Der Internationale Frauentag 1982 am 08.03.1982 in Düsseldorf. © picture-alliance /dpa Foto: Klaus Rose

Der Frauentag und der lange Kampf um Gleichberechtigung

Stand: 08.03.2024 05:00 Uhr

Seit mehr als 100 Jahren demonstrieren Frauen am 8. März mit dem Internationalen Frauentag für mehr Rechte und Gleichstellung. Schon zuvor gab es Frauentage - und der Kampf gegen Diskriminierung reicht deutlich weiter zurück.

von Stefanie Grossmann

Der 26. August 1910 ist als ein bedeutender Tag für alle europäische Frauen in die Geschichte eingegangen: In Kopenhagen kommen damals in einem Verbandshaus der dänischen Gewerkschaften mehr als 100 Delegierte aus 17 Nationen zur II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz zusammen. Auf Betreiben von amerikanischen Sozialistinnen, angeführt von May Wood Simons, sollen die Teilnehmerinnen den 1908 in den USA eingeführten Frauentag weltweit initiieren. Allein aus Deutschland sind zwölf Delegierte angereist. An vorderster Front: die Frauenrechtlerin und Sozialistin Clara Zetkin und die Gewerkschafterin und Sozialdemokratin Käte Duncker. Gemeinsam bringen sie den Antrag zur Durchführung eines Frauentags zur Abstimmung ein - mit Erfolg. Dieser wird einstimmig angenommen, ohne ein festes Datum zu benennen.

"Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient." Renate Wurms: "Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht. Der Internationale Frauentag. Zur Geschichte des 8. März", 1980

"Brot und Rosen" - Ein Lied prägt die Frauenbewegung 

Streikposten beim Näherinnen-Streik in New York 1909 © picture alliance / Courtesy Everett Collection | Library of Congress
1909 traten Näherinnen in New York in einen Generalstreik für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.

Für Frauen beginnt mit diesem Datum eine neue Zeitrechnung im Kampf gegen Unterdrückung, politische Ignoranz, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, unzumutbare Arbeitszeiten sowie Wohn- und Lebensumstände. Aber schon viel früher gehen weltweit Arbeiterinnen für mehr Rechte auf die Straße - und riskieren dafür Gefängnisstrafen oder sogar ihr Leben.

In den USA sind es vor allem Textilarbeiterinnen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf die prekäre Situation von Frauen aufmerksam machen. 75 Wochenstunden Arbeit für einen Hungerlohn treiben 1909 rund 20.000 Näherinnen in New York auf die Straße. 13 lange Winterwochen streiken sie für mehr Rechte, bis die Unternehmen schließlich nachgeben. Als Resultat begehen Arbeiterinnen in Nordamerika schon am 20. Februar 1909 einen nationalen Frauentag. 1912 streiken in Lawrence in Massachusetts rund 20.000 Textilarbeiterinnen und auch -arbeiter und skandieren als Parole das Lied "Brot und Rosen", das seitdem zur Frauenbewegung gehört. Es geht darin nicht nur um ein lebenswertes Leben - die Rosen gelten als Symbol für die Wertschätzung von Frauen in einer von Männern dominierten Gesellschaft.

Suffragetten radikalisieren sich in Großbritannien

Die britische Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst (2.v.r.) mit ihrer Tochter Christabel (r) und anderen Sufragetten bei einem Treffen im Clements Inn in London 1908. © picture-alliance /dpa
Die Suffragetten um Emmeline Pankhurst (2.v.r.) setzten sich in Großbritannien mit radikalen Aktionen für das Frauenstimmrecht ein.

Auch in Großbritannien organisieren sich Frauenrechtlerinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ein allgemeines Wahlrecht und mehr Gleichberechtigung. Nachdem sie mit politischer Überzeugungsarbeit nicht weiterkommen, verschaffen sich die Suffragetten um Anführerin Emmeline Pankhurst mit militanten Protestaktionen Gehör. Sie stören öffentliche Veranstaltungen, werfen Scheiben ein, zünden Briefkästen an. Darüber hinaus brechen sie durch das Rauchen in der Öffentlichkeit gesellschaftliche Tabus. Sie riskieren Haftstrafen, treten im Gefängnis in Hungerstreiks und müssen schmerzhafte Zwangsernährung über sich ergehen lassen.

Deutsche Frauenrechtlerinnen agieren zunächst im Verborgenen

Demonstrationszug in Berlin, anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März (1911). © Deutsches Bundesarchiv Foto: Otto Haeckel
In Berlin demonstrierten Frauen im Jahr 1911 für das Recht wählen zu gehen.

