Beate Uhse: Die umstrittene Sexshop-Pionierin
Beate Uhse gilt als erfolgreichste Unternehmerin der deutschen Nachkriegszeit, ist wegen ihrer Rolle in der NS-Zeit und ihrer Erotik-Geschäfte aber auch umstritten. Am 25. Oktober 1919 wurde sie geboren, sie starb 2001.
Erst Pilotin, dann Pionierin in der Erotik-Branche: Beate Uhses Leben klingt wie ein spannender Erfolgsroman über eine mutige Frau, die auf gesellschaftliche Konventionen pfeift und oft aneckt. Im Zweiten Weltkrieg fliegt sie für die Deutsche Wehrmacht. Über ihre Haltung in der NS-Zeit schweigt sie sich später aus - wie so viele ihrer Generation. Und weil sie in den Nachkriegsjahren eine Marktlücke entdeckt und die Deutschen in Sachen Sex aus dem Dornröschenschlaf erweckt, verdient sie Millionen mit Aufklärung und Erotik. In den 60ern wird Sexualität zum öffentlichen Thema - auch dank Beate Uhse. Doch ihre Rolle ist mehr die einer knallharten Geschäftsfrau denn die einer Feministin, die die Emanzipation von Frauen fördert.
Sexualität und Sexualhygiene schon Thema im Elternhaus
Geboren am 25. Oktober 1919 in Ostpreußen, wächst Beate Dorothea Köstlin als jüngstes von drei Kindern in privilegierten, weltoffenen Verhältnissen auf: Ihr Vater Otto unterhält als Landwirt ein großes Gut in Wargenau, ihre Mutter Margarete Köstlin-Räntsch ist eine der ersten Ärztinnen in Deutschland. Die kleine Beate sitzt schon mit drei Jahren lieber auf einem Pferd, statt mit Puppen zu spielen. Beide Eltern klären ihre Kinder früh auf, sie sprechen mit ihnen offen über Sexualität und Sexualhygiene. Die junge Beate besucht reformpädagogische Internate auf Juist und im Odenwald. Sie ist sportlich, lernt segeln und wird als 15-Jährige hessische Meisterin im Speerwurf. Nach der Reifeprüfung mit 16 geht sie als Au-pair für ein Jahr nach England und bessert ihre Sprachkenntnisse auf. Zurück in Wargenau bei Cranz absolviert sie auf Wunsch der Mutter eine hauswirtschaftliche Ausbildung auf dem elterlichen Gut.
Mit 18 Jahren hat Uhse den Pilotenschein in der Tasche
Doch die junge Frau strebt nach Höherem: Fasziniert von Charles Lindberghs Transatlantikflug im Jahr 1927 hegt sie schon früh den Wunsch, Pilotin zu werden. Ihre fortschrittlich denkenden Eltern unterstützen sie bei ihrem Berufswunsch. Und so nimmt sie im August 1937 ihre erste Flugstunde in einer Fliegerschule bei Berlin. Bereits drei Wochen später absolviert sie ihren ersten Alleinflug. Sie fliegt Sportflugzeuge und Doppeldecker. An ihrem 18. Geburtstag bekommt sie ihren Pilotenschein - als einzige Frau unter 60 Flugschülern.
Von November 1937 bis April 1938 durchläuft sie als Praktikantin bei Bücker Flugzeugbau in Rangsdorf alle Betriebsbereiche - und beginnt mit der Kunstflugschulung. Ihr Fluglehrer ist Hans-Jürgen Uhse, ihr späterer Ehemann. Sie nimmt an Luftrennen und Kunstflug-Wettbewerben teil. 1938 wechselt sie als Testpilotin zum Flugzeugwerk Alfred Friedrich in Strausberg. Als Stunt-Pilotin wirkt sie darüber hinaus in Filmen des Filmunternehmens UFA mit und doubelt unter anderem so bekannte Schauspieler wie René Deltgen in heiklen Stuntszenen.
Beate Uhse wird Pilotin bei der Deutschen Wehrmacht
Am 28. September 1939 gibt die 19-Jährige Beate dem Fliegeroffizier Hans-Jürgen Uhse im Rahmen einer Kriegstrauung das Ja-Wort. 1943 kommt der gemeinsame Sohn Klaus zur Welt. Nur ein Jahr später, im Mai 1944, verunglückt ihr Mann bei einer Flugzeugkollision im Kriegseinsatz tödlich. Die junge Mutter überführt indessen als Pilotin der Luftwaffe bis 1945 in einem Geschwader Jagdflugzeuge von Berlin-Tempelhof an die Front. Sie bekleidet den Rang eines Hauptmanns und gehört zu den wenigen Pilotinnen der Deutschen Wehrmacht.
