Blohm + Voss: Die wechselhafte Geschichte der Hamburger Werft
1877 gegründet, erlangt die Hamburger Werft Blohm + Voss schnell Weltruf. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg ist mit Schiffbau erstmal Schluss: Am 1. Februar 1948 erteilen die Briten den Befehl zur Demontage. Ein Unternehmensporträt.
Gegenüber den Landungsbrücken in Hamburg erstreckt sich das riesige Werftgelände von Blohm + Voss. Die Anlagen gehören ins Stadtbild wie der Michel oder die Alster - ihre Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1877. In den 1920er-Jahren beschäftigt die Werft mehr als 10.000 Mitarbeiter - und ist damit einer der größten Arbeitgeber der Hansestadt. Bekannte Schiffe wie die "Bismarck", "Vaterland", "Wilhelm Gustloff", "Gorch Fock" und die "Cap Arcona" laufen hier im Lauf der Jahrzehnte vom Stapel.
Hermann Blohm: Der Unternehmer
Die beiden Gründer der Werft sind allerdings "Quiddjes" - Zugezogene. Hermann Blohm kommt 1848 in Lübeck zur Welt, er stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus. Sein Vater ist erfolgreicher Überseehändler, sein Urgroßvater war 1792 Bürgermeister von Lübeck. Nach einer Maschinenbau-Lehre und einem Studium der Ingenieurwissenschaften vertieft er sein Wissen zunächst in Bremen und Hannover. Um noch mehr zu lernen, geht Hermann Blohm 1873 schließlich nach England - damals das weltweit führende Land im Dampfschifffahrtsbau. Als er 1876 kehrt zurückkehrt, tut er das mit dem festen Entschluss, eine eigene Werft aufzubauen. In Hamburg lernt er den Ingenieur Ernst Voss kennen. Die Dinge fügen sich.
Ernst Voss: Der Konstrukteur
Anders als Blohm stammt der in Fockbeck bei Rendsburg geborene Ernst Voss aus einfachen Verhältnissen, sein Vater ist Hufschmied. Nach Maschinenbau-Lehre und -Studium geht auch er nach England und arbeitet dort und in Schottland ab 1864 bei mehreren Werften. 1869 kehrt Voss nach Deutschland zurück.
Über seine erste Begegnung mit Blohm schreibt er später in seinen Lebenserinnerungen: "Im Herbst 1876 besuchte mich in meinem Kontor ein Ingenieur, Herr Hermann Blohm, der aus Glasgow kam und mir einen Gruß von einem meiner dortigen Freunde überbrachte. Er gefiel mir gut, und da das Gefallen auf Gegenseitigkeit beruht haben muss, besuchte er mich von Zeit zu Zeit."
Per Handschlag besiegelt: Eine Werft entsteht
Die beiden sprechen auch über Schiffsbau und die Idee, in Deutschland eine moderne Werft nach englischem Vorbild zu gründen - per Handschlag besiegeln sie ihre Zusammenarbeit. Nach harten Verhandlungen mit dem Hamburger Senat über die Pachtzinsen gründen sie am 5. April 1877 die Werft Blohm + Voss. Das Startkapital in Höhe von einer halben Million Mark bekommt Hermann Blohm von seinem Vater.
Der Aufbau der Anlage bei widrigen Bodenverhältnissen und der Kauf der Maschinen verschlingen Unsummen. Außerdem plagen Blohm + Voss Personalsorgen: Die Zimmerleute der Stadt weigern sich, auf Eisenbau umzustellen. So werden Fachkräfte aus England, Fockbeck, Büdelsdorf und Rendsburg angeworben. Dabei beweisen die beiden Werftgründer ein gutes Händchen: Etliche erfahrene und gut ausgebildete Fachkräfte werden in den Dienst gestellt. Besonders Ernst Voss ist täglich mehrmals bei den Arbeitern und erkennt so schnell die Stärken und Schwächen der Belegschaft.
Aufträge bleiben aus - Flucht nach vorn
Als die Werft endlich aufgebaut ist, bleiben jedoch die Aufträge aus: Die Hamburger Reeder bestellen ihre Dampfer weiterhin in England. Die Flucht nach vorn ist für Blohm + Voss die einzige Chance: Die Belegschaft beginnt mit dem Bau eines eisernen Segelschiffs, der "Bark National". 1880 übernimmt Reeder Martin Garlieb Amsinck das Schiff.
Einstieg ins Reparaturgeschäft - inklusive Dockanlage
Erst eineinhalb Jahre nach Werft-Gründung kommt der erste Auftrag. Ein Konsortium von Obst- und Gemüsebauern bestellt ein kleines Dampfschiff. Da weitere Neubau-Aufträge rar bleiben, beschließen die beiden Unternehmer, zusätzlich ins krisenfeste Reparaturgeschäft einzusteigen. Doch dafür fehlen der Werft die nötigen Docks. Bisher müssen Reparaturen vor Ort im fast gekenterten Zustand der Schiffe durchgeführt werden, große Schäden können nur in England repariert werden. Ernst Voss entwirft eine geeignete Dockanlage, Blohms Familie unterstützt das Vorhaben finanziell - bereits zwei Jahre später ist sie fertig.