So offensiv politisch wie die Britinnen zu agieren, davon können Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland nur träumen. Die Verfechterinnen von Frauenrechten sind rechtlos, sie dürfen sich nicht politisch engagieren oder einer Partei beitreten, nicht mal an Sitzungen teilnehmen. Deshalb tarnen sie ihre politischen Aktivitäten in Bildungsvereinen, Handarbeitskreisen oder Lesezirkeln. Das tun sie mit großem Engagement, häufig bis zur totalen Selbstaufgabe. Denn der Kampf für Frauenrechte lässt sich mit der typischen Frauenrolle in dieser Zeit - als Mutter und Hausfrau - nur schwer vereinbaren. Erst mit Beschluss des preußischen Reichsvereinsgesetz am 15. Mai 1908 werden die Verbote aufgehoben und Frauen dürfen sie sich in politischen Vereinigungen engagieren. Die politische Mehrheit für diesen juristischen Meilenstein ist auch dem unermüdlichen Engagement von bürgerlichen und proletarischen Frauen zu verdanken.

Clara Zetkin ruft 1911 zum ersten Internationalen Frauentag auf 

Ausgabe der Zeitung "Die Gleichheit" vom 13. März 1911 © gemeinfrei
Herausgeberin Clara Zetkin ruft in der Zeitung "Die Gleichheit" zur Teilnahme am ersten Internationalen Frauentag am 19. März 1911 auf.

Während es bürgerlichen Frauenbewegungen in erster Linie um das Frauenwahlrecht geht, strebt die sozialistische Frauenbewegung nach viel mehr: Schutz von Arbeiterinnen, soziale Fürsorge für Mutter und Kind, die Gleichbehandlung von ledigen Müttern, das Angebot von Kinderkrippen und -gärten, freies Schulessen und Freiheit von Lehrmitteln. Ziele sind auch die internationale Solidarität und die intensive Zusammenarbeit von organisierten Frauen. Am 13. März 1911 erscheint in der Zeitung "Die Gleichheit", deren Herausgeberin Clara Zetkin ist, ein Aufruf, sich aktiv am ersten Internationalen Frauentag zu beteiligen: "Genossinnen! Arbeitende Frauen und Mädchen! Der 19. März ist euer Tag. Er gilt eurem Recht." Eine Millionen Menschen folgen in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz dem Aufruf, den sowohl die SPD als auch die Gewerkschaften unterstützen. Der 19. März kommt einer Provokation gleich, lehnt er sich doch an den 18. März an - dem Gedenktag an die "Märzgefallenen" von 1848. Denn der Frauentag engagiert sich auch für politische und ökonomische Rechte und gegen Krieg, Ausbeutung und Entrechtung.

Entwicklung des Frauentags im Überblick

Erster Weltkrieg: Frauentag gerät in die Grauzone

Das zeigt sich im Zuge der zunehmenden Militarisierung in den Jahren 1913 und 1914, als sich der Frauentag in Protesttage für Pazifismus verwandelt. Im Ersten Weltkrieg sind kritische Frauenveranstaltungen vonseiten der SPD nicht erwünscht. Deshalb bewegt sich der Frauentag mit seinen politischen Aktionen am Rande der Legalitat. Organisatorinnen drohen Repressalien. 1917 wird dann ein entscheidendes Jahr. Enttäuschte Sozialisten spalten sich von der SPD ab und gründen aus Protest die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Grund für die Spaltung sind die Bewilligung von Kriegskrediten und die Unterstützung des Krieges. Die USPD beschließt sofort die Fortführung des Internationalen Frauentages und organisiert vom 5. bis 12. Mai 1917 eine "Rote Woche". Auch im Jahr darauf initiieren linke Kräfte in der Partei einen Frauentag, der am 100. Geburtstag von Karl Marx, dem 5. Mai 1918, stattfindet.

Zwei Frauentage machen sich Konkurrenz

Clara Zetkin, aufgenommen während des Internationalen Kongresses für gesetzlichen Arbeitsschutz im Jahre 1897 in Zürich. © picture-alliance /akg-images
Die Sozialistin und spätere Kommunistin Clara Zektin kämpfte unermüdlich für Frauenrechte.

Mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts im November 1918 scheint der Frauentag an Bedeutung zu verlieren. Zumal durch die Spaltung der Sozialistinnen in SPD und KPD im Jahr 1919 außerdem zwei Frauentage nebeneinander existieren. Um dem Frauentag mehr Nachdruck zu verleihen, braucht es deshalb einen neuen Entwurf. Sowohl 1919 als auch 1920 scheitern Anträge der SPD für einen Frauentag. Ein Jahr später, im Juni 1921, ist Clara Zetkin erneut die treibende Kraft im Kampf um Frauenrechte. Sie ist mittlerweile Mitglied der KPD und leitet die Zweite Internationale Konferenz der Kommunistinnen.

