Die Grote Mandränke: Schicksalhafte Fluten 1362 und 1634
Sturmfluten begleiten die Geschichte Schleswig-Holsteins seit jeher. 1362 und 1634 verwüsten zwei verheerende Sturmfluten die Nordseeküste, bekannt als Grote Mandränke - das große Ertrinken. Sie formen den Küstenverlauf neu.
"Wer nicht deichen will, muss weichen". Diese Erkenntnis besitzt an der Nordsee seit Jahrhunderten Gültigkeit. Sturmfluten, hervorgerufen durch ausgeprägte Sturmtiefs und starke Nordweststürme, bedrohen nach wie vor die Küste.
Vor mehreren Hundert Jahren existiert die zerrissene Landschaft der nordfriesischen Inseln noch nicht. Husum ist eine noch unbedeutende Siedlung im Landesinnern. Von Sylt bis zur Höhe der Eidermündung zieht sich ein natürlicher Sanddünenwall, angeschwemmt nach der letzten Eiszeit, der das tief liegende Marschland von der Nordsee abgrenzt. Seit der ersten Jahrtausendwende schützen sich Menschen, die hier siedeln, zusätzlich mit Deichen.
Nordfrieslands Küstenlinie erhält ihr heutiges Gesicht
Doch seit dem späten Mittelalter steigt der Meeresspiegel kontinuierlich an. Es vergeht kein Jahrhundert ohne katastrophale Überschwemmungen. Besonders verheerend sind die Sturmfluten der Jahre 1362 und 1634, die die Nordseeküste Schleswig-Holsteins verwüsten. Sie verändern den Küstenverlauf grundlegend - die heutige Küstenlinie wird geformt.
Januar 1362: Zweite Marcellusflut vernichtet Land und Leben
Die erste Grote Mandränke, auch Zweite Marcellusflut genannt, ereignet sich am 16. Januar 1362. Die Wellen schlagen mehr als zwei Meter über die Deichkronen. Laut dem Chronisten Anton Heimreich brechen an der nordfriesischen Küste 21 Deiche. 100.000 Menschen sollen ums Leben gekommen sein - eine Zahl, die wahrscheinlich übertrieben ist.
Zerstörerisch nagen die Fluten vor allem an Alt-Nordstrand. Die Siedlung Rungholt geht zusammen mit sieben anderen Gemeinden im nordfriesischen Wattenmeer unter. Rungholt wird mit der Zeit zum mythischen Ort, bis das Meer Anfang des 20. Jahrhunderts im Watt Überreste von Warften, Gebäuden und Zisternen freispült.
Die Marcellusflut spaltet Südfall als erste Hallig von Alt-Nordstrand ab. Husum liegt nun an der Küste und hat Zugang zur weiten Welt. Ein Markt wird errichtet und ein Hafen angelegt. Innerhalb von Jahrzehnten erblüht Husum zur geschäftigen Handelsstadt.
Deichbau wird neu organisiert
Probleme aber haben die Marschbauern: In der Flut gehen große Flächen Kulturland verloren. Die Menschen versuchen nun, durch organisierten Deichbau dem Meer das verlorene Land wieder abzuringen. Bislang hatte man nur niedrige, sogenannte Sommerdeiche gebaut, die für die zumeist weniger starken Sturmfluten im Sommer ausreichten. Vor den Gewalten des Meeres schützen in erster Linie Warften - künstlich aus Erde aufgeschüttete, meist kreisrunde Besiedlungshügel.
Oktober 1634: Burchardiflut zerstört die Insel Strand
Die Wirkung der Marcellusflut bleibt als so verheerend in Erinnerung, dass die Sturmflut am 11. und 12. Oktober 1634 zweite Grote Mandränke genannt wird. Die Sturmflut, auch als Burchardiflut bezeichnet, verwüstet die Küste bis hinunter zur Elbmündung. Laut den damaligen Chronisten erreicht das Meer einen Stand von etwa vier Metern über dem mittleren Tidehochwasser - zum Vergleich: Bei der großen Januarflut im Januar 1976, die als eine der höchsten Sturmflut an nahezu allen Pegeln der deutschen Nordseeküste in die Geschichte eingeht, werden in Husum 4,11 Meter gemessen.
Obwohl die Deiche schon erheblich verbessert worden sind, brechen sie diesmal an mehreren Hundert Stellen. In Nordfriesland kommen nach historischen Belegen 8.000 Menschen um, vermutlich gibt es sogar doppelt so viele Opfer. Zigtausende Stück Vieh verenden in den Wassermassen. Die Insel Strand (Alt-Nordstrand) wird in Pellworm, die Halbinsel Nordstrand und die Hallig Nordstrandischmoor zerrissen. Der Norderhever entsteht, ein großer Priel - ein im Watt bis zu 30 Meter tief eingegrabener Fluss. Die Halligen Nübbel und Nieland versinken im Meer.
Niederländer helfen bei der Eindeichung
Herzog Friedrich III. befiehlt den Inselbewohnern, die Deiche möglichst umgehend wieder aufzubauen. Auf Pellworm gelingt das 1637. Auf Nordstrand leben viele Bauern weiter auf Warften, zahlreiche Überlebende verlassen aber nach der zweiten Groten Mandränke ihre Heimat und ziehen auf das Festland. Der Herzog holt zur Eindeichung Hilfe aus den Niederlanden. Bald ist ein Drittel der Fläche von Alt-Nordstrand wiedergewonnen.