg zu Besuch und wird regelmäßig bei Blohm + Voss modernisiert, erhält sogar Anlagen zur Müllverbrennung und Meerwasser-Entsalzung. Doch mit der Schifffahrts- und Finanzkrise kommt nach 35 Weltreisen und mehr als 1.000 Kreuzfahrten das Ende der schönen Hamburgerin. Trotz intensiver Bemühungen, das Schiff als Museum und Hotel in seinen einstigen Heimathafen zurückzuholen, wird es am 25. Februar 2009 im indischen Alang abgewrackt.