Presse-Neustart nach dem Krieg: Wie die "BZ" gegründet wurde
Die "Braunschweiger Zeitung" ist das erste freie Nachrichtenblatt in Norddeutschland, das eine Lizenz der britischen Militärregierung erhält. Am 8. Januar 1946 erscheint die erste Ausgabe - mit Raum für freie Meinungsäußerung.
Es ist eine kleine Sensation in der norddeutschen Presselandschaft: Nachdem in der amerikanischen Besatzungszone bereits die Frankfurter Rundschau (1. August 1945) und die Süddeutsche Zeitung (6. Oktober 1945) als Lizenz-Zeitungen erschienen sind, bekommt auch der Verleger Hans Eckensberger am 5. Januar 1946 eine Zeitungslizenz ausgestellt - von der britischen Militärregierung. Denn vor dem Hintergrund einer gleichgeschalteten Medienpolitik während der NS-Zeit mit Abschaffung der Pressefreiheit und der Einführung des Schriftleitergesetzes am 1. Januar 1934 gehen die Besatzer damals sehr restriktiv mit der Ausgabe solcher Zeitungslizenzen um. Besonders die britischen Presseoffiziere legen großen Wert auf die behutsame Wiederherstellung des Verhältnisses der Deutschen zur Demokratie.
Frei von nationalsozialistischem Gedankengut?
Aber Hans Eckensberger, der aus einer Braunschweiger Verlegerfamilie stammt und als früherer Gesellschafter und Chefredakteur der "Braunschweiger Neuesten Nachrichten" (BNN) bereits viel Erfahrung mitbringt, scheint der geeignete Bewerber zu sein. Eckensberger spricht nicht nur gut Englisch, was ihm bei den Verhandlungen mit den Alliierten hilft.
Er unterstützt die freie Meinungsäußerung und ist gewillt, den Demokratisierungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe der Presse anzustoßen. Seine Zeitung soll kein parteigeleitetes Forum sein. Darüber hinaus gilt Eckensberger politisch als unbedenklich - und frei von ideologischem Gedankengut. Als Journalist hatte er unter den Nationalsozialisten seine Arbeit verloren und 1934 ein Jahr in Haft gesessen. Anschließend engagierte er sich konsequent gegen das Nazi-Regime.
"Braunschweiger Zeitung" als Vorbild für freie Presse
Schon zwei Tage später - am 7. Januar 1946 - findet die offizielle Lizenz-Übergabe statt, durchgeführt vom Direktor der Nachrichtenstelle der Militärregierung, Brigadier W.L. Gibson. Anwesend sind außerdem so wichtige Amtsträger wie Group Captain Hicks, der Militärgouverneur des Landes Braunschweig - der auch das kulturelle Leben in der Stadt vorantreibt -, der braunschweigische Nachkriegs-Ministerpräsident Hubert Schlebusch und der Oberbürgermeister der Stadt, Ernst Böhme.
Die Briten geben Eckensberger eine wichtige Botschaft mit auf den Weg: "Die 'Braunschweiger Zeitung' ist die erste Zeitung, die von der britischen Militärregierung zugelassen wird. Sie ist damit in der Lage, als Vorbild für alle zukünftig zugelassenen Zeitungen zu dienen", mahnt Brigadier Gibson.
Hans Eckensberger weiß um die wichtige Aufgabe, die der Presse im Nachkriegsdeutschland zukommt: Die "Braunschweiger Zeitung" sei ein Organ der deutschen Meinungsbildung und die Erziehung zur Demokratie sei die wichtigste Aufgabe, die in der Zukunft zu erfüllen sei, so der Verleger vor dem Erscheinen der ersten Ausgabe. Ein Hauptanliegen ist dem Verleger die Mitwirkung der Leser. Die Rubrik "Leserbriefe" nennt er "Das Freie Wort", denn jeder solle das Recht haben, seine "Meinung als seine eigene vorzutragen, ohne die Schergen einer Diktatur fürchten zu müssen", so Hans Eckensberger. Der Journalist bleibt dem Blatt im Übrigen bis zu seinem Tod im Jahr 1966 treu.
Journalist Fritz Sänger wird Chefredakteur
Noch am Tag der Lizenzübergabe laufen die Druckmaschinen am Hutfiltern in Braunschweigs Zentrum an. Schlagzeilen wie "Angriffsziel Schweiz", "Attentat in Kairo" und auch der "Gründungsakt der Braunschweiger Zeitung" bestimmen die erste Ausgabe, die Chefredakteur Fritz Sänger verantwortet. Der Journalist hat bereits die "Braunschweiger Neue Presse", herausgegeben durch die Alliierten, verantwortet und war von der britischen Militärregierung als "unbelastet" eingestuft worden. Sänger war als ausgebildeter Pädagoge ab 1927 leitender Redakteur der "Preußischen Lehrerzeitung" und Geschäftsführer im Preußischen Lehrerverein 1933 aus politischen Gründen gekündigt worden. Das Parteimitglied der SPD, ab 1946 Abgeordneter des Ernannten Braunschweigischen Landtags, hatte sich während der NS-Herrschaft als Stenograf über Wasser halten müssen und Juden und Regimekritikern bei der Flucht geholfen.
1947 wird er Chef des Deutschen Pressedienstes (dpd), der im August 1949 in der Nachrichtenagentur dpa aufgeht. Fritz Sänger arbeitet schließlich das Godesberger Programmder Sozialdemokraten aus und unterstützt Willy Brandt 1961 im Wahlkampf.
