29. August 1992: Bombenleger terrorisiert Hannover
Es ist der Abend des 29. August 1992, als nahe der Marktkirche in Hannover eine Bombe explodiert. Die Straßen sind voll: Es ist Altstadtfest. Versteckt ist der Sprengsatz in einem Mülleimer, wie er an vielen Laternenpfählen hängt. Bei der Detonation werden 20 Menschen zum Teil schwer verletzt. Vier Wochen später - am 28. September - knallt es erneut, ganz in der Nähe, diesmal vor der Gaststätte "Brauhaus Ernst August". Wieder steckt der Sprengsatz in einem Abfalleimer, wieder werden Menschen verletzt, diesmal fünf. Und in Hannover geht die Angst um: Wer legt die Bomben, warum - und wann explodiert die nächste?
Soko "Altstadt" ermittelt
Die Anschläge mitten in der Stadt versetzen die Sicherheitsbehörden in höchste Alarmbereitschaft. Bei der Polizei ermittelt die Sonderkommission "Altstadt". Die Sprengsätze, so viel weiß die Soko, sind die Arbeit eines Hobby-Bombenbauers. Das teilt sie auch der Öffentlichkeit mit - über die Hintergründe ist der Polizei zum Zeitpunkt der Explosionen allerdings mehr bekannt, als sie zunächst preisgibt.
Zehn Millionen in Diamanten
Am 4. Oktober offenbaren Polizei und Stadtverwaltung, was bis dahin streng geheim gehalten wurde: Bereits seit zwei Jahren wird Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) erpresst. In einer Reihe von Briefen stellt ein Unbekannter seit April 1990 irrwitzige Forderungen. Diamanten im Wert von zehn Millionen Mark will er, außerdem zahlreiche Waffen und Munition dazu. Sonst werde es ein Blutbad geben.
Vier Sprengsätze detonieren nicht
Der Erpresser hat keinesfalls zwei Jahre damit gewartet, seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Zwischen 1990 und Anfang 1992 deponiert er insgesamt vier Sprengsätze an unterschiedlichen Orten in der Stadt. Die Bomben gehen nicht hoch. Dennoch sind die Behörden verzweifelt - schon 1990 wollen sie sogar die Forderungen des Erpressers erfüllen. Und die geplanten Übergaben sind filmreif.
Täter lässt Flugzeug starten und junge Frau im Cabrio vorfahren
Der erste Versuch wird im Mai 1990 gestartet: Am Flughafen in Langenhagen soll ein Flugzeug mit den Diamanten und mehreren Waffen an Bord abheben. Der Täter will der Besatzung per Funk Mitteilung machen, wenn sie ihre Fracht abwerfen soll. Doch im Cockpit kommt nie ein Funkspruch an. Schon rund zwei Wochen später der nächste Versuch - und der Täter beweist erneut seine Vorliebe für James-Bond-würdige Spektakel. Seine Anweisungen: Eine Frau, höchstens 20 Jahre alt und nur mit einem Ledermantel und schwarzen Schuhen bekleidet, soll mit den Diamanten und Waffen im Gepäck vor dem Neuen Rathaus auf ihn warten, und zwar bitteschön in einem offenen schwarzen Cabrio. Auch hier folgen die Ermittler den Forderungen - doch der Erpresser taucht nicht auf.
Kiste mit eindeutigem Inhalt im Kleingarten-Gebüsch
Nachdem es dann im August und September 1992 doch zweimal geknallt hat, geht alles ziemlich schnell. Ein Zufall bringt die Ermittler dem Gesuchten am 2. Oktober ein ganzes Stück näher: In einer Schrebergartenkolonie im Stadtteil Badenstedt entdeckt ein Kleingärtner eine Kiste im Gebüsch. Deren Inhalt und sein Zweck sind mehr als eindeutig, darunter fertig gebastelte Bomben, mehrere Kilogramm Sprengstoff, Bücher mit Tipps zum Bombenbau und die Schreibmaschine, auf der Bekennerschreiben zu den Anschlägen getippt wurden.
Festnahme am 6. Oktober 1992
Eine Tonbandaufnahme bringt den Durchbruch. Die Ermittler haben ihre Telefonate mit dem Erpresser im Jahr 1990 mitgeschnitten und nun veröffentlicht. Ein früherer Mitschüler des Täters erkennt dessen Stimme. Am 6. Oktober wird der Bombenleger festgenommen: Stefan S., 22 Jahre alt, Maschinenbaustudent. S. wehrt sich nicht, lässt sich in seinem Elternhaus in Badenstedt widerstandslos festnehmen, legt ein Geständnis ab. Für die Hannoveraner gehen rund fünf ängstliche Wochen zu Ende, für den Oberbürgermeister, die Stadtverwaltung und die Polizei mehr als zwei angespannte Jahre.
Stefan S.: Bis zu seinem Tod in Moringen
Die Jugendkammer des Landgerichts Hannover verurteilt S. im September 1993 zu achteinhalb Jahren Haft in einer psychiatrischen Einrichtung. Ausgrenzung und Mobbing hatten offenbar ein großen Anteil daran, dass der stark übergewichtige junge Mann diese Taten beging. Ein Psychiater attestiert ihm vor Gericht eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Auch nach Verbüßen der Strafe bleibt S. im Maßregelvollzug Moringen - er gilt nicht als geheilt, seine Freilassung als nicht verantwortbar. Ende 2012 stirbt S. im Maßregelvollzug eines natürlichen Todes, wie das Sozialministerium mitteilt. Er ist 42 Jahre alt.