Eine Luftaufnahme zeigt den JadeWeserPort in Wilhelmshaven. © picture alliance/dpa/Carmen Jaspersen Foto: Carmen Jaspersen

Vom Ort im Schlick zu Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen

Stand: 21.09.2022 05:00 Uhr

Fast 20 Jahre dauert es, bis aus der Idee Deutschlands einziger Tiefwasserhafen wird: der JadeWeserPort in Wilhelmshaven. Den Weg bis zur Eröffnung am 21. September 2012 säumen etliche Miseren. Auch vom Auslastungsziel ist der JWP noch weit entfernt.

von Jochen Lambernd

An Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen, dem JadeWeserPort (JWP) in Wilhelmshaven, können unabhängig von der Tide die aktuell größten Containerfrachter be- und entladen werden. Vier Liegeplätze gibt es am Terminal - für Schiffe mit einer Länge von bis zu 430 Metern, 16,5 Metern Tiefgang und einer Ladekapazität von 12.000 Standardcontainern (TEU). Den Platz können aber auch zwei Groß-Containerschiffe mit jeweils 22.000 TEU in Anspruch nehmen. Am Kai beträgt die Wassertiefe 18 Meter, sodass dort voll beladene Schiffe abgefertigt werden können - was in Hamburg zum Beispiel nicht möglich ist.

Fast 20 Jahre von der Idee bis zur JWP-Eröffnung

Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD), Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) (v.l.n.r.) legen bei der Eröffnung des JadeWeserPorts am 21. September 2012 in Wilhelmshaven die Hände aufeinander. © picture alliance / dpa Foto: Ingo Wagner
Symbolische Einigkeit nach viel Ärger im Vorfeld: Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (l-r, SPD), Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bei der Eröffnung des JWP 2012.

Angefangen hat alles mit einer Idee einiger Wilhelmshavener Unternehmer: Könnte man nicht den Schlick der Wattflächen am Jadebusen, so die Überlegung im Jahr 1993, zum Bau eines Hafens nutzen? Der Schlick sei ohnehin ein Störfaktor für die Schifffahrt, der für den nötigen Tiefgang immer wieder ausgebaggert werden muss und dann in der Nordsee verklappt wird. Auf den Vorstoß der Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung folgen 1998 und 2000 eine sogenannte Potenzialanalyse und eine Machbarkeitsstudie, um Bedarf und Möglichkeiten auszuloten und zu bestimmen. Und tatsächlich wird der Tiefwasserhafen am 21. September 2012 feierlich eröffnet.

Pleiten, Pech und Pannen begleiten den Bau des JWP

So weit, so gut? Was sich chronologisch so leicht darstellen lässt, ist in der damaligen Praxis alles andere als einfach. Die Zeit von der Idee bis zur Fertigstellung ist geprägt von Pleiten, Pech und Pannen. "Das waren Horrorzeiten", sagt der damalige niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) fünf Jahre nach der Eröffnung rückblickend. Anwohner etwa äußern schon früh Kritik und befürchten insbesondere durch die geplanten Bahn- und Autobahnanbindungen dauerhaften Lärm. Auch die Auftragsvergabe soll ein langes juristisches Nachspiel nach sich ziehen. 2007 wird dafür sogar ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. Das Ergebnis: An mindestens fünf Stellen war in unzulässiger Weise in das Vergabeverfahren eingegriffen worden. Und: Schon im Entstehen treten massive Bauschäden an der Kaje auf: rund 300 Risse in der stählernen Spundwand. Die teuren Reparaturarbeiten verzögern die Fertigstellung des Hafens um knapp zwei Jahre.

Lärmschutzwand für Rohrdommeln - und Hamburg springt ab

Auch Naturschützer haben angesichts der Hafenpläne große Sorgen: Sie befürchten die Zerstörung des einzigen Sandstrands in Wilhelmshaven, des Wattenmeers und der Brutgebiete bedrohter Vogelarten. Tatsächlich werden am Hafengelände die seltenen Rohrdommeln entdeckt - zu ihrem Schutz muss eine teure Lärmschutzwand her. Eine Bürgerinitiative hegt Zweifel an der Umweltverträglichkeit des neuen Containerhafens und auch an den wirtschaftlichen Prognosen, sprich: der Notwendigkeit des Projekts. Gerichte entscheiden allerdings zugunsten des JadeWeserPorts, die Bürgerinitiative stellt ihre Arbeit schließlich ein.

Außerdem zieht sich Hamburg 2002 aus dem Gemeinschaftsprojekt zurück - aus Sorge, mit dem JadeWeserPort eine Konkurrenz zum eigenen Hafen zu schaffen. Zwar gibt es 2011 erneut Gespräche über eine Beteiligung Hamburgs - die Hansestadt macht sie unter anderem aber abhängig von Niedersachsens Haltung zur Elbvertiefung. Es bliebt beim Ausstieg aus dem damals noch mit 385 Millionen Euro bezifferten Projekt.