Papiermangel und Rationierung prägen die Nachkriegszeit
Am 8. Januar 1946 können Kunden dann erstmals eine Zeitung aus vier Seiten in den Händen halten. Der Fokus liegt auf Nachrichten wie Berichte über die Nürnberger Prozesse, aber auch auf Kultur und lokalen Meldungen. Doch die Nachkriegszeit ist geprägt von Rationierung und Papiermangel. Und so erscheint das Blatt anfangs nur zweimal wöchentlich, dienstags und freitags. Ein Rückschlag für die "Braunschweiger Zeitung" gibt es nur einen Monat nach dem ersten Erscheinen. Ein extremes Hochwasser am 9. und 10. Februar setzt die ohnehin zerstörte Innenstadt und auch das Redaktionsgebäude mit Papierlager und Druckräumen unter Wasser. Teile des Archivs werden zerstört, zwei Monate lang müssen die Blattmacher von Goslar aus arbeiten und dort eine Notausgabe drucken. Doch es geht wieder aufwärts: Im November 1947 erscheint die Zeitung dreimal in der Woche und dann ab Oktober 1949 werktäglich.
Presse nach 1945: "Blackout", Übergangsphase, Neuanfang
Dem Weg bis zum Erscheinen der "Braunschweiger Zeitung" geht eine Neuordnung des deutschen Pressewesens durch die Alliierten in drei Stufen voraus. Zunächst erfolgt der "Blackout" - das Verbot aller bestehenden Zeitungen. So erscheint am 10. April 1945, als die US-Armee erste Kapitulations-Verhandlungen mit der Stadt führt, zum letzten Mal die Nazi-Zeitung "Braunschweiger Tageszeitung" als "Amtliches Organ der NSDAP und der Behörden". Zwei Tage später folgt die kampflose Übergabe Braunschweigs an die Alliierten. Daran schließt sich eine mehrmonatige Übergangszeit mit der Herausgabe alliierter Heeresgruppen- oder Armeezeitungen in deutscher Sprache an. Dazu gehören unter anderem der "Braunschweiger Bote", der "Neue Hannoversche Kurier" und die "Braunschweiger Neue Presse". Letztere erscheint am 12. Oktober 1945 erstmals mit einem Umfang von vier Seiten. Schließlich folgt in einem letzten Schritt die Vergabe von Lizenzen an Verleger und Herausgeber wie Hans Eckensberger.
Die "Braunschweiger Zeitung" kommt einem Symbol für den Neuaufbau der Zeitungslandschaft in Norddeutschland gleich. Einige Zeitungen wie etwa der "Weser-Kurier" erscheinen unter den US-Militärs etwas früher. Weitere Presseorgane im Norden folgen, zum Beispiel:
Aufschwung der "BZ" kommt in den 50er-Jahren
Mit Beginn der 50er-Jahre erlebt die unabhängige und nicht parteigebundene "Braunschweiger Zeitung" einen großen Aufschwung. Der Verlag vergrößert sich, auch personell, und so entsteht Mitte der 50er ein größeres Druckhaus in der Innenstadt. Bis Juni 1981 residiert die das Blatt im Pressehaus am Hutfiltern 8. Dann heißt es für alle Abteilungen: Umziehen - in die neuen Räumlichkeiten in der Hamburger Straße 277 im Norden Braunschweigs. Allerdings bleibt auch die "Braunschweiger Zeitung" in den folgenden Jahren von der Konzentration im Pressewesen und Aufkäufen durch größere Medienunternehmen nicht verschont. Ende Januar 2007 übernimmt die WAZ-Gruppe den Verlag. Sie firmiert heute unter Funke Mediengruppe.
Im Februar 2013 geht die neue Druckerei an der Hansestraße im Norden Braunschweigs in Betrieb. 2014 gibt es den nächsten Umzug, wieder zurück ins Zentrum der Stadt. Der Braunschweiger Zeitungsverlag fungiert jetzt als BZV Medienhaus unter der Adresse Hinter den Brüdern 23.
"Braunschweiger Zeitung" steht vor Herausforderungen im digitalen Zeitalter
Fast im Gleichschritt mit der Umbenennung zum Medienhaus erfolgt seit Dezember 2012 auch der digitale Ausbau. Zunächst bietet die Zeitung eine Metered Paywall an: 20 Artikel sind frei zugänglich - dann greift eine Bezahlschranke. Seit Juli 2014 gibt es alle Artikel nur gegen Bezahlung. Ein unerlässlicher Schritt, denn wie viele andere Blätter verliert auch Braunschweigs einzige Lokalzeitung Leserinnen und Leser. Seit 1998 sinkt die Auflage um knapp 44 Prozent. Laut aktueller Medien-Analyse liegt die verkaufte Auflage bei knapp über 105.000 Exemplaren, bei täglich einer halben Million Leser. Die Quote der Abonnenten liegt dabei bei gut 90 Prozent.
Und so muss die älteste norddeutsche Nachkriegszeitung und zweitgrößte Zeitung Niedersachsens nach der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" im Spannungsverhältnis zwischen sinkenden Verkaufszahlen und wachsenden digitalen Möglichkeiten stets mit der Zeit gehen. Der Anspruch aus der Gründerzeit allerdings bleibt bestehen - die "Braunschweiger Zeitung" versteht sich noch immer als "Bürgerzeitung", die Wert auf Mitwirkung und Einmischung ihrer Leserschaft legt.