Ein "Superbahnhof unter Wasser"
"15.000 Hamburger werden ab dem 3. Juni pro Woche eine Stunde mehr Freizeit haben", verkündete "Die Welt" im Mai 1973. Hamburg erwartete das für den Nahverkehr wichtigste Ereignis seit 40 Jahren: die Einweihung der neuen Linie U2, mit einer Streckenführung mitten durch die Innenstadt und unter der Binnenalster hindurch. Sie sollte den Umweg über die Trasse der U3 am Hafenrand sparen - und damit sechs Minuten pro Strecke zwischen Schlump und Berliner Tor, eine Stunde wöchentlich für Berufspendler.
Gleichzeitig wurde die U-Bahn-Station Jungfernstieg, schon seit 1934 Haltestelle der U1, mit enormem Aufwand zu einem "Superbahnhof unter Wasser" ausgebaut. Der neue viergeschossige Verkehrsknotenpunkt sollte zum zweitwichtigsten Drehkreuz der Hansestadt werden. Er war schon darauf ausgelegt, zwei Jahre später die noch in Konstruktion befindliche "City-S-Bahn" und eine für die nahe Zukunft geplante U4 (nach Lurup/Osdorfer Born) aufzunehmen.
Die wachsende Stadt braucht neue Schnellbahnen
Die boomende Hansestadt war in der Wirtschaftswunder-Zeit ihrem Netz aus Schnell- und Straßenbahnen entwachsen. Immer mehr Bürger bauten sich ein Häuschen am Stadtrand, und auch die gerade in die Höhe sprießenden sogenannten "Großsiedlungen" - die modernen Wohntürme von Osdorfer Born, Steilshoop und Mümmelmannsberg - wollten ans Zentrum angebunden werden. Da der Individual- und Lieferverkehr stark zugenommen hatten, wurde die alte Straßenbahn zunehmend als Verkehrshindernis empfunden, Unfälle häuften sich. Ab Oktober 1960 begann man deshalb, fast jedes Jahr eine der 19 Straßenlinien stillzulegen.
HVV will den "linienreinen" Verkehr
Als 1965 der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) als Tarif- und Planungsgemeinschaft gegründet wurde, gewannen die Pläne für ein neues Drehkreuz in der Innenstadt an Dynamik. Die S-Bahn hatte schon Zeichnungen für eine Route über Jungfernstieg und Landungsbrücken in der Schublade, um das Nadelöhr über Dammtor zu entlasten: Auf der alten Verbindungsbahn kam es durch die hohe Zugfrequenz auf den zwei Linien bei geringsten Verzögerungen zu erheblichen Problemen. Im Verkehrsverbund reiften nun die Planungen von Hochbahn und S-Bahn für neue Innenstadt-Strecken rasch zu einem Megaprojekt. Endlich sollte damit der "linienreine" Verkehr erreicht werden, wie Horst Lingner, Leiter Schnellbahnen beim HVV, damals erklärte: "Dies gewährleistet, dass sich Störungen nicht mehr von einer Linie auf eine andere übertragen können."
Schwierige Arbeiten im Alsterschlick
Mit einem symbolischen Rammstoß begann am 17. Oktober 1967 der Bau der "City-S-Bahn". Wie eine riesige Wasserschlange bahnte sich die von Spundwänden gesäumte Baustelle vom Hauptbahnhof aus ihren Weg mitten durch die Binnenalster und teilte das Wasser, bis der Tunnel von oben verkleidet war. Die Hochbahn grub sich währenddessen vom Schlump her Richtung Gänsemarkt und untertunnelte ein Stück Alster im Schildvortriebverfahren. Für die neuen Linien mussten nicht nur Wasser und Straßen, sondern ganze Häuserblöcke unterhöhlt werden. Jahrelang war Hamburgs Unterwelt eine Großbaustelle.
Technisch besonders anspruchsvoll sollten sich die Arbeiten am Umsteigebahnhof Jungfernstieg gestalten. Die Baugrube war so groß wie zwei Fußballfelder und hielt allein 150 bis 250 Arbeitskräfte beschäftigt. Hier galt es, im Alsterschlick die zukünftige City-S-Bahn zwischen die alte (U1) und die neue (U2) Hochbahnstrecke einzupassen - das war Zentimeter-, ja zum Teil Millimeterarbeit. Ingenieure tauschten den Boden der U1 gegen neue Konstruktionselemente, die zugleich die Decke des S-Bahn-Tunnels bildeten.
Moderne Haltestelle in poppigen Farben
Während sich die Schildvortriebsmaschinen für die S-Bahn noch unter den Geschäftshäusern zu den Landungsbrücken durchfraßen, bekam 20 Meter unter der Alster der U2-Tunnel schon seinen letzten Schliff. Die Halle "mit zwei Bahnsteigen und insgesamt vier Gleisen" - zwei davon für die U4 - "wird mit ihren knalligen Popfarben Hamburgs attraktivste U-Bahn-Station sein", schrieb das "Hamburger Abendblatt" knapp zwei Wochen vor der großen Eröffnungsfeier. Insgesamt 35 Rolltreppen würden den HVV-Benutzern "strapaziöse Beinarbeit" ersparen.
Ein Volksfest zur Eröffnung
Am Sonnabend, dem 2. Juni 1973, wurde dann der Meilenstein gesetzt. "Mitten in Hamburg scheint die Welt Kopf zu stehen - Züge unten, Schiffe oben. Kühne Ingenieure machten es möglich", jubelte das "Abendblatt" in seinem Aufmacher. Unter den kernigen Klängen vom Musikkorps der Schutzpolizei Hamburg, Jugendspielsmannszug Neugraben und Heeresmusikkorps VI übergab Bürgermeister Peter Schulz mit Bausenator Caesar Meister und HHA-Chef Hans Tappert die frisch gekachelte Bahnsteighalle am Jungfernstieg und die Linie U2 dem Verkehr. Von 12 bis 20 Uhr durften alle Hamburger die Strecke zwischen Gänsemarkt und Hauptbahnhof kostenlos ausprobieren. Am Sonntag fuhr um 5.09 Uhr in der Früh der erste fahrplanmäßige Zug der Linie U2 in die Haltestelle Jungfernstieg ein.
Der U/S-Bahnhof Jungfernstieg wächst weiter
Zwei Jahre später, am 30. Mai 1975, eröffnete Schauspielerin Helga Feddersen mit den Worten "Komme niemals auf die schiefe Bahn" die S-Bahn-Teilstrecke Hauptbahnhof-Landungsbrücken; das fehlende Stück bis Altona wurde im April 1979 fertig.
Die am Jungfernstieg schon vorbereiteten Gleiströge für die U4 allerdings blieben weiterhin leer: Nach der Senatskrise von 1974 schlug der neue Bürgermeister Hans-Ulrich Klose einen scharfen Sparkurs ein und legte die U-Bahn-Projekte auf Eis. Erst seit HHA und Senat im Juni 2007 ihren Vertrag über die Erschließung der Hafencity unterschrieben, steht fest: Nach 38 Jahren wird erstmals wieder eine neue U-Bahn-Linie durch den Jungfernstieg rollen. In Betrieb gehen soll die künftige U4 Billstedt-Lohsepark im Jahr 2011.