Auf Helgoland werden bei der Übergabe der Insel an die Deutschen am 1. März 1952 die Flaggen von Helgoland (r), der Bundesrepublik Deutschland (Mitte) und Schleswig-Holsteins (l.) gehisst. © picture alliance Foto: Jochen Blume

Wie Helgoland wieder deutsch wurde

Stand: 07.03.2022 17:30 Uhr

Nach sieben Jahren britischer Besatzung weht auf der Nordseeinsel Helgoland seit dem 1. März 1952 wieder die schleswig-holsteinische Flagge. Die Helgoländer dürfen auf ihre Insel zurück - es ist es eine Heimkehr auf ein Trümmerfeld.

"Hisst Flagge!" - mit diesen Worten ist am 1. März 1952, fast sieben Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes, auch für Helgoland der Krieg endgültig vorbei. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Friedrich-Wilhelm Lübke nimmt die Insel feierlich in Besitz. Am Südhafen der Insel wehen die bundesdeutsche, die Helgoländer und die schleswig-holsteinische Flagge. Schon in der Nacht haben Helgoländer Fischer mit grünen, roten und weißen Signalfeuern - den Farben der Inselflagge - die neue Ära eingeläutet. Auf dem Festland läuten die Kirchenglocken - Helgoland darf wieder von Deutschen betreten und bewohnt werden.

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René Leudesdorff (l.) und sein Kommilitone Georg Hatzfeld stoßen am 22. Dezember 1950 im Flakbunker auf Helogland mit jewils einer Flasche Wein an im Flakkbunker © dpa Picture Alliance Foto: Jochen Blume

Mit Flaggen für eine freie Insel

Mit einem Freund besetzt René Leudesdorff Ende 1950 Helgoland, um für die Rückgabe der Insel zu demonstrieren. mehr

Die Proteste zweier Studenten läuten die Rückgabe ein

Was offizielle Eingaben der Bundesrepublik nicht zu bewerkstelligen vermochten, haben zwei Heidelberger Studenten mit einer einsamen Protestaktion erreicht: die Briten zur Rückgabe Helgolands zu bewegen. Kurz vor Weihnachten 1950 setzen der damals 22-jährige René Leudesdorff und der 21-jährige Georg von Hatzfeld in Begleitung zweier Journalisten auf die unbewohnte Insel über. In einer "friedlichen Invasion" besetzen sie den Roten Felsen, hissen die deutsche, die europäische und die Helgoländer Flagge und harren zwei Tage und Nächte in eisiger Kälte inmitten von Trümmern und Bombenkratern aus.

Drei Bewohner besichtigen am 1. März 1952 die völlig zerstörte Hauptstraße der Insel Helgoland. © dpa Foto: Jochen Blume
AUDIO: Die 50er: Helgoland wird wieder deutsch (1/12) (32 Min)

Helgoland schreibt international Schlagzeilen

Sie wollen ein Zeichen für ein friedliches Europa und gegen die Wiederbewaffnung setzen und fordern die Freigabe der Insel. Ihre Aktion ist unerwartet erfolgreich: In ganz Europa berichtet die Presse darüber, weitere "Inselbesetzer" folgen in den nächsten Wochen dem Beispiel der beiden Studenten und setzen auf die Insel über. Schon bald nehmen die Briten die Verhandlungen mit der Regierung Adenauer auf. Nur wenige Wochen später, am 21. Februar 1951, beschließt die britische Regierung, die Insel nach Jahren als britisches Sperrgebiet wieder freizugeben.

Warum blieben die Briten so lange auf Helgoland?

Dass Helgoland auch nach Kriegsende in britischer Hand bleibt, ist eine Folge der strategisch günstigen Lage in der Nordsee. Ab 1935 ließen die Nationalsozialisten die Insel zur Festung ausbauen, geplant war ein riesiger Flottenstützpunkt. Die Seefestung Helgoland besaß einen Militärflugplatz und ein riesiges Bunkersystem samt U-Bootbunker.

Banges Warten im Bunker beim Bombardement

Hanne-Lore Siemund 1945 in Helgoländer Tracht. © privat / Hannel-Lore Siemund-Dähn
Die Bombenangriffe auf Helgoland hat Hanne-Lore Siemund-Dähn als Kind in den Bunkern erlebt.

