Stand: 30.04.2020 07:27 Uhr

Geburtstag ohne Feier - 60 Jahre Überseehafen Rostock

von Jürgen Opel

54°/09' Nord, 12°/06' Ost - Das sind die Koordinaten des Rostocker Überseehafens. 750 Hektar Gesamtfläche, die Kaianlagen mit 47 Liegeplätzen messen 11 Kilometer Länge. 180 Gleiskilometer stärken im in Hafenbahnhof den Rücken. Düngemittel und Getreide, Kohle und Öl, Container und Trucks mit allen erdenklichen Gütern werden hier verschifft. Im Hafenvorfeld haben sich die Großen ihrer Branche wie Nordex und Liebherr niedergelassen.

"Ohne Hafen nur ein Kaff"

Entstanden vor mehr als 60 Jahren auf der Brache des geschleiften Dorfes Petersdorf war und ist der Seehafen auf der Ostseite der Warnow das Tor zur Welt, wie es zu DDR-Zeiten hieß - Wirtschaftsstandort und Pulsgeber für die Entwicklung der Stadt. "Ohne Hafen wäre Rostock ein Kaff", sagte einst Max Drese, Hafendirektor von 1960 bis 1973. Er machte damals wenig Schmus, wenn er über seinen Arbeitsplatz sprach. Für Seefahrts- und Hafenromantik hatten die Erbauer auch keine Zeit. Im Herbst 1957 hatte das Politbüro Investitionen in Höhe von mehr als 650 Millionen Mark für den Hafenneubau auf dem Acker am Warnowufer bei Petersdorf beschlossen. Knapp drei Jahre später, am 30. April 1960, wurde am Liegeplatz 31 das erste Schiff gelöscht: die MS "Schwerin", gebaut auf der Warnow-Werft gleich gegenüber.

Ein sozialistisches Gemeinschaftswerk

Ein historisches Bild zweier DDR-Frachter, die im Hafen Rostock festmachen. © dpa Foto: Jürgen Saupe
Zwei DDR-Frachter haben im Überseehafen Rostock festgemacht, aufgenommen am 06.10.1969. Als Folge von Krieg und Teilung gab es auf dem Gebiet der DDR keinen Überseehafen.

20.000 Rostocker kamen an diesem Tag in den Hafen. Mit dabei war auch der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht: "Man kann den Hafenbau als ein hervorragendes Beispiel der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit werten. Und dafür danken wir den Werktätigen." Es folgte langanhaltender Beifall. Abgesehen vom Propagandaton - die Werktätigen hatten sich den Dank verdient: Vier Millionen Mark an Spenden kamen aus dem ganzen Land zusammen, 500.000 unentgeltliche Arbeitsstunden und 60.000 gesammelte Gesteinstonnen für den Neu- und Ausbau der Molen.

Für den Warnemünder Dichter Kurt Barthel, kurz KuBa, Grund genug, dem Hafen-Subbotnik an der Warnow ein eigenes Werk zu widmen:

In Hohe Düne poltert und klabautert und rumort ein unvorhergesehener Gast,
Sog und Brandung bricht ein ungeheurer Wille
ein Vierfingerpfiff die exklusive Stille
Unterwasserexplosionen die Idylle
Bagger Rostock frißt den Mergel wie Kompott.
aus: Literaturstadt Rostock, 2018, Sigurd Schmidt und Wolfgang Gabler

Der weitere Ausbau des Hafens bei laufendem Betrieb an den Kaikanten war ein Kraftakt. Ende 1960 waren kaum 500.000 Tonnen Güter umgeschlagen. Der Ölhafen bei Peetz entsteht, neue Hafenbecken werden angelegt, Straßen und Lagerhallen gebaut. Im Rücken des Hafens wächst mit Hunderten Gleiskilometern der zweitgrößte Rangierbahnhof der DDR.

Hochfliegende Pläne verschwinden in den Schubladen

Ein historisches Bild eines Containerschiffs 1983. © dpa Foto: Jürgen Saupe
Ende 1960 waren kaum 500.000 Tonnen Güter umgeschlagen.