Nach sieben schwierigen Anfangsjahren belebt sich das Geschäft endlich. Neben Reparaturen folgen nun auch Aufträge von Hamburger Reedern für Neubauten. Der Handel mit den Kolonien in Afrika sorgt für volle Auftragsbücher. So bestellt bis 1915 allein die Woermann-Linie 15 neue Schiffe. Für die Deutsche Ost-Afrika Linie kommen noch einmal 13 hinzu.
Kuhwerder wird zum Werftgelände
1884 drängt Reichskanzler Otto von Bismarck Hamburg, dem Deutschen Zollverein beizutreten. Hermann Blohm erkennt die großen Chancen für eine steigende Nachfrage und erweitert das Werftgelände. Bis 1908 ist die gesamte Halbinsel Kuhwerder gepachtet - seinerzeit das größte zusammenhängende Werftgelände Europas.
Job-Freundschaft: 40 Jahre täglich gemeinsam frühstücken
Hermann Blohm und Ernst Voss führen nun ein florierendes Unternehmen mit rund 1.200 Arbeitern. An der Unternehmensspitze ergänzen sie sich hervorragend: Blohm hat die kaufmännische Verantwortung, Voss übernimmt die technische Seite und verfolgt die Arbeit auf der Werft. Beide verbindet zugleich eine tiefe Freundschaft und Wertschätzung. Sie haben ein gemeinsames Büro, um so immer über alle Vorgänge informiert zu sein und den anderen im Notfall vertreten zu können. Ein täglicher Austausch beim gemeinsamen Frühstück gehört ebenfalls dazu - ein Ritual, das die beiden über 40 Jahre jeden Tag pflegen.
Sozialer Fortschritt mit Krankenkasse - aber ohne höhere Löhne
Das Unternehmen wird von Blohm + Voss streng geführt, zugleich verspüren sie aber auch ihren Mitarbeitern gegenüber eine soziale Verantwortung: 1882 gründen sie eine Betriebskrankenkasse, die kurz nach ihrer Gründung auch eine Heilfürsorge für die Familienangehörigen der Angestellten anbietet. Der Betriebsarzt hat regelmäßig Sprechzeiten und macht auch Hausbesuche. Als 1892 die Cholera ausbricht, lassen die Unternehmer einen Kessel mit sauberem Teewasser aufstellen, damit die Arbeiter nicht auf das verseuchte Elbwasser zurückgreifen. Von geregelten Arbeitnehmerrechten scheinen die Werftbesitzer dennoch nicht viel zu halten: Beim Streik der Hafenarbeiter 1896 weist Blohm gemeinsam mit anderen Unternehmern die Forderungen der Streikenden nach höheren Löhnen und kürzeren Arbeitszeiten scharf zurück.
Sensation: Schiffsverlängerung im Schwimmdock
1893 folgt ein weiterer wichtiger Schritt in der Geschichte der Traditionswerft. Zum ersten Mal gelingt eine Schiffsverlängerung im Schwimmdock. Eine Sensation, denn bisher war eine solche Arbeit nur im Trockendock durchgeführt worden. Vier Jahre später wird Blohm + Voss durch den Umbau des Panzerschiffs "König Wilhelm" zur Marinewerft. Kaiser Wilhelm macht sich persönlich ein Bild von dem Fortgang der Arbeiten, weitere Aufträge folgen. 1898 bestellt der Rotterdamsche Lloyd einen Frachtdampfer - Blohm + Voss steigt in den Exportschiffbau ein. So mausert sich die Werft zum größten europäischen Schiffbau-Unternehmen.
Heißdampfkessel, Dampfstrahlmaschinen oder Düsenschiff - zum Erfolg der Werft trägt immer wieder der Mut der beiden Gründer bei: Für Innovationen sind sie stets offen, sodass das Unternehmen Hunderte Patente besitzt.
Blohms Söhne übernehmen
Nach 36 Jahren geht Ernst Voss 1912 mit 71 Jahren in den Ruhestand, bleibt aber im Aufsichtsrat. Auch wenn er offiziell kürzer tritt, ist er trotzdem fast täglich auf der Werft. Am 1. August 1920 stirbt Voss nach kurzer Krankheit.
Bis 1916 führt Hermann Blohm das Unternehmen als Alleinhaftender weiter, 1916 steigen seine Söhne Rudolf und Walter ins Unternehmen ein. Nach mehr als 50 Jahren an der Spitze stirbt Hermann Blohm am 12. März 1930 in Hamburg und hinterlässt seinen Söhnen einen solide geführten und gesunden Betrieb.
