Der Schnelldampfer "Vaterland" lief für die Hapag in Hamburg vom Stapel. © picture-alliance / dpa

Ein schwimmendes Hotel - die "Vaterland"

Stand: 05.04.2022 11:15 Uhr

Platz für 3.909 Passagiere und schwerer als ein Kriegsschiff: Am 3. April 1913 wird die "Vaterland" in Hamburg getauft. Sie ist das damals größte Passagierschiff der Welt.

von Levke Heed

Über 15.000 geladene Gäste und rund 40.000 Schaulustige drängen sich am 3. April 1913 auf dem Gelände der Hamburger Werft Blohm + Voss und an den Landungsbrücken. Sogar die Ehefrauen der Werftarbeiter haben eine Ehrenkarte bekommen. Sie alle warten auf ein besonderes Ereignis: die Taufe der "Vaterland", des größten Passagierschiffs der Welt.

Kronprinz Rupprecht tauft 55.000-Tonnen-Dampfer

Der Passagierdampfer "Vaterland" um 1913. © picture alliance / akg-images
Insgesamt finden 3.909 Passagiere Platz auf der "Vaterland".

Was die Wartenden nicht wissen: Die Verantwortlichen bangen lange, ob die Taufe überhaupt stattfinden kann. Der Grund: Starker Ostwind hat viel Wasser aus dem Hafen gedrängt. Doch dann flaut der Wind ab und mit der Flut füllt sich der Hafen mit genug Wasser. Die Gefahr, dass die "Vaterland" auf Grund läuft, ist gebannt. Für die Taufe hat sich hoher Besuch aus Bayern angekündigt: Kronprinz Rupprecht gibt dem 55.000-Tonnen-Dampfer seinen Namen.

Albert Ballins Idee vom schwimmenden Hotel

Porträt des Hamburger Reeders Albert Ballin. © picture-alliance / dpa
Albert Ballin will mit neuen Schiffen auf der Nordatlantikroute neue Maßstäbe setzen.

Die "Vaterland" ist das zweite Schiff der sogenannten Imperator-Klasse. Zwei Monate zuvor war der "Imperator" zu seiner Jungfernfahrt aufgebrochen. Folgen soll noch die "Bismarck". Auftraggeber der drei Schiffe ist Albert Ballin, Generaldirektor der Reederei Hapag. Sein Ziel ist es, auf der Nordatlantikroute neue Maßstäbe gegenüber der britischen Konkurrenz zu setzen. Die Schiffe sollen mehr Komfort bieten. Während die herkömmlichen Dampfer spärlich und eher funktional ausgestattet sind, will Ballin schwimmende Luxus-Hotels bauen. Er setzt darauf, dass zufriedene Kunden erneut bei der Hapag buchen werden. Unterstützung für seine Idee bekommt er von Kaiser Wilhelm II.

Fünf Bücher Baubeschreibung für die "Vaterland"

Für den Bau der "Vaterland" reichen die Bauplätze, die sogenannten Hellinganlagen, bei Blohm + Voss nicht aus. Es muss eine neue Helling eingerichtet werden. Fünf Bücher - mit bis zu 242 Seiten - ist die Baubeschreibung für den Koloss dick. Tausende Tonnen Stahl, Gusseisen und Holz werden benötigt. Rund 1.800 Arbeiter sind täglich im Einsatz. Beim Stapellauf ist das Schiff schwerer als ein voll ausgerüstetes deutsches Schlachtschiff der damaligen Zeit.

Platz für 3.909 Passagiere

Ritz-Carlton-Restaurant auf dem Passagierschiff "Vaterland" © picture alliance / akg-images
Das Schiff ist ein schwimmendes Luxushotel. Die 1. Klasse speist im Ritz-Carlton-Restaurant.

Das Schiff ist in Bereiche für vier Passagierklassen eingeteilt. Insgesamt finden 3.909 Passagiere Platz. Die Besatzung besteht noch einmal aus 1.234 Personen. Zum Vergleich: Die "Titanic" bot nur Platz für 2.400 Passagiere, die heutige "Queen Mary 2" kann 3.090 Reisende beherbergen.

In der 1. und 2. Klasse reist das gutbetuchte Publikum - Politiker, Industrielle oder Künstler. Mehrere Speisesäle, Raucherzimmer und ein Salon für die Damen stehen zur Verfügung, den Passagieren der 1. Klasse zudem das Ritz-Carlton Restaurant, einen Fest- und Ballsaal, Schwimmbad und Suiten. Die Räumlichkeiten der 3. und 4. Klasse sind bescheidener, aber im Vergleich zu anderen Schiffen großzügiger. Es gibt Zwei-, Vier- und Sechs-Bett-Kammern und auch die sanitären Anlagen sind besser.

Neue Bauart schafft mehr Platz

Die Großzügigkeit der Räumlichkeiten ist unter anderem auf eine Neuheit im Schiffbau zurückzuführen: Die Abgasschächte (Rauchfänge) der Kessel führen nicht in der Mitte des Schiffs zu den Schornsteinen, sondern werden an die Außenseiten des Schiffes gelegt und unter den Schornsteinen wieder zusammengeführt. Auf den oberen Decks können so größere Räume gebaut werden. Erstmals ist es sogar möglich, Autos zu transportieren.