Flucht vor Roter Armee: Im Flieger nach Schleswig-Holstein
Als die Rote Armee in Berlin einmarschiert, flieht die junge Witwe im April 1945 mit einem Flugzeug von Gatow aus nach Schleswig-Holstein. Mit an Bord sind auch ihr Sohn und das Kindermädchen. Nach Kriegsende verbringt Beate Uhse sechs Wochen in britischer Kriegsgefangenschaft nahe der deutsch-dänischen Grenze. Sie erholt sie von einem Bruch beider Beine, lernt wieder laufen. Als Flüchtling lebt Beate Uhse mit ihrem Sohn zunächst in der Schulbücherei im 400-Einwohner-Dorf Braderup. Da die Besatzungsmächte fliegerische Tätigkeiten verbieten, schlägt sich die mittelose Mutter mit verschiedenen Jobs durch: Sie arbeitet in der Landwirtschaft, gibt Englischunterricht und verkauft Spielwaren.
"Schrift X" klärt über Empfängnisverhütung auf
Nebenbei berät die aufgeklärte Beate Uhse junge Frauen über Schwangerschaftsverhütung. Viele wollen aufgrund von Wohnungsnot und Zukunftsängsten keine Kinder bekommen. Trotzdem werden viele ungewollt schwanger. Sie macht sich das Bedürfnis nach Aufklärung zunutze und schreibt auf zwei DIN-A6-Seiten unter dem Titel "Schrift X" über Empfängnisverhütung nach der Knaus-Ogino-Methode, dem sogenannten Tagezählen. "Es sollte das selbstverständliche Recht jedes Menschen sein, die Größe seiner Familie je nach seinen sozialen Verhältnissen zu bestimmen", schreibt sie darin. Für den Druck der ersten 1.000 Exemplare bezahlt Beate Uhse fünf Pfund Butter. Doch hinter der Geschäftsidee steckt nicht allein der Wunsch nach Aufklärung und uneigennütziger Idealismus - die junge Witwe muss schlicht Geld verdienen.
Mit "Ewe" Rotermund und den Kindern nach Flensburg
1947 lernt sie den Flensburger Kaufmann Ernst-Walter "Ewe" Rotermund kennen. Der Freiluft- und Öko-Fanatiker hilft ihr bei der Vervielfältigung der Broschüre. Schließlich verkauft sie rund 32.000 Exemplare zu zwei Reichsmark pro Heftchen und verdient sich damit ein Startkapital für weitere Geschäfte. Zwei Jahre später heiratet Beate Uhse ihre große Liebe "Ewe" Rotermund. Er bringt Sohn Dirk und Tochter Bärbel mit in die Ehe. Sie ziehen in eine Wohnung nach Flensburg. Bereits im Mai desselben Jahres wird der gemeinsame Sohn Ulrich geboren.
Uhse gründet Erotik-Versandhaus - und landet vor Gericht
1951 gründet die vierfache Mutter mit vier Angestellten das "Versandhaus Beate Uhse". Sie verkauft nicht nur Liebes-Dragees und Negligés, sondern auch Kondome und Dildos. Noch im gleichen Jahr landet sie dafür erstmals vor Gericht, denn sogenannte Gummipeter zur Selbstbefriedigung gelten im Sinne des Paragrafen 184 als unzüchtige Gegenstände. Immer wieder kommt es zu Anklagen, doch die Unternehmerin gewinnt fast alle der insgesamt rund 2.000 Verfahren, davon allein 500 wegen Beihilfe zur Unzucht. 1953 beschäftigt das Unternehmen bereits 14 Mitarbeiter, drei Jahre später übersteigt der Umsatz die Millionengrenze. Anfang der 1960er-Jahre hat die Firma bereits fünf Millionen Kunden.
"Fachgeschäft für Ehehygiene": Der erste Sexshop der Welt
Doch Beate Uhse ist rastlos, will weiter expandieren. Und so kommt 1962 der nächste Schritt: In einer Zeit, in der Sex ohne Trauschein noch immer als Unzucht gilt, eröffnet sie am 17. Dezember in der Angelburger Straße 58 in Flensburg das "Fachgeschäft für Ehehygiene". Hinter dem Laden mit dem dezenten Namen verbirgt sich nicht weniger als der erste Sexshop der Welt - und der Grundstein für Uhses Erotik-Imperium. Ihr Anwalt hatte ihr geraten, das Geschäft zu Weihnachten zu öffnen, da in dieser Zeit weniger Übergriffe empörter, piefiger Bürger zu befürchten seien. Schon bald folgt eine Filiale in Hamburg, nach und nach kommen Geschäfte in weiteren deutschen Großstädten hinzu.
