Ein junger Mann freut sich am 1. Juli 1990 über seine D-Mark-Banknoten. © dpa / picture-alliance Foto: Kai-Uwe Wärner

D-Mark für alle: Zwischen Silvester- und Katerstimmung

Stand: 01.07.2020 09:04 Uhr

Nach dem Mauerfall wird bei ehemaligen DDR-Bürgern der Ruf nach der "harten" D-Mark laut. Am 1. Juli 1990 tritt die Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft. Mit harten Folgen für die Ost-Wirtschaft.

von Viktoria Urmersbach

Der Strom von Übersiedlern aus der DDR würde erst abreißen, wenn die Wirtschaftsunion vollzogen sei, prognostizieren 1990 viele Politiker. Seit Öffnung der Mauer am 9. November 1989 verlassen täglich noch immer Tausende ihre Heimat und drohen, die Republik völlig ausbluten zu lassen.

"Kommt die D-Mark, bleiben wir"

Monatelang waren die Demonstranten für freie Wahlen auf die Straße gegangen. Nachdem sie dieses erste Ziel erreicht haben, skandieren sie nun: "Kommt die D-Mark, bleiben wir - kommt sie nicht, gehen wir zu ihr!"

Schon mit der Volkskammerwahl im März 1990 fordern die ostdeutschen Wähler den Wechsel der Wirtschaftsordnung. Sie wollen nicht mehr in der Planwirtschaft arbeiten und leben, sondern in der Marktwirtschaft. Die Aussicht auf die D-Mark ist für viele ein starkes Argument für die Wahl der CDU. Denn schon im Februar kündigt Helmut Kohl in einer Regierungserklärung an: "Es geht jetzt darum, ein klares Signal der Hoffnung und der Ermutigung für die Menschen in der DDR zu setzen. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das, dass wir damit unseren stärksten wirtschaftlichen Aktivposten einbringen: die Deutsche Mark." Andere Politiker wie Oskar Lafontaine von der SPD warnen vor dem schnellen Einigungskurs der CDU.

Währungsunion? "Eine sehr fantastische Idee"

Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl © Bundesarchiv Foto: Arne Schambeck
Am 9. Februar 1990 verkündet Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl, die Bundesbank arbeite schon an der Währungsunion.

Auch viele Wirtschaftverbände und Ökonomen raten von einem schnellen Prozess und von dem Umtauschkurs 1:1 ab. Helmut Schmidt hält ihn für einen "Kardinalfehler". Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl nennt die Pläne des Bundeskanzlers zunächst "eine sehr fantastische Idee". Trotzdem aber bereitet die Deutsche Bundesbank den Geldwechsel schon ab Februar generalstabsmäßig vor. Die Hauptverwaltung in Kiel ist für den damaligen Bezirk Schwerin zuständig, Bremen für Neubrandenburg, Hamburg für Rostock und Hannover kümmert sich um die Partner-Banken in Magdeburg und Halle.

Bank-Filialleiter unter Dauerstress

In Kiel meldet sich Ralf Ebert sofort als Freiwilliger, um ab Juni vor Ort in Schwerin zu arbeiten: "Es war eine aufregende Zeit, die ich unbedingt mit gestalten wollte", begründet er seine damalige Entscheidung einige Jahre später gegenüber dem NDR. Ebert ist damals einer der beiden neuen Filialleiter. Innerhalb eines Monats vor Einführung der D-Mark muss er eine funktionsfähige Filiale schaffen. Zu seinen Aufgaben gehört, die Kollegen von der DDR-Staatsbank in das Westsystem einzuarbeiten und viele praktische Probleme zu lösen. Büromöbel und Geldbearbeitungsmaschinen muss er beschaffen, Personal rekrutieren, mit den DDR-Behörden und der Volkspolizei verhandeln - und das mit nur einem Telefon.

Tonnenweise Bargeld im Land unterwegs

Der damalige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière fordert seine Landsleute auf, der Einheit mit "Selbstvertrauen und Zuversicht" entgegen zu sehen, auch wenn der Umtauschkurs für größere Vermögen nur zwei Ostmark zu einer Westmark beträgt. Im Nachhinein sei auch das noch zu teuer gewesen, kritisiert Thomas de Maizière als Bundesinnenminister etliche Jahre später. Ökonomisch vernünftig wäre ein Wechselkurs von eins zu drei oder zu vier gewesen - allerdings politisch damals nicht vertretbar.

Ab Juni 1990 schickt die Bundesbank 600 Tonnen Banknoten und 400 Tonnen Münzgeld aus dem Westen in die neuen Bundesländer. Rund 25 Milliarden D-Mark sind unterwegs.

D-Mark, Scheine und Münzen © picture-alliance / dpa Foto: Nestor Bachmann
AUDIO: Die gefeierte D-Mark (1 Min)

Die D-Mark kommt: Silvesterstimmung im Sommer

Vielerorts können es die Menschen gar nicht erwarten, das Westgeld endlich in den Händen zu halten. Schon in der Nacht zum Sonntag, 1. Juli 1990, dränglen sich Tausende vor der Filiale der Deutschen Bank am Alexanderplatz in Berlin. Genau um Mitternacht, von Knallfröschen, Raketen und Sekt begleitet, soll die gemeinsame Währung ausgegeben werden. Die Schlange wächst auf 600 Meter Länge - die Glasscheiben brechen schon vor Mitternacht. Polizei und Rettungswagen müssen kommen und helfen, den Ansturm ohne viele Verletzte zu überstehen.