JadeWeserPort über Jahre Spott und Häme ausgesetzt

All das führt über Jahre hinweg zu Spott und Häme in den Medien. Allein das NDR Satiremagazin Extra 3 setzt sich mehrfach mit den Pannen und den Verzögerungen auseinander. Ob Rohrdommel, die Ausbringung von Gülle für Graswuchs oder der Umschlag eines einzigen Containers: Die Satiriker haben ihr Fressen gefunden und nehmen den Tiefwasserhafen gar mit der Adaption eines Katastrophenfilms aufs Korn.

Deprimierender Start des JadeWeserPorts

Das Luftbild zeigt den Tiefseehafen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. © picture alliance / dpa Foto: Ingo Wagner
Die "Maersk Laguna" ist im September 2012 das erste Containerschiff, das den JadeWeserPort anläuft.

Auch nach der Fertigstellung braucht der Tiefwasserhafen einige Anlaufzeit, um in erfolgreiches Fahrwasser zu gelangen. Die ersten Jahre sind für den Betreiber und die Partner-Länder deprimierend. Außer dem Tiefkühl-Logistiker Nordfrost möchte zunächst niemand ansässig werden - die Folgen der Weltfinanzkrise von 2008 tun ihr Übriges. Ausgelegt für einen Jahresumschlag von 2,7 Millionen Standardcontainern (TEU) werden im ersten Betriebsjahr lediglich 76.000 TEU umgeschlagen, 2013 sind es mit 85.000 TEU nur geringfügig mehr. 2014 gibt es sogar einen Rückgang auf rund 67.000.

2015 wird der JadeWeserPort endlich auch im Liniendienst von Containerschiffen angefahren und verzeichnet mit 416.000 TEU einen großen Sprung in der Umschlagsbilanz. Dennoch verbucht Eurogate als Betreiber 2016 einen Verlust in Höhe von 20 Millionen Euro, vorübergehend gibt es sogar Kurzarbeit. Die Umschlagszahlen steigen zwar weiter an - bleiben von der möglichen Kapazität aber weit entfernt: 2018 sind es 655.000 TEU. 2020 kommt Corona-bedingt der erneute Einbruch: Der Umschlag sinkt auf 423.000 TEU.

Ziele in Asien, Nord- und Osteuropa

Acht Reedereien haben den JadeWeserPort derzeit fest in ihren Fahrplan aufgenommen. Sie verbinden Wilhelmshaven mit Zielen in Asien sowie in Nord- und Osteuropa. Dazu zählen zum Beispiel Maersk, MSC, und Hapag-Lloyd. Eine Hafenbahn verbindet das Güterverkehrszentrum und das Terminal direkt mit dem Hinterland. Außerdem besteht eine Anbindung an das europäische Schienennetzsystem. Auf 16 Gleisen könnten Züge schnell zusammengestellt und rangiert werden, so Eurogate. Der JWP hat eine direkte Anbindung an die Autobahn A29, deshalb können Lkw-Ladungen von dort aus gut ins Rhein- und Ruhrgebiet gebracht werden.

Es geht bergauf - aber mit viel Luft nach oben

Die "Majestic Maersk" liegt am 04.10.2013 an der Pier des JadeWeserPorts in Wilhelmshaven. © picture alliance / dpa Foto: Ingo Weber
Noch viel freier Platz: Auch wenn die Umschlagsmenge gestiegen ist, ausgelastet ist der Hafen längst nicht.

Trotz Corona-Pandemie geht es im Jahr 2021 wieder aufwärts. Mit mehr ungeplanten Schiffsanläufen und Pandemie-bedingten temporären Routenänderungen von Diensten aus anderen nordeuropäischen Häfen nach Wilhelmshaven spielt Corona dem Betreiber sogar in die Hände: Die Umschlagsmenge steigt mit 712.953 Standardcontainern (TEU) um 68,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Niedersachsens aktueller Wirtschaftsminister und Vorsitzender des JWP-Aufsichtsrats, Bernd Althusmann (CDU), zeigt sich über die Entwicklung erfreut: "Das ist nicht nur eine Steigerung gegenüber 2020, sondern auch das bisher beste Jahresergebnis des JadeWeserPorts seit seiner Betriebsaufnahme."

Zum Vergleich: Im Hamburger Hafen werden 2021 etwa 8,7 Millionen TEU umgeschlagen, in Bremerhaven rund 5 Millionen.

Ausbau des JWP trotz geringer Auslastung ein Thema

Bei Baukosten von am Ende rund 950 Millionen Euro dürfte die noch immer geringe Auslastung des JadeWeserPorts die Kritiker von damals bestätigen. Dennoch kommt immer wieder die Ausbau-Frage auf den Tisch. Bereits 2016 werden etwa 600 Millionen Euro für eine mögliche Erweiterung des Hafens ins Spiel gebracht - etwa um die Kaianlagen um knapp zwei Kilometer zu verlängern. Allerdings erst, wenn der Hafen seine Kapazität von 2,7 Millionen TEU pro Jahr ausschöpft. Das kann durchaus noch dauern. Dass Terminalbetreiber Eurogate bis 2024 rund 150 Millionen Euro in die Autmatisierung investieren will, mag helfen. Aber: "Einen genauen Zeitpunkt für einen Startschuss kann ich Ihnen nicht sagen", so Minister Althusmann 2021.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 21.09.2022 | 16:00 Uhr

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