Verhütungsmittel werden neben Sex-Magazinen und anderen Artikeln aus dem Sex- und Porno-Bereich in einem Laden der Beate-Uhse-Gruppe im Osten Berlins angeboten. Zuvor hatte das Geschäft einen Intershop-Laden der DDR beherbergt, in dem für harte Devisen West-Ware gekauft werden konnte. Aufgenommen am 30. Oktober 1990. © picture-alliance / dpa Foto: dpa

Sex sells: Beate Uhse erobert 1989 den Osten

Stand: 15.07.2021 13:15 Uhr

Das Weihnachtsgeschäft 1989 war für Beate Uhse ein besonderes lukratives: Tausende neuer Kunden aus der DDR hat das Flensburger Erotik-Unternehmen damals nach dem Mauerfall über den Versandhandel gewonnen.

von Ilka Kreutzträger

"Nicht die Großen werden die Kleinen, sondern die Schnellen werden die Langsamen fressen." Dieses Motto von Beate Uhse soll sich im Weihnachtsgeschäft 1989 wieder einmal auszahlen. Als am 9. November in Berlin die Mauer fällt, erkennt die Flensburger Unternehmerin sofort, welche Chancen auf dem noch unerschlossenen Markt der DDR warten. Eine Erotik-Branche gibt es nicht. Alles vom Sexshop über Pornofilme bis zum Striptease gilt im Arbeiter- und Bauernstaat als dekadenter Auswuchs des Kapitalismus und ist verboten.

Wunschliste der DDR-Bürger beschert Uhse ein dickes Plus

Beate-Uhse-Katalog Mini. © Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Angelika Voß-Louis
Beate-Uhse-Katalog aus dem Jahr 1989. Bereits im November verteilt das Unternehmen in den grenznahen Gebieten 25.000 Stück.

Schon im November 1989 hat Beate Uhse entschieden, 25.000 Kataloge drucken zu lassen und in den grenznahen Gebieten zu verschenken. Die Aktion wird ein voller Erfolg: Mehr als 7.500 Bestellungen gehen bis Ende des Jahres ein und bescheren dem Unternehmen ein dickes Weihnachtsgeschäft. Ganz oben auf der Wunschliste der DDR-Bürger stehen das Magazin "Der Penis in Wort und Bild", das Buch "Lustgewinn in der Ehe", der Film "Strandorgien 90 min" und das Spielzeug "Hoppe-Peter", ein Plastik-Schniedel zum Aufziehen für 5,90 DM.

600.000 Erotik-Kataloge für die DDR 

Der Versandhandel scheint also der richtige Weg zu sein, um in der DDR Fuß zu fassen - und so beschließt die engagierte Geschäftsfrau Beate Uhse, ihre Mitarbeiter auf eine Verkaufstour durch die DDR zu schicken. Sie mietet 16 Lkw und lässt 600.000 Sonderkataloge mit dezentem weißem Einband und einem Gewinnspiel für den DDR-Markt herstellen. Die Druckerzeugnisse sollten für fünf Ostmark unter die Leute gebracht werden. Dann macht sie sich auf die Suche nach Katalog-Verkäufern und findet viele Freiwillige, darunter den damals 27-jährigen Jürgen Schulz.

Der Absolvent der Wirtschaftswissenschaften hat bei Beate Uhse gerade erst seinen Job als Controller angefangen und meldet sich sofort für den "erotischen Aufbau Ost". "Das war ein richtiges Abenteuer", erinnert er sich 20 Jahre nach dem Einsatz im Gespräch mit dem NDR. "Ich habe hier eigentlich einen Bürojob gemacht, aber ich fand es spannend, mal den direkten Kontakt mit Kunden zu haben - und war natürlich auch sehr neugierig darauf, wie es in der DDR sein würde."

Geschenke für die Grenzer, Doppelbett für die Verkäufer

Bus für den Katalog-Verkauf 1990 vor der Abfahrt in Flensburg. © Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Angelika Voß-Louis
Mit etwas Westgeld, einer Straßenkarte und einem 25 Jahre älteren Kollegen bricht Schulz in solch einem Bus 1990 ins Einsatzgebiet Ost auf.