Hanne-Lore Siemund-Dähn, geboren 1939, ist auf Helgoland aufgewachsen. Die Bombenangriffe auf die Insel im Zweiten Weltkrieg erlebt sie in ebendiesem Bunkersystem: "Wenn Alarm war, dann gingen die ganz dicken Türen zu und eine Luftanlage ging an, sodass Sauerstoff reingepumt wurde für uns." Wenn die Bomben fielen, habe der ganze Bunker vibriert. "Und es war jedes Mal die Angst: Kommen wir wieder raus? Kommen wir nicht wieder raus?", erinnert sie sich im NDR Info Podcast.

Großer Bombenangriff in den letzten Kriegswochen

Am 18. und 19. April 1945 fliegen die Briten mit 979 Flugzeugen den letzten großen Bombenangriff des Zweiten Weltkriegs. Ziel ist Helgoland. 285 Menschen, großteils Soldaten, sterben, die meisten Einheimischen können sich in die Bunker retten. Ihre Häuser werden jedoch komplett zerstört. Einen Tag nach den Bombardements wird die Insel evakuiert, die rund 2.500 Helgoländer müssen aufs Festland ziehen. Unter ihnen ist auch Hanne-Lore Siegmund-Dähn. Durch die brennenden Trümmer sei sie zum Fähranleger gelaufen. Die Helgoländer reihen sich ein in Millionen von Vertriebenen, die infolge des Krieges ihre Heimat verlassen müssen, und werden in Norddeutschland verteilt. Am 11. Mai besetzen die Briten die Nordseeinsel.

"Operation Big Bang": Sollte ganz Helgoland weichen?

Rauchwolke über Helgoland nach der Sprengung am 18. April 1947. © picture-alliance / epd
Kilometerhoch steigt die Rauchwolke nach der Sprengung in den Himmel. Es ist die größte Explosion mit konventionellen Sprengstoff in der Geschichte.

Die Helgoländer sind fort, doch auf der menschenleeren Insel lagert weiter Munition, überall gibt es Bunker und andere militärische Anlagen. Die Briten beschließen, sämtliche Militäranlagen mit einer gewaltigen Sprengung zu zerstören. Am 18. April 1947 um 13 Uhr mittags zünden sie rund 6.700 Tonnen Sprengstoff an verschiedenen Stellen der Insel - die größte Explosion mit nicht-nuklearem Sprengstoff in der Geschichte der Menschheit. Eine kilometerhohe Rauchwolke steigt in den Himmel. Hanne-Lore Siegmund-Dähn steht mit anderen Helgoländern am Festland auf dem Deich und sieht den riesigen Rauchpilz am Himmel gesehen. Alle hätten geweint, erinnert sie sich. Ihr Onkel nimmt sich direkt im Anschluss an das Ereignis das Leben.

U-Boot-Bunker auf Helgoland in den 1930er-Jahren. © Museum Helgoland
Auch der U-Boot-Bunker, den die Nazis um 1942 erbaut hatten, wird im April 1947 gesprengt und komplett zerstört.

Bis heute hält sich die Annahme, dass die Briten mit der "Operation Big Bang" die gesamte Insel sprengen wollten. Historische Unterlagen sprechen dagegen. Demnach geht es den Briten um eine vollständige Zerstörung aller militärischen Anlagen - dass sie dabei auch Teile der Insel selbst zerstören könnten, nehmen sie allerdings billigend in Kauf. Insgesamt verliert Helgoland durch die Sprengung rund 70.000 Quadratmeter.

Nach 1947 gehen die Bombenabwürfe weiter

Auch in den Jahren nach der Sprengung gehen die Briten alles andere als zimperlich mit Helgoland um, das offiziell zum deutschen Staatsgebiet zählt. Die Insel bleibt militärisches Sperrgebiet und dient den Briten fortan als Ziel für Übungsbombardements. Sie ist unbewohnt, liegt weit entfernt vom Festland und doch nah genug, um für die britischen Flieger schnell erreichbar zu sein - ein ideales Trainingsziel für die Luftwaffe. Und so gehen die britischen Bombardements auf bundesdeutsches Staatsgebiet auch nach Kriegsende weiter. Der Bombenhagel zerstört das Inselmassiv immer weiter, tief graben sich die Bombenkrater in den Fels. Einigermaßen intakt bleibt nur der 1938 erbaute Flakleitturm, heute der Leuchtturm der Insel.

