"Es war auch Glück": Brand der "Lisco Gloria" endet glimpflich
In der Nacht zum 9. Oktober 2010 stand die Fähre "Lisco Gloria" nördlich von Fehmarn in Flammen. An Bord: mehr als 200 Passagiere. Über eine Rettung, die dank schneller Reaktionen gelang.
von Isabelle Breitbach
Sie haben sich gerade erst hingelegt, als das Feuer auf der "Lisco Gloria" ausbricht: Die mehr als 200 Passagiere, die auf dem Weg nach Klaipeda in ihren Kabinen schlummern; Hannes Wasmuth, einige Seemeilen von ihnen entfernt, auf der Ostseefähre "Deutschland"; und auch Uwe Marxen, Revierleiter der Wasserschutzpolizei in Kiel.
Die Nachricht vom Notruf des Kapitäns, der brennenden Fähre nördlich von Fehmarn, erreicht Wasmuth und Marxen gegen Mitternacht. Mehr weiß keiner von beiden. Mehr muss aber auch keiner von ihnen wissen, um mit einem Schlag hellwach zu sein. Bereit zu handeln.
Generalalarm weckt Kapitän Wasmuth
Mit der "Deutschland" pendelte Kapitän Hannes Wasmuth regelmäßig zwischen Puttgarden und dem dänischen Rødby. In dieser Nacht sollte er eigentlich gar nicht an Bord sein. "Das war ein absoluter Zufall. Ich habe spätnachmittags einen Anruf bekommen, dass ein Nautiker ausgefallen ist. Daraufhin bin ich nach Puttgarden gefahren und eingestiegen." Ein paar Fahrten, Schichtende um 23 Uhr, ab in die Koje. Dort sollte er keine Stunde liegen. "Um und bei Mitternacht wurde ich wieder geweckt." Ein Generalalarm. "Ich habe mich dann sofort erkundigt: Was ist da los?"
Diese Frage ging auch Uwe Marxen in Kiel durch den Kopf. Eine von vielen, die der Polizist sich in dieser Nacht stellte. Der erste Anruf um Mitternacht, dann wechselnde Informationen. "Es sollte eine Explosion am Schiff stattgefunden haben." Lange wusste er nicht, was zu tun ist, ob er los muss oder nicht, welche Situation er vorfinden würde, und was mit den Menschen ist.
Die "Deutschland" ändert ihren Kurs
Während Uwe Marxen auf Anweisungen wartete, änderte die "Deutschland" ihren Kurs. Helfen, das war für die Crew Pflicht, als größtes Schiff in der Nähe. Elf Seemeilen waren sie von der "Lisco Gloria" entfernt, bei voller Kraft eine halbe Stunde. Feuer auf der ganzen Fähre. Schon von Weitem konnte die Crew den Feuerschein sehen. "Von diesem Schiff kommt keiner lebend runter, so wie das aussieht", dachte Hannes Wasmuth. Dass schon alle runter waren: für ihn eine Überraschung.
Der Kapitän der "Lisco Gloria" hatte sich schnell entschieden zu evakuieren. Ein Boot der Bundespolizei pickte vor Ort schon Menschen aus den Rettungsbooten auf. Schnelle, coole Reaktionen, vor denen Hannes Wasmuth noch heute den Hut zieht. Er und seine Kollegen nahmen mehr als 200 Gerettete an Bord, um sie in den nächsten, sicheren Hafen zu bringen: Puttgarden.
Gerettete fahren auf Fähre nach Kiel
Aber da sollten sie nicht hin. Das Havariekommando entschied sich für Kiel, wegen der besseren Logistik. Und so bekam auch Uwe Marxen nach bangen Stunden endlich seinen Auftrag: die "Deutschland" an der Tirpitzmole in Empfang nehmen und feststellen, ob alle Passagiere und Besatzungsmitglieder der "Lisco Gloria" gerettet und an Bord sind. Viel Zeit für Vorbereitungen blieb ihm nicht. Die "Deutschland" war jetzt auf dem Weg.
Kurs auf Kiel. Eine Entscheidung, die Hannes Wasmuth hinnehmen musste, auch wenn er sie nicht nachvollziehen konnte. Wegen der traumatisierten Menschen auf seinem Schiff, sagt er: "Sie müssen sich vorstellen: Die kommen von einem brennenden Schiff und müssen wieder zwei Stunden mit der Fähre da hinfahren, wo sie losgefahren sind. Da spielt sich natürlich auch ein gewisses Kopfkino ab." Eine außergewöhnliche Situation, in der er und die gesamte Mannschaft vor allem versuchen mussten, die Menschen mit Informationen zu versorgen und bis zur Ankunft bei Laune zu halten. Schiffbrüchige wie eigene Passagiere.
Polizist Marxen muss Nerven behalten
Fünf Teams, Stifte zum Markieren an der Hand, Erfassungsbögen für die Personalien: So erwartete Uwe Marxen die "Deutschland" mit den Havaristen auf der Tirpitzmole. "Man hofft, das alles gut gegangen ist. Da haben wir natürlich keine Aktien drin, was da auf See passiert." An den Mann, der ihn am frühen Morgen an der Lotsenpforte in Empfang genommen hat, erinnert er sich gut. Mit Hannes Wasmuth ging er an Bord, über die beiden Decks voller geretteter Menschen, erschöpft und kaum richtig bekleidet.
"Die sind so aus dem Schlaf ins Rettungsboot. Das ist schon ein Anblick, der einen bewegt", sagt Marxen heute. Aber er musste die Nerven behalten. Alle Schiffbrüchigen namentlich erfassen, mit Kommunikationsproblemen, weil fast alle aus Litauen und Russland kamen. Immer wieder Passagier- und Besatzungslisten abgleichen. 249 Personen waren ihm als gerettet gemeldet worden, eigentlich sollten aber nur 236 an Bord sein. "Das hat sich als verkehrt herausgestellt. Es war alles in Ordnung."
"Gott hat seine Hand dazwischen gehabt"
Erst am Nachmittag stand endgültig fest: Alle, die an Bord der "Lisco Gloria" waren, konnten gerettet werden. Alle haben überlebt. Dankbar blickt Uwe Marxen auf diesen Einsatz zurück, für den positiven Ausgang, für die vielen Helferinnen und Helfer, die daran ihren Anteil hatten, die gute Zusammenarbeit, auch das Glück, dass gleich ein so großes Schiff wie die "Deutschland" vor Ort war und die Menschen aufnehmen konnte.
"Die Erleichterung war unglaublich groß", erinnert sich Hannes Wasmuth. Auch er denkt gerne an diese Nacht. Einmal im Leben würde man so etwas erleben, wenn überhaupt, da ist er sich sicher. "Ich muss mal nach oben gucken", sagt er und schaut in den bewölkten Himmel über Puttgarden: "Der liebe Gott hat da bestimmt seine Hand dazwischen gehabt, das denke ich schon. Es war viel Glück dabei. Aber Glück ist nicht alles."