Die "Vaterland" in Daten und Zahlen

Während des Baus kommt es zum Unglück der RMS "Titanic". Daraufhin verstärkt man die Sicherheitsmaßnahmen auf der "Vaterland": Platz für mehr Rettungsboote wird eingeplant. Zudem wird ein Scheinwerfer am vorderen Mast angebracht, um die Sicht bei Nacht zu verbessern.

Jungfernfahrt und Ankunft in New York

Am 14. Mai ist es dann so weit: Das größte Passagierschiff der Welt bricht zur Jungfernfahrt auf. Ziel ist New York, Zwischenstopps sind in Southhampton und Cherbourg. Am 21. Mai erreicht die "Vaterland" unter den Augen vieler Schaulustiger ihr Ziel.

Pressestimmen zur "Vaterland"

Hamburger Nachrichten, 3. April 1914:

"So sollst auch du, stolzes Schiff, unserem Vaterland geweiht, auf weitem Meere friedlichem Gewerbe dienen und sollst die Bande der Freundschaft zwischen den Völkern der Erde fester stets und enger knüpfen. Und so eile deinem Element entgegen. Mögen dir Glück, Erfolg und Segen, mögen dir viele sonnige Fahrten beschieden sein. Wenn aber Sturm und Wetter dich bedräuen, so mögest du auch in diesem tüchtig, stark und kampfgemut bewähren, würdig deiner Herkunft, würdig deiner sturmumtobten Heimat, würdig deines schönen und in unsere Herzen eingegrabenen Namens."

Erster Weltkrieg: Die "Vaterland" liegt in New York fest

Der Dampfer "Vaterland" um 1913. © picture alliance / akg-images
Ab 1917 wird die "Vaterland" beschlagnahmt und für den Transport von US-Soldaten eingesetzt.

Der Erste Weltkrieg bremst das Schiff dann jäh aus. Bei Kriegsbeginn im Sommer 1914 befindet sich die "Vaterland" - mit über 3.000 Passagieren an Bord - auf dem Weg nach New York. Ohne Zwischenfälle erreicht das Schiff sein Ziel. Bereits startklar für die Rückfahrt, wird den Verantwortlichen am 31. Juli von der deutschen Militärführung mitgeteilt, zunächst in New York zu bleiben. Die Besatzung wird freundlich aufgenommen, das Schiff wird sogar Treffpunkt der feinen New Yorker Gesellschaft.

US-Navy beschlagnahmt das Schiff

Als die USA 1917 in den Krieg eintreten, ändert sich dies. Die "Vaterland" wird von der US-Navy beschlagnahmt. Ein Teil der Besatzung war zuvor bereits in großen Teilen nach Deutschland zurückgekehrt, ein Teil entschied sich, in den USA zu bleiben. Kommandant Hans Ruser und 49 Offiziere werden bis Kriegsende interniert.

Aus "Vaterland" wird "Leviathan"

Unter dem Namen U.S.S. "Leviathan" dient die "Vaterland" in der Kriegszeit als Transportschiff, bringt Soldaten nach Europa und verwundete Soldaten zurück in ihre Heimat.

Nach Kriegsende bleibt das Schiff als Reparationsleistung in den Händen der USA. Es wird in Newport für mehrere Millionen Dollar wieder als Passagierschiff hergerichtet und ist bis 1934 als "größtes Passagierschiff der Welt" für die United States Line auf dem Nordatlantik im Einsatz.

In den 1930er-Jahren nehmen neue und moderne Schiffe den Fährdienst über den Atlantik auf. Die "Leviathan" hat endgültig ausgedient. 1938 wird das Schiff in Schottland verschrottet. Es ist bis heute das größte jemals unter deutscher Flagge gefahrene Passagierschiff und das weltweit größte mit Kohle betriebene Dampfschiff.

Weitere Informationen
Luftbild der Hamburger Werft Blohm + Voss (ca. 1930) © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images

Blohm + Voss: Die wechselhafte Geschichte der Hamburger Werft

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist mit Schiffbau erstmal Schluss: Am 1. Februar 1948 erteilen die Briten den Befehl zur Demontage. mehr

Historische Aufnahme des Dampfschiffs "Augusta Victoria" der Reederei Hapag auf See.

Luxus auf See: Vom Beginn der Kreuzfahrt

Die Vergnügungsreise der "Augusta Victoria" von Cuxhaven ins Mittelmeer 1891 geht später als erste Kreuzfahrt in die Geschichte ein. mehr

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 22.04.2019 | 19:30 Uhr

Mehr Geschichte

Schriftsteller Thomas Mann auf einer undatierten Aufnahme © picture-alliance / dpa Foto: Bifab

Thomas Mann: 100 Jahre "Der Zauberberg"

Für die "Buddenbrooks" erhielt Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Sein Werk "Der Zauberberg" wird jetzt 100 Jahre alt. mehr

Norddeutsche Geschichte

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?