Rudolf Augstein: Ein streitbarer Geist
Für seine Überzeugungen kämpfte der Gründer des Nachrichtenmagazins "Spiegel" ein Leben lang. Für die Pressefreiheit ging Rudolf Augstein 1962 sogar ins Gefängnis. Am 5. November 2023 wäre er 100 Jahre alt geworden.
"Ich hatte nie Schwierigkeiten, gegen etwas zu sein. Ich hatte mehr Schwierigkeiten, für etwas zu sein", sagte Rudolf Augstein einmal. Dieser kritische Blick auf Politik und Gesellschaft bestimmte das Leben des Journalisten und Gründers des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Wie kaum ein anderer prägte der 2002 verstorbene Verleger die journalistische Landschaft der Bundesrepublik. Als einen Mann, "ohne den unser Land anders aussehen würde - weniger frei und weniger offen", würdigte ihn der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) in einem Nachruf.
Schon früh ein kritischer Schüler
Rudolf Augstein wird am 5. November 1923 in Hannover geboren. Er ist das sechste von sieben Kindern des Fotokaufmanns Friedrich Augstein und wächst in einer katholisch geprägten Familie auf. Schon als Schüler interessiert er sich für Politik - und zeigt Zivilcourage: In einem Schulaufsatz von 1940 zweifelt er am "deutschen Endsieg" im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Abitur und einem Volontariat beim "Hannoverschen Anzeiger" wird Augstein zunächst zum Arbeitsdienst, 1942 zum Kriegsdienst eingezogen. An der Ostfront wird er verwundet und gerät 1945 kurz in amerikanische Gefangenschaft. Eigentlich hatte er vor, Germanistik zu studieren. Diesen Plan gibt er jedoch auf.
Nach dem Krieg kehrt der junge Journalist in seine Heimat Hannover zurück und fängt bei dem Nachrichtenmagazin "Diese Woche" an. Das Blatt wird von britischen Presseoffizieren geleitet, doch der Ton wird der Militärregierung zