Als die Briten "Goodbye Hameln" sagten: Besatzer waren Freunde
Am 14. Juni 2014 verließ die britische Armee Hameln. 69 Jahre lang war sie dort stationiert. Für die Stadt war der Abzug "ein schwerer Schlag". Aus Besatzern waren Freunde geworden. Seitdem hat sich viel getan.
Einmal noch dreht sich in Hameln an jenem Juni-Tag alles um die britischen Soldaten. Nach 69 Jahren sagt das 28. Engineer Regiment "Goodbye". Eine große Abschiedsparade zieht durch die Innenstadt, Tausende Zuschauer verfolgen die Darbietung. Auf dem Wasserübungsplatz gibt es zum letzten Mal einen Tag der offenen Tür. Zur Verabschiedung der Briten ist auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) angereist. Er hält eine Abschiedsrede. Ein Feuerwerk um Mitternacht bildet den Abschluss der Feierlichkeiten.
Die letzten etwa 470 in der Stadt stationierten britischen Soldaten des 28. Pionier-Regiments ziehen ab. Zum Vergleich: Im Jahr 1990 sind noch etwa 3.500 Briten in Hameln beheimatet.
Oberbürgermeisterin: "Schwerer Schlag für die Stadt"
Als die Entscheidung für den Abzug der Briten bekannt wird, ist Susanne Lippmann "not amused" - ganz im Gegenteil, zumal der Abschied schon früher und nicht erst im Oktober 2015 wie zunächst vorgesehen ansteht. Die damalige Oberbürgermeisterin von Hameln, spricht 2012 von einem "schweren Schlag" für ihre Stadt. Die Sorgen der parteilosen Politikerin liegen auf der Hand: Kaufkraftverlust und Umsatzeinbußen; dazu verlassen auch die meisten der etwa 1.000 Angehörigen der Soldaten die Stadt. Und: Hunderte Zivilangestellte verlieren ihren Arbeitsplatz.
Vor allem aber verliere Hameln ein Stück Internationalität, was sie sehr bedauere: "Wir verlieren etwas: eine britische Kultur, die hier in unserer Stadt stattgefunden hat, das ist schade", sagt sie zwei Jahre später, als der Abschied vollzogen wird. In all den Jahren hätten sich zudem enge Beziehungen zwischen den Briten und den Einwohnern Hamelns gebildet.
"Als Freunde verabschieden"
Auch für Mike Whitehurst, Sprecher der britischen Armee in Deutschland, geht 2014 eine Ära zu Ende, die eine Erfolgsgeschichte gewesen sei: "Wir kamen als Besatzer, wenn man das Wort sagen darf. Über die Jahre ist eine sehr gute Partnerschaft entstanden. Und als Freunde werden wir uns verabschieden."
"Wenn man sich dafür entscheidet, einen Soldaten zu heiraten, dann geht man auch mit ihm mit - egal, wo er hingeht", sagt Katrin Kearney, die deutsche Ehefrau eines britischen Soldaten, 2014.
Viele Flächen werden frei
Die Menschen müssen sich nach dem vollständigen Truppenabzug neu orientieren - die Briten genauso wie die Hamelner. Immerhin stehen in Hameln nun 267 Hektar - das sind 13 Prozent der Stadtfläche - für eine neue Nutzung bereit, so die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Rund 340 Wohnungen werden auf einen Schlag frei, dazu kommen Kasernengelände, Übungsplätze und Waldgebiete. Die Vermarktung dieser Flächen sei eine "Riesenherausforderung", sagt Oberbürgermeisterin Lippmann damals.
Ganz neu ist eine solche Aufgabe nicht, denn die Stadt hat bereits positive Erfahrungen mit der Konversion ehemaliger Militärflächen gemacht: Im Jahr 2001 haben die Briten die Kaserne "Bindon Barracks" geräumt und an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben. Der als Scharnhorst-Kaserne von 1898 bis 1899 erbaute Gebäudekomplex ist von 2007 an komplett saniert worden. Heute ist er ein Wohn- und Dienstleistungspark mit teils denkmalgeschützter Bausubstanz.
