Ansicht der Binzer Seebrücke von 1910 © dpa Foto: Sammlung Dr. Harald Jatzke

Seebrücke Binz: Wie ein Unglück zur Gründung der DLRG führte

Stand: 23.05.2024 14:15 Uhr

Bundesweit ist die DLRG jährlich tausendfach im Einsatz, wenn es darum geht, Menschen aus einer Notsituation im Wasser zu retten - ihre Gründung geht auf ein tragisches Unglück zurück. 1912 ertranken auf Rügen 16 Menschen.

Der 28. Juli 1912 ist ein heißer Sommertag auf Rügen - Hochsaison in dem beliebten Seebad Binz. Auf der Seebrücke des Badeortes herrscht am Abend noch reges Treiben. Hunderte Menschen flanieren über die Brücke und sehen dabei zu, wie die Ausflugsdampfer an- und ablegen. Andere warten auf ihr Schiff oder beobachten die Kriegsschiffe der Kaiserlichen Marine, die gerade in der Ostsee vor Binz ankern. Um etwa 18.30 Uhr, so berichtet es später das "Rügensche Kreis- und Anzeigenblatt", legt der Dampfer "Kronprinz Wilhelm" an der Brücke an, Passagiere steigen ein und aus. Kurz darauf kommt es zur Katastrophe: Unter der Last der Menschenmassen gibt ein Querbalken am Brückenkopf nach, die Anlegestelle bricht auf einer Länge von etwa acht Metern ein. 70 bis 80 Menschen, so berichtet das Blatt, stürzen ins Meer, das an dieser Stelle etwa sechs Meter tief ist.

Tragische Bilanz des Unglücks: 16 Tote

Es sind grauenvolle Szenen, die sich abspielen: Schreiende Menschen kämpfen im Wasser um ihr Leben. Nur wenige können damals schwimmen, Schätzungen zufolge nur etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung. Noch viel geringer ist die Zahl derer, die in der Lage sind, Ertrinkende zu retten: Hilflos schauen die meisten Besucher auf der Seebrücke zu, wie die Menschen im Wasser versinken. Andere versuchen, die unglücklichen Opfer mit Leitern und Stangen zu retten. Die Besatzung des Dampfers "Kronprinz Wilhelm" wirft Rettungsgürtel und Taue in die See. Doch für acht Frauen, vier Männer und zwei Kinder kommt jede Rettung zu spät. Sie ertrinken. Zwei weitere Frauen sterben wenige Tage später an den Folgen des Unglücks.

VIDEO: DAS! historisch: Katastrophe auf Rügen (4 Min)

Dass es nicht noch mehr Opfer gibt, ist unter anderem der Besatzung der Marineschiffe zu verdanken, die zur Hilfe eilt. Militärärzte versorgen die Geretteten, die teilweise ohne Bewusstsein sind. Besonders verdient macht sich bei der Rettungsaktion der Militärsergeant Richard Römer aus dem westfälischen Hohenlimburg, der zufällig in der Nähe ist, als das Unglück passiert.

Richard Römers mutige Rettungsaktion

Römer, Mitglied der kaiserlichen Garde in Berlin, hält sich ohne Urlaubsgenehmigung auf der Insel auf, weil er das dienstfreie Wochenende am Strand verbringen will. Als er die Ertrinkenden sieht, reagiert der 24-Jährige sofort: Er zieht seine Uniformjacke aus und stürzt sich in die Fluten, um zu helfen. Römer kann zwar schwimmen - wie man Menschen aus dem Wasser rettet, weiß er aber nicht. Um von den Ertrinkenden nicht umklammert und unter Wasser gezogen zu werden, taucht Römer unter den Menschen durch und drückt sie zu dem eingestürzten Stegbalken, wo andere Helfer sie aus dem Wasser ziehen. Nachdem er zwölf Menschen gerettet hat, ist Römer so entkräftet, dass er an dem Balken selbst fast ertrinkt. Für seine mutige Tat verleiht Kaiser Wilhelm II. Richard Römer im Frühjahr 1913 die Rettungsmedaille am Bande.

Die DLRG entsteht als Konsequenz aus dem Unglück

Zwei alte Plakate der DLRG. © DLRG
Seit ihrer Gründung wirbt die DLRG für die Mitarbeit: Die Organisation bildet neue Rettungsschwimmer aus, die dann zum Beispiel als Wachgänger am Strand arbeiten können.

Die Tragödie von Binz führt dazu, dass sich gut ein Jahr später im Leipziger Hotel de Prusse am 19. Oktober 1913 die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) gründet. Bereits wenige Monate später, am Ende ihres Gründungsjahres, hat die Organisation bereits 435 Mitglieder. Durch Vorträge, Lehrkurse und Wettbewerbe will die Gesellschaft Wissen und Fertigkeiten darüber verbreiten, wie man Leben retten und Notfälle vermeiden kann. Außerdem werden Rettungsschwimmer für den Einsatz an Flüssen und Seen ausgebildet und geprüft sowie Wachdienste eingerichtet. Bis heute gilt Richard Römer bei der DLRG als eine Art geistiger Vater.

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