Bombentrichter, Trümmer und Geröll

Das zerstörte Helgoländer Oberland Ende der 40er-Jahre. Nur der ehemalige Leitturm für die Flugabwehr steht noch. © Museum Helgoland
Das Helgoländer Oberland Ende der 40er-Jahre. Nur der ehemalige Leitturm für die Flugabwehr bleibt unzerstört.

Nach ihrer Rückgabe am 1. März 1952 gleicht die Insel einem Trümmerfeld. Zwar sind die Bomben weitgehend geräumt, Fußwege zwischen den Trümmern sind markiert. Die Post hat einen Briefkasten aufgebaut und eine Funkverbindung hergestellt. Doch die Insel selbst ist nur noch "ein großer Haufen Felsbrocken und Geröll", erinnerte sich Helgolands letzter Leuchtturmwärter Willy Krüss einst im Gespräch mit dem NDR. Viele hätten bei dem niederschmetternden Anblick geweint. "Die gesamte Südspitze war weggesprengt. Überall gab es Bombentrichter und Trümmer - es war schockierend", erzählte vor einigen Jahren der mittlerweile verstorbene Paul Artur Friedrichs, der 1952 als Tischler am Wiederaufbau der Insel mitarbeitete.

"Egal, wie das Haus aussah - man war wieder nach Hause"

Drei Bewohner besichtigen am 1. März 1952 die völlig zerstörte Hauptstraße der Insel Helgoland. © dpa Foto: Jochen Blume
Drei Helgoländer auf dem ersten Besichtigungsrundgang über die Insel am 1. März 1952: Die Hauptstraße ist völlig zerstört.

Doch die Helgoländer Familien, die sieben Jahre auf ihre Heimkehr warten mussten, lassen sich nicht entmutigen. Zu ihnen gehört auch Erna Rickmers, Schwester des Kinderbuch-Autors James Krüss. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 2012 erinnerte sie sich an die Tage der Rückkehr: "Wir wussten, irgendwann geht es wieder zurück. Die Hoffnung starb nie. Als das Ziel dann erreicht war, das war schon ein ungeheures Glücksgefühl", so Rickmers. "Es konnte ganz egal sein, wie das Haus aussah, aber man war wieder zu Hause."

Wiederaufbau geprägt von Stolz und Furcht

Auch der Vater von Hanne-Lore Siegmund-Dähn geht zurück nach Helgoland, als die Insel wieder deutsch ist, und hilft beim Wiederaufbau mit. Stolz sei sie auf ihn gewesen - habe aber gleichzeitig um sein Leben gefürchtet, da die Insel zu diesem Zeitpunkt noch immer übersät ist mit Sprengkörpern.

Bei den meisten ist der Wille zum Wiederaufbau groß. Schon im Sommer 1952 kommen die ersten Badegäste auf die Düne, 1962 wird Helgoland Nordseeheilbad.

Schon bald entwickelt sich die Hochseeinsel auch wegen der Möglichkeit zum zollfreien Einkaufen zu einem beliebten Ausflugs- und Urlaubsziel. Der Tourismus entwickelt sich zur Haupteinnahmequelle der Insulaner. Der Vorschlag, die Hauptinsel und die Düne durch Landaufschüttung wieder zu vereinen, um so neue touristische Flächen zu gewinnen, scheitert im Jahr 2011 in einem Bürgerentscheid - die Insel behält ihre charakteristische Zweiteilung. Heute sieht man Helgoland kaum noch an, dass es auf einem Trümmerfeld wiedererrichtet wurde. Nur vereinzelte Betontrümmerteile und überwachsene Bombentrichter erinnern an das Schicksal der Insel.

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Doku & Reportage | 06.03.2022 | 18:45 Uhr

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