Spezialisten für U-Boot-Bau im Krieg
Bereits während des Ersten Weltkriegs konzentriert sich Blohm + Voss auf den Bau von U-Booten. Dann allerdings trifft die Weltwirtschaftskrise auch das Hamburger Unternehmen. Es hält sich mit kleinen Aufträgen und dem Abwracken alter Schiffe über Wasser.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird die Werft zum wichtigsten Produzenten von Handels- und Kriegsschiffen im Deutschen Reich. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs liegt der Schwerpunkt wieder auf dem U-Boot-Bau. 1942 wird das 351 Meter lange Trockendock Elbe 17 fertiggestellt. Auf ihrer Werft setzen Walther und Rudolf Blohm Tausende Zwangsarbeiter ein, später auch Häftlinge aus dem KZ Neuengamme. Direkt auf dem Werftgelände entsteht sogar ein KZ-Außenlager. Mit seiner kriegswichtigen Industrie ist die Werft auch ein bevorzugtes Ziel alliierter Luftschläge: 38 Bombenangriffe werden im Krieg registriert, die Werft bleibt trotz der Zerstörungen aber arbeitsfähig - bis Blohm + Voss im Dezember 1945 auf Anordnung der britischen Militärverwaltung die schiffbauliche Arbeit einstellen muss.
Vollständige Demontage und der Einstieg von Thyssen
In der Folge schwenkt das Unternehmen als Teil der "Friedenswirtschaft" auf Haushaltsgegenstände und Instandsetzungen für Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerke um. Ab dem 1. Februar 1948 ist aber auch damit erst einmal Schluss: Die Briten erteilen den Befehl zur Demontage. Die rund 500 verbleibenden Mitarbeiter dürfen nur noch Demontagearbeiten an den eigenen Anlagen ausführen. Der Großteil der übrigen Belegschaft muss sich eine andere Arbeit suchen. Von den einst gewaltigen Werft-Anlagen bleibt infolge der als Reparationsleistungen gefassten Beschlüsse so gut wie nichts übrig.
1950 zählt Blohm + Voss nur noch 175 Beschäftige. Demontage und Sprengungen von Anlagen haben die Werft geschwächt. Nach und nach dürfen die Hamburger aber wieder Schiffe reparieren, später auch bauen. Bei der Umstrukturierung und Rückbenennung - zwischenzeitlich heißt das Unternehmen Steinwerder Industrie AG - wird die Hälfte des Aktienkapitals für 20 Millionen D-Mark an die Phoenix-Rheinrohr AG verkauft, die im Besitz von Amélie Thyssen ist. Dem Thyssen-Konzern, der in den kommenden Jahren immer wichtiger wird, wird so der Einstieg ermöglicht. Die Familie Blohm zieht sich aus dem Unternehmen zurück. Zunächst baut Blohm + Voss vorrangig Massengutfrachter, später nimmt die Werft wieder Aufträge der Bundesmarine sowie für internationale Kriegsschiffe an.
Container- und Kriegsschiffe gefragt
1968 entstehen die ersten Vollcontainerschiffe. Neben dem neuen Produktbereich Offshore, der unter anderem Ölbohrinseln baut, setzt Blohm + Voss ab 1980 auch auf den Bau von Fregatten und Korvetten. 1995 erfolgt eine Dreiteilung des Unternehmens. Die Bereiche Schiffbau, Schiffsreparaturen und Maschinen- und Anlagenbau entstehen. 2005 wird Blohm + Voss Teil der neuen ThyssenKrupp Marine Systems AG. 2008 erfolgt eine erneute Umstrukturierung, der ThyssenKrupp-Konzern, längst als Mutterkonzern agierend, stärkt seine Leitungsfunktion.
Verkauf an Briten und Schweden - und dann nach Bremen
Ende 2011 beschließt der Mutterkonzern ThyssenKrupp den Teilverkauf von Blohm + Voss. Der britische Investor Star Capital Partners übernimmt 2012 den zivilen Schiffbau und verkauft den Maschinenbau-Bereich Anfang 2013 an die schwedische SKF-Gruppe. Überraschend dann der nächste Besitzerwechsel im Oktober 2016: Nach mehreren erfolglosen Versuchen gelingt es der Bremer Lürssen-Gruppe, die Hamburger Traditionswerft 139 Jahre nach ihrer Gründung zu übernehmen. Blohm + Voss setzt neben der Reparatur von Schiffen und Maschinen- und Anlagenbau vor allem auf den Bau von Mega-Jachten.
Blohm + Voss kündigt Umstrukturierung und Job-Abbau an
Im Herbst 2021 wird bekannt, dass der Werft ein großer Umbau bevorsteht - der auch mit Stellenabbau einhergehen wird: 133 von 580 Arbeitsplätzen im Hamburger Hafen sollen gestrichen werden. Das Unternehmen sei so nicht mehr wettbewerbsfähig, heißt es von Gesellschafter Peter Lürßen. Jachtbau und Marineschiffbau sollen demnach organisatorisch getrennt werden, das Geschäft mit Handelsschiffen komplett aufgegeben und auch von Kreuzfahrtschiffen wolle man sich trennen.