Familie mit Geldscheinen in der Hand © dpa/picture-alliance Foto: Ulrich Hässler
Neues Geld für die ganze Familie. Am Sonntag, 1. Juli 1990, freuen sich viele Ostdeutsche über die "harte Währung" aus dem Westen.

In der Schweriner Goethestraße dagegen verläuft die Umtauschaktion geordnet. Die Mitarbeiter von Ralf Ebert hatten den ganzen Tag damit zu tun, die Münz-Pakete und  Banknoten-Bündel für ihre Kunden, die Kreditinstitute, auszupacken und passend herauszugeben, um trotz des Kundenansturms jederzeit zahlungsfähig zu bleiben. "Aber aus dem Fenster beobachteten wir, wie die Schlange vor der Sparkasse am Marienplatz immer länger wurde", erinnert Ebert sich später.

Anfang 1991 noch 4.200 Tonnen DDR-Hartgeld im Umlauf

Ein Trabi im Juli 1990 in einem Müllcontainer © dpa / picture-alliance Foto: Peter Kneffel
Früher heiß begehrt, wurden viele Trabbis bald nach der Währungsunion verschrottet.

Verbraucherzentralen warnen vor Konsumrausch. Tatsächlich ist es für viele DDR-Bürger ein berauschendes Gefühl, "echtes" Geld in der Hand zu halten - nicht mehr die ultraleichten Aluminium-Münzen, auch "Alu-Chips" genannt. Nicht nur Banken, sondern auch Schulen und Polizeidienststellen dienen vorübergehend als Umtauschstellen. Noch ein Jahr lang sind die DDR-Münzen im Umlauf, denn die Prägung von neuen Geldstücken kann nicht schneller bewältigt werden. So sind Anfang 1991 noch 4.200 Tonnen DDR-Hartgeld in den Portemonnaies, bis die Alt-Währung dann mit dem 1. Juli 1991 keine Gültigkeit mehr hat.

Währungsunion wird für viele zum Schockerlebnis

Nach der Euphorie kommt die Ernüchterung. Die Wirtschaftsunion wird zum Schockerlebnis für viele. Die Preise für Lebensmittel verdreifachen sich zum Teil. Günstige Ostprodukte verschwinden vielerorts aus den Regalen der Kaufhallen, weil die Kunden nur noch Westware kaufen wollen. Die DDR-Betriebe müssen sich nun in der Marktwirtschaft bewähren und plötzlich der globalen Konkurrenz stellen. Aber nicht nur im eigenen Land, sondern auch in den sozialistischen Absatzländern geht die Nachfrage nach Ostprodukten zunehmend zurück: Die Ungarn zum Beispiel kaufen nun lieber japanische Autos als ostdeutsche.

Bundesregierung bewilligt Liquiditätshilfen

Die Bundesregierung entscheidet sich dafür, praktisch allen ostdeutschen Kombinaten für die ersten Monate eine Liquiditätshilfe zu gewähren - viel Geld für marode Unternehmen. Das Ziel: die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl zu überstehen.

Mecklenburg-Vorpommern trägt 1990 nur acht Prozent zur industriellen Bruttoproduktion der DDR bei. Neben der Agrarindustrie ist nur noch der Schiffbau bedeutend: Die Neptunwerft, die Mathias-Thesenwerft in Wismar, die Warnowwerft in Warnemünde, die Volkswerft in Stralsund, die Peene-Werft in Wolgast und die Binnenwerft in Boizenburg sind die bedeutenden Arbeitgeber im Nordosten. Zur Aufgabe der Treuhand wird es, die Kombinate zu privatisieren.

Wirtschaftsleistung bricht ein: Katerstimmung im Rostocker Hafen

Rostocker Hafen © Bundesarchiv Foto: Jürgen Sindermann
Kurzarbeit im Rostocker Hafen: Schon kurz nach der Wirtschaftsunion brechen die Geschäfte ein.

Schon zwei Wochen nach der Wirtschafts- und Währungsunion zeigen sich erste negative Auswirkungen: Ab dem 16. Juli 1990 ist im Rostocker Hafen für die Hälfte der 5.800 Beschäftigten Kurzarbeit angesagt. Lagen in der ersten Jahreshälfte täglich etwa dreißig Schiffe an den Docks, machen nun nur fünf Frachter ihre Leinen fest. Mit Beginn der Währungsunion gehen die Im- und Exporte im Hafen rapide zurück. Kunden aus dem Ostblock stornieren ihre Verträge, ganze Transportverbindungen werden eingestellt. Nach dem Ende der Staatswirtschaft geraten die Schiffbauer in schwere See, müssen Insolvenzanträge, Subventionsskandale und teils mehrere Eigentümerwechsel überstehen. Während die Volkswerft und die Peenewerft nun zur P+S Werften GmbH fusioniert sind und die Mathias-Thesenwerft und die Warnowerft zur russischen Wadan Yards AG gehören, muss die Boizenburger Binnenwerft nach mehr als 200 Jahren Werksgeschichte 1997 schließen. Von den ursprünglich mehr als 50.000 Arbeitsplätzen im Schiffbau bleibt nur ein Fünftel erhalten.

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 28.06.2020 | 19:30 Uhr

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