Mit einem 25 Jahre älteren Kollegen - dem Haustechniker der Firma -, etwas Westgeld und einer Straßenkarte bricht Schulz im Frühjahr 1990 auf in sein Einsatzgebiet. "Wir machten uns schon ein wenig Sorgen, ob wir einfach so, mit Tausenden Katalogen an Bord, über die Grenze kommen würden", so Schulz. "Wir haben deswegen kleine Geschenke wie Kugelschreiber und Kalender für die Grenzer mitgenommen." Die freuen sich offenbar über die Mitbringsel mit den aufgedruckten nackten Damen und lassen die beiden passieren.

Schnell stellt sich heraus, dass der fremde DDR-Alltag so seine Tücken hat. Gibt es in einer Ortschaft kein Hotel, müssen die beiden Handlungsreisenden mit einem Zimmer in einem der Plattenbau-Arbeiterwohnheime vorliebnehmen. Vor ein Problem stellt sie auch der obligatorische tägliche Anruf beim Koordinator der Aktion in Ost-Berlin. Ihm müssen die Mitarbeiter damals melden, wie viele Bestellhefte sie am Tag verkauft haben. Doch Handys gibt es noch nicht und öffentliche Telefone stehen nur bei der Post, im Hotel oder in den Arbeiterwohnheimen zur Verfügung. Die Verbindung reißt oft sofort wieder ab - oder kommt gar nicht erst zustande. Ein kurzer Anruf nimmt so schnell mehr als eine Stunde in Anspruch. Zu allem Überfluss müssen sich die Kollegen nach einem langen Verkaufstag und der unvermeidlichen Telefon-Odyssee oft auch noch ein Doppelbett teilen.

Das ganze Jahr lang Weihnachten?

Die nächste Überraschung gibt es beim Einkauf im Konsum, dem DDR-Pendant zum Supermarkt. Dort lernen die beiden schnell, dass echte Ladenhüter in der sozialistischen Warenwelt wirklich lange Bestand haben - und nicht so schnell aus den Regalen verschwinden. "Einmal wollten wir einen kleinen Klapptisch für unsere Kasse kaufen", erzählt Schulz von einem Einkauf. "Es war Frühling, und da standen doch tatsächlich noch Schlitten, Schlittschuhe und Weihnachtsdekoration herum."

Solche Ladenhüter sind die Kataloge von Beate Uhse nicht - dennoch gibt es Tage, an denen Schulz und sein Kollege nur wenige verkaufen. Etwa an einem Morgen vor dem Tor einer Fabrik. "Das war ein Schuss in den Ofen, die hatten es alle eilig, und niemand wollte was von uns wissen." Aber meistens ist ihr Transporter mit dem unübersehbaren Beate-Uhse-Schild sofort von einer Traube neugieriger DDR-Bürger umringt. Jeden Abend stopfen die beiden Verkäufer das eingenommene Geld in eine große Plastiktüte und machen sich auf den Weg zur Post, wo sie die Ostmark einzahlen.

Kundschaft weniger prüde als im Westen 

Das unkeusche Verhalten der Ostbürger überrascht Schulz damals. Während die Leute im Westen die gekauften Erotik-Artikel schnell in der Tasche verschwinden lassen und nach Hause eilen, bleiben die meisten DDR-Bürger gleich am Lkw stehen, blättern gemeinsam durch die Seiten mit Dessous, Sex-Spielzeugen und Aufklärungsbüchern. Dabei diskutieren sie amüsiert über ihre Lieblingsstücke. "Insbesondere die Frauen waren in der DDR sehr selbstbewusst", erinnert sich Schulz Jahre später. "Sie hatten in beruflichen und auch sexuellen Dingen ein anderes Standing als im Westen."

Nur ein Mal musste Schulz eine Schimpf-Tirade über sich ergehen lassen: Er hat gerade den Stand aufgebaut, als ein hellblauer Trabi aus einer Seitenstraße schießt, über den Bordstein rumpelt und vor ihm zum Stehen kommt. Heraus springt ein Pfarrer im Talar, seine Faust schwingend. Er finde es alles andere als lustig, dass das Unternehmen Beate Uhse seine "Schäfchen" in Versuchung führen wolle.

Doch sein Schimpfen hilft nichts: Die Verkaufstour wird ein voller Erfolg, Beate Uhse eroberte den ostdeutschen Markt im Sturm. Ende 1990 eröffnet die Flensburgerin den ersten Sex-Shop in Ost-Berlin, und bald schon folgen Läden in Schwerin und Rostock.

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NDR Info | ZeitZeichen | 25.10.2009 | 19:20 Uhr

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