Planungen für eine zivile Nutzung
In den 2014 verlassenen Hamelner Kasernengebäuden wird ein Jahr später eine Übergangsheimat für Hunderte Familien eingerichtet, die vor Bürgerkriegen weltweit auf der Flucht sind. Strom, Wasser, Heizung - alles ist vorhanden. Und viel Platz. Deshalb hat der Landkreis Hameln-Pyrmont dem Land die ehemaligen Mannschaftsunterkünfte als Erstaufnahmeeinrichtung angeboten. Zeitweise leben dort bis 2016 fast 1.000 Menschen.
Parallel wird ein Konzept für die weitere Nutzung entwickelt. Im Frühjahr 2018 kaufen die Stadt Hameln - über die Gesellschaft für Sozialen Wohnungsbau und Projektentwicklung (GSW) - und der Landkreis Hameln-Pyrmont dem Bund das Gelände gemeinsam ab. Ziel: In Hamelns Norden soll ein Bildungs- und Gesundheitscampus entstehen. Stadt und Landkreis wollen dadurch dem demografischen Wandel entgegenwirken und "attraktive Beschäftigungs- und Ausbildungsangebote für junge Menschen schaffen", wie es heißt.
Rückbau und Neubau
Ab Juli 2018 wird fast das gesamte Gelände zurückgebaut. Zum einen gibt es das Areal, das für den Neubau der Elisabeth-Selbert-Schule, der Berufsbildenden Schule des Landkreises, vorgesehen ist. Zum anderen wird eine Fläche für den Bildungs- und Gesundheitscampus vermarktet. Eine Kita wird eröffnet. "Außerdem ist ein Quartierspark entstanden", teilt der Pressesprecher der Stadt, Thomas Wahmes, dem NDR 2024 mit. Der Ada-Lessing-Park ist seit Mai 2023 fertig. Dort sind unter anderem Basketballplätze, Tischtennisplatten, eine Parcours-Anlage, Tartan-Rampen für BMX-Bikes und Übungsmöglichkeiten für Skater entstanden. Im August 2024 soll eine Kita eröffnen.
158 neue Wohnungen im Bailey Park
Außerdem gibt es im Bailey Park eines der größten Neubauprojekte in Hameln. 45 Millionen Euro sind nach Angaben der GSW, die das Projekt gemeinsam mit der Hamelner Wohnungsbau-Gesellschaft realisiert hat, für 158 neue Mitwohnungen investiert worden. 11.800 Quadratmeter Wohnfläche seien insgesamt dort entstanden. Der letzte Bauabschnitt ist 2023 abgeschlossen worden. "Mit dem Projekt 'Bailey Park' wurde ein wesentlicher Teil des ehemaligen Depotstandorts der britischen Streitkräfte für den Bau preisgünstiger und stadtnaher Wohnungen umgenutzt", heißt es in der "Zeitschreift für Stadt-, Regional- und Landesentwicklung" (1/2023).
"Es ist nicht mehr viel geblieben"
Nach dem Abzug der Soldaten und der Umwandlung des militärischen Areals ist der Bezug zu den Briten in Hameln deutlich zurückgegangen. "Es ist nicht mehr viel geblieben. Immerhin: Zwei ehemalige Kasernengebäude auf dem Linsingen-Gelände konnten vor dem Abriss bewahrt werden. Eines der Gebäude, das ehemalige Offizierskasino, wird inzwischen von einem privaten Bildungsträger genutzt", so Pressesprecher Wahmes. Und: "Die Stadt Hameln pflegt seit 1973 eine Partnerschaft mit der englischen Stadt Torbay." Außerdem fördert der "British-German Club" weiterhin die freundschaftlichen Beziehungen. So gibt es unter anderem Feste, Lesungen Gottesdienste und Stammtische.
Befürchtete Probleme sind heute kein Thema mehr
"Die Stadt Hameln hat den Rückzug der britischen Streitkräfte erstaunlich gut weggesteckt. Wir hatten anfangs erhebliche Probleme befürchtet - unter anderem nachlassende Wirtschaftskraft, leerstehende Wohnungen und einen Knick nach unten in der Bevölkerungsstatistik", sagt Sprecher Wahmes rückblickend. "Mittlerweile können wir sagen, dass Hameln eine wachsende Stadt ist. Wohnraum wird auch bei uns stark nachgefragt, Leerstände gibt es praktisch nicht. Und auch die wirtschaftliche Entwicklung sieht positiv aus."