1945: Braunschweiger mit Löwenherz rettet Kunstschätze
Kurt Seeleke rettete in den letzten Kriegswochen Braunschweigs Kulturschätze. Ohne ihn gäbe es selbst den Burglöwen wohl nicht mehr. Am 11. April 1945 bringt er die Nazis dazu, vom Welfenschloss Blankenburg abzurücken.
Die Stadt brennt. Februar 1945, wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Große Teile Braunschweigs liegen bereits in Trümmern und doch gehen die Luftangriffe unaufhörlich weiter: "Achtung, Achtung! Hier ist der Befehlsstand der 1. Flakdivision Berlin", tönt es aus dem Rundfunk. Fliegeralarm, Bomben fallen vom Himmel. Die Braunschweiger suchen Schutz in den Bunkern der Stadt.
Große Sorge um die Kunstwerke
Nur ein Mann hält einsam Wache: Kurt Seeleke. "Er saß auf dem Turm der Martinikirche mit einem Fernglas ausgestattet und beobachtete, wo in der Stadt Bomben einschlugen, während die Granaten um ihn herum herunterprasselten", erinnert sich Zeitzeuge Eckhard Schimpf. Seelekes große Sorge: Die Detonationen oder anschließenden Brände könnten Kunstwerke beschädigen oder gar für alle Zeiten zerstören.
Die Rettung des Löwen
Schimpf, Journalist aus Braunschweig, ist sein ganzes Leben mit dem unerschrockenen Denkmalschützer befreundet gewesen. Während Seeleke im Feuersturm ausharrt, stehen unten im Eingangsbereich der Kirche zwei Motorräder mit Fahrern bereit, erzählt Schimpf. Sie bringen Seeleke sofort zu einem Brandherd, wenn Gefahr droht.
Die spektakulärste Rettung Seelekes ist ohne Zweifel die des Braunschweiger Burglöwen. Die bekannte Bronzefigur soll in den letzten Kriegswochen mit anderen Kunstschätzen der Stadt nach Schlesien gebracht werden. So lautet der Befehl aus Berlin. Doch als Seeleke davon erfährt, tauscht er das Original einfach gegen eine Fälschung aus und schafft den echten Löwen nach Goslar in die Stollen des Rammelsbergs. Tausende andere Kunstwerke versteckt er gegen den Befehl in nahegelegene Bunker und Stollen - und rettet sie so vor Feuer und Plünderung.
"Ich könnte Sie erschießen lassen"
Tollkühn auch sein Auftritt am 11. April 1945 im von Braunschweig nicht weit entfernten Blankenburg im Harz: Das Welfenschloss quillt über vor ausgelagerten Kunstschätzen. Ausgerechnet dort will die Wehrmacht einen letzten Verteidigungsring gegen die vorrückenden Amerikaner bilden. Mit einem klapprigen Lkw macht sich Seeleke auf den Weg in den Harz. Unter dem Donner der Geschütze versucht er General Walther Lucht zu überreden, seine Truppen zu verlegen. "Ich könnte Sie auf der Stelle erschießen lassen", soll Lucht gesagt haben. Seelekes Antwort: "Ich habe mich von meiner Familie bereits verabschiedet." Er erreicht sein Ziel: Die deutschen Panzer rollen ab.
Nach Kriegsende holt Seeleke die weit verstreuten Kulturgüter wieder aus ihren Verstecken. Doch um die wenigen Stücke, die trotz seines unglaublichen Einsatzes in den Kriegswirren gestohlen wurden, trauert er bis zum Ende seines Lebens. Kurt Seeleke stirbt am 3. Juni 2000. Nach ihm ist in Braunschweig ein Platz im Magni-Viertel benannt.
* Die Urfassung dieses Beitrags wurde bereits 2015 veröffentlicht. Der Autor ist nicht mehr für den NDR tätig.
