2011 rollt der letzte Castor durch Niedersachsen
Ende November 2011 rollte der letzte Castor-Transport mit Atommüll nach Gorleben. Eine Aktion beschäftigte die Polizei über Stunden und gilt bei den Demonstrierenden noch immer als großer Erfolg.
Zu dem Zeitpunkt - in diesem "heißen Herbst", wie die Protestler ihn damals angekündigt hatten - war der Zug mit nuklearen Altlasten aus dem nordfranzösischen Le Havre bereits seit vier Tagen unterwegs ins niedersächsische, höchst umstrittene Zwischenlager im Wendland. Während sich Zehntausende Castor-Gegner in der Region bereits formiert haben, die Strecken säumen, sich an Gleise ketten, Straßen blockieren, die Polizei Wasserwerfer einsetzt, kommt bei Hanna Schwarz Angst auf. "Auf einmal geht dir alles durch den Kopf", erinnert sie sich heute an die Zeit, unmittelbar bevor sie ihren Arm in die 500 Kilogramm schwere Beton-Pyramide steckt und fixieren lässt. "Habe ich überhaupt gegessen? Habe ich genug gegessen?"
Landwirte platzieren Betonblock
Die Pyramide ist in gelber Farbe gestrichen, der Farbe des Anti-Atom-Protests, in der noch immer Kreuze an Bundesstraßen und in Vorgärten stehen. Der Betonblock soll an diesem Sonntag vor zehn Jahren den Castor stoppen - und das macht er tatsächlich. Zumindest für lange 15 Stunden. Nur wenige Kilometer vor Hitzacker schaffen es Hanna Schwarz, Fritz Pothmer, Georg Jansen und Heiko Müller von der Bäuerlichen Notgemeinschaft auf die Schienen und platzieren die Pyramide.
Pyramide bleibt 15 Stunden auf dem Gleis
Sie war so konstruiert, dass jede Bewegung die Arme im Innern verletzen kann. Keine einfache Aufgabe für die Polizei, die versucht, die Pyramide mit schwerem Gerät zuteilen, die junge Frau zu lösen und die Blockade zu beenden. Als die Beamten die Steine unter der Pyramide entfernen, sackt sie ab und die junge Frau droht, verletzt zu werden. All das kostet Zeit und Nerven.
Demonstrierende befreien sich selbst
Am Ende bieten die Demonstrierenden an, sich selbst zu befreien - auch, weil ihre eigenen Kräfte schwinden. Der Zug kann seine Fahrt um 3.30 Uhr fortsetzen. Unmittelbar danach sprechen die vier Aktivistinnen und Aktivisten vom Scheitern der Polizei und wollen allen deutlich machen, dass die Beamten die Pyramide nicht von den Gleisen entfernen konnten. "Die Polizei sieht sich nach derzeitigem Stand in zumutbarer Zeit nicht in der Lage, die Personen unverletzt zu befreien", räumen die Beamten ein. Für die Demonstrierenden ein voller Erfolg.
Polizei sieht es nicht als Niederlage
Die Polizei aber sieht das nicht als Niederlage, erklärt Matthias Oltersdorf heute. Er leitete damals den Castor-Einsatz in Lüneburg, mittlerweile ist er im Ruhestand. Für ihn sei es entscheidend gewesen, dass der Transport Gorleben erreichte und bei dem Einsatz niemand verletzt worden sei. "Als Polizeiführer bin ich ein Stückchen dankbar dafür, dass dieser Protest ein Protest ist, der mit Verantwortungsbewusstsein durchgeführt wurde."
Die elf Behälter erreichen Gorleben am 28. November
Nach 126 Stunden quält sich der Transport an sein Ziel. An der Ortseinfahrt Gorleben werden sie noch einmal von rund 1.300 Demonstrierenden empfangen. Das Zwischenlager ist von der Polizei weiträumig abgesperrt. Auch weitere Aktionen der Protestierenden auf den Zugangswegen halten die Spezialfahrzeuge, auf denen die elf Behälter mit dem hochradioaktiven Müll seit Dannenberg verladen worden sind, nicht auf. Für die vier "Helden von Hitzacker", wie sie von vielen genannt werden, und für Tausende Atom-Gegner ist dieses Wochenende vor zehn Jahren der letzte Protest dieses Ausmaßes im Wendland gewesen.