1921 wird der 8. März für den Frauentag etabliert

Das Ergebnis dieses Treffens: Der Internationale Frauentag soll einheitlich weltweit am 8. März stattfinden. Das Datum erinnert an den Streik russischer Textilarbeiterinnen gegen das zaristische Russland. Am 8. März 1917 waren in St. Petersburg massenhaft Frauen unter dem Motto "Frieden und Brot!" auf die Straße gegangen. 1923 zieht die SPD schließlich nach. Auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Arbeiterinternationale 1923 in Hamburg beschließen Adelheid Popp und Marie Juchacz die Wiedereinführung des in Kopenhagen beschlossenen Frauentages. Termin und Themen bleiben Frauen in den verschiedenen Ländern freigestellt. Erst 1926 berufen beide Parteien in Kooperation mit Gewerkschafterinnen einen Frauentag ein - für allgemeinen Weltfrieden und mehr internationale Solidarität.

Drittes Reich: Der Muttertag verdrängt den Frauentag

Einen erneuten und umso härteren Dämpfer erlebt der Internationale Frauentag mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. An seine Stelle tritt der Muttertag. Doch der findet in der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung keine Zustimmung. Auch in den Gewerkschaften spielt er keine Rolle. Da die sozialistische Bewegung maßgeblich an der Entstehung des Frauentages Anteil hat, ist er bis 1945 offiziell verboten. Trotz Verbots besteht der Internationale Frauentag weiter, allerdings eher im Verborgenen, im Privaten - und nicht mehr in Form von Demos auf der Straße. Der 8. März ist jetzt ein Symbol von Widerstand und sozialistischem Wirken im Untergrund. So legen Sympathisantinnen illegale Flugblätter aus oder sie setzen ein Zeichen, indem sie rote Gegenstände an Fenstern oder Wäscheleinen "auslüften".  

Nachkriegszeit: Im Westen verliert der Frauentag an Bedeutung 

Frauentagsfeier in der DDR (Universität Jena) im Jahr 1956 © Zentralbild/Universität Jena
In der DDR finden in den 50ern Kaffeetafeln zum Ehrentag der Frauen statt - wie hier an der Universität Jena.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mit der Aufteilung Deutschlands wird auch der Frauentag zweigeteilt. In der sowjetisch besetzten Zone findet bereits 1946 wieder ein Frauentag statt. Ein Jahr später, nach Gründung des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD) im März 1947 in Berlin, wird der 8. März zum Kampftag für Frauen erklärt. Vor allem in Betrieben gehört er von nun an zum guten Ton. Es werden Reden über sozialistische Errungenschaften gehalten, zu denen auch die Gleichberechtigung von Frauen gehört. Am Ehrentag der Frauen gibt es außerdem Kaffeetafeln, bei denen Auszeichnungen und rote Nelken überreicht werden. In Westdeutschland kommt das Engagement nahezu zum Erliegen. 1950 findet zwar eine Feier zum 40. Geburtstag des Internationalen Frauentages unter dem Motto "Durch soziale Gerechtigkeit zum Weltfrieden" statt. Doch in großen Teilen der SPD herrscht Skepsis gegenüber Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag. Und so geht die Herzensangelegenheit eines politischen Aktionstages für Frauen bei Sozialdemokratinnen und Gewerkschafterinnen bis in die 60er-Jahre hinein verloren.

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Während die Frauen in der DDR in den Folgejahren die "Verwirklichung der neuen Stellung der Frau" alljährlich am 8. März feiern, gewinnt der Internationale Frauentag in Westdeutschland erst in den späten 1960er-Jahren und zu Beginn der 1970er-Jahre wieder an Bedeutung. Hintergrund ist das Entstehen neuer Bewegungen: Engagierte Frauen solidarisieren sich mit der Studentenbewegung gegen den "Muff von 1.000 Jahren unter den Talaren". Darüber hinaus protestieren sie gegen den Paragrafen 218 und fordern Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen. Sie setzen sich für gleiche Berufschancen ein und gegen die Diskriminierung von Lebensformen außerhalb der Ehe ein.

Feiertag auch in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin

Schließlich setzt sich der 8. März wieder als gemeinsamer Kampftag durch. 1975 erklären die Vereinten Nationen das Datum zum "Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden". Mittlerweile ist der Internationale Frauentag in insgesamt 26 Ländern der Erde gesetzlicher Feiertag. In Deutschland führt das Bundesland Berlin den Ehrentag für Frauen 2019 als gesetzlichen Feiertag ein. 2023 folgte Mecklenburg-Vorpommern nach einem Beschluss des Schweriner Landtags. Somit ist nun auch im Nordosten der 8. März arbeitsfrei.

Mit ihrem unermüdlichen Engagement haben Frauen seit Beginn der Bewegungen zwar bereits einiges erreicht. Aber der lange Kampf um Gleichberechtigung ist längst noch nicht beendet. Und so klingen die Ziele des Frauentags heute nicht viel anders als vor über einem Jahrhundert - und genauso nötig: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, bessere Aufstiegschancen und Arbeitsbedingungen und mehr Rechte gegen Gewalt und Sexismus.

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