Medien titeln mit "Beate Schweinkram" und "Orgas-Muse"
Erneut gibt es Strafverfahren gegen Beate Uhse, die Presse betitelt sie als "Orgas-Muse", "Beate Schweinkram", "Lustmacherin" und "Sexshop-Königin". Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels verweigert ihrem Verlag wegen sittlicher Bedenken die Mitgliedschaft, ebenso der Flensburger Tennisclub. Uhse baut sich daraufhin einen eigenen Platz. Sie ist so erfolgreich, dass sie sich auch eine eigene Cessna kaufen kann. 1969 wird das neue Firmengebäude eröffnet, das die Bürger "Sexeck" taufen - es beheimatet das erste Großraumbüro Europas, in dem auch Beate Uhses Schreibtisch steht. Sie ist für jeden Mitarbeiter ansprechbar, alle nennen sie nur Beate. 1970 sponsert sie das Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn - auch um ihre Marke in der Hippie- und Studentenszene bekannt zu machen.
So erfolgreich Beate Uhse im Geschäft ist - im Privaten läuft es weniger gut. Das Paar Rotermund lebt sich auseinander. Ihr Mann hat schon seit Jahren Affären, 1972 scheitert die Ehe schließlich.
Mit Porno-Filmen erntet Beate Uhse Groll von Feministinnen
Mit der Legalisierung der Pornografie 1975 steigt die Unternehmerin in den Verkauf von Videos ein. Für Feministinnen wie Alice Schwarzer vollzieht sich spätestens hier eine eklatante Zäsur: Warum lässt eine Frau - vornehmlich für die männliche Klientel - Filme drehen, die Frauen zu Objekten machen und Gewalt verherrlichende Szenen enthalten? Kritiker bemängeln deshalb bis heute, dass es ihr nie um die Gleichberechtigung der Frau gegangen sei, sondern immer nur um Gewinn. An Beate Uhse perlt die Kritik ab, sie sagt dazu 1985 in der "Zeit": "Ich bin nicht Jesus, sondern Unternehmer."
Während das Geschäft mit Sex weiter boomt, zerstreiten sich die Söhne. 1981 wird die Firma aufgeteilt, mit dem Orion Versand entsteht ein Konkurrenzunternehmen. 1983 bekommt Uhse die Diagnose Magenkrebs, sie wird geheilt. Ihr Sohn Klaus hingegen verliert den Kampf gegen die tückische Krankheit, er stirbt 1984.
Börsengang der Beate Uhse AG: Aktie geht durch die Decke
Noch mit 75 Jahren macht die sportbegeisterte Unternehmerin auf den Malediven den Tauchschein. Es folgen Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz 1989. 1997 bekommt sie den Venus Award, der Filmpreis der Erotik-Branche, für ihr Lebenswerk. In der Laudatio heißt es: "Sie ist schlicht und einfach die Pionierin der gesamten Erotik-Branche". 1999 folgt der Börsengang der Beate Uhse AG - die Aktie geht durch die Decke, ist allerdings völlig überzeichnet.
Zwei Jahre später, am 16. Juli 2001, stirbt Beate Uhse mit 81 Jahren an einer Lungenentzündung in der Schweiz. Den Untergang ihres Unternehmens erlebt sie nicht mehr - nach gescheiterten Umschuldungen und Anleihen meldet es 2017 Insolvenz an. Seit 2020 firmiert das Unternehmen als Beate Uhse Group BV in Veendam (Niederlande).
Kritik von Feministinnen an Beate Uhse bleibt
Auch nach ihrem Tod bleibt Beate Uhse eine kontrovers diskutierte Persönlichkeit. Privat sehnte sie sich offenbar nach Liebe, geschäftlich war sie auf der Jagd nach Sex für andere. So sehr sie von vielen für ihren Mut, ihr unternehmerisches Gespür und ihren offenen Umgang mit Sexualität bewundert wurde - insbesondere bei Feministinnen bleibt ein Stachel in der Betrachtung.
Die Zeitschrift "Emma" fällt in einem Porträt 2019 ein hartes Urteil: "Beate Uhse ist eine Emanze. Eine, die sich auf Kosten von Frauen emanzipiert und es mit Kerlen hält. Eine, die alles kann und alles tut. Eine, die immer dabei ist. An vorderster Front. Seite an Seite kämpft sie mit den Kameraden. Im Nazi-Krieg wie im Sex-Krieg. Gestern mit Bomben. Heute mit Pornos."