Planerfüllung und Aufbauwillen, Schluderei und Mangelwirtschaft - hochfliegende Pläne wie ein Warnowtunnel verschwinden in den Schubladen. Projekte wie der Autobahnanschluss verzögern sich. Ein zentrales Problem: Keine Leute! Trotz der hafeneigenen Betriebsakademie ein Dauerbrenner. Anfang der 80er-Jahre werden im Hafen fast 350 Lehrlinge pro Jahr ausgebildet in 16 Berufen. Dennoch gehörte bis zur Wende der Einsatz der so genannten "Hafenreserve" im Schichtbetrieb zum Normalzustand.

Eine kleine Stadt im Rücken des Piers

Ende 1985 gibt es an fünf Hafenbecken mit einer Kailänge von neun Kilometern 36 Schiffsliegeplätze. Es können Stückgut-, RoRo- und Containerschiffe, Massengutschiffe und Tanker abgefertigt werden. Im Rücken der Piers war eine Stadt entstanden: mit eigenem Berufsverkehr per Bus, Bahn und Fähre, einem Wasser- und Heizhaus und eigener Mülldeponie, mit Betriebsfunk und -zeitung. Es gibt Krippe, Kindergarten, Betriebsambulatorium, Kantinen, Friseur, Geschäften, Post. Auch gebacken wurde im Hafen und der betriebseigene Fleischer hatte eine Spezialität, die Hafenleberwurst.

Von der Plan- zur Marktwirtschaft

Aus einer Anfangs-Belegschaft von knapp 650 Mitarbeitern wird bis zum Ende der DDR ein Kombinat mit knapp 6.000 Beschäftigten, darunter bis zu 700 Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit. Der Umschlag liegt 1989 bei rund 20 Millionen Tonnen. Und wie sollte es anders sein: Der Hafen ist ein Spiegel der verloren gegebenen DDR-Wirtschaft. Mit ihrem Ende und nach der Währungsunion ging der Umschlag in den Keller, Schifffahrtslinien brachen weg, Entlassungen in Größenordnung folgten.

Zur Wende brechen die Umschlagzahlen ein

Klaus Kilimann, Rostocks Oberbürgermeister und Vorsitzender des Aufsichtsrates des Seehafens, musste 1991 eingestehen, dass die Umschlagszahlen des Jahres mit 7,6 Millionen Tonnen kaum ein Drittel des Umschlages von 1989 ausmachen werden. Aufsicht führte Kilimann wenig später über nicht einmal mehr 900 Beschäftigte. Tausende hatten zunächst ihren Arbeitsplatz verloren. Aus dem VEB Seehafen Rostock wird erst eine Aktiengesellschaft, dann eine GmbH und schließlich die Hafen-Entwicklungsgesellschaft, Rostock Port GmbH, von heute. Ein Deal, den Hafen zu verkaufen, scheitert. Stadt und Land bleiben Mutter und Vater der Gesellschaft.

Zuwächse in allen Bereichen

Die Celebrity Constellation bei Einlaufen in den Rostocker Hafen. Sie kann nicht in Warnemünde liegen. Die drei Plätze sind schon vergeben. Die Constellation wird im Überseehafen festmachen. © © NDR
Die "Celebrity Constellation" bei Einlaufen in den Rostocker Hafen. Sie kann nicht in Warnemünde liegen. Die drei Plätze sind schon vergeben. Die "Constellation" wird im Überseehafen festmachen.

Seit der Wende sind rund 600 Millionen Euro in den Ausbau des Hafens geflossen. Mit 27 Millionen Tonnen beim Güterumschlag und 2,4 Millionen Passagieren legte der Hafen 2008 sein bestes Jahresergebnis seit Bestehen hin. Unter anderem mit den Zuwächsen im Fährbetrieb, dem RoRo-Verkehr und beim Kreuzfahrtourismus hat sich der Standort am Breitling zum Universalhafen gemausert, der in Krisen zwischen Stand- und Spielbein wechseln kann. Im vergangenen Jahr lag der Güter-Umschlag bei knapp 26 Millionen Tonnen. Ein neuer Rekord scheint bis zum 61. Geburtstag nur schwer vorstellbar, denn auch Rostocks Tor zur Welt hat sich virusbedingt ein Stück weit geschlossen.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 30.04.2020 | 20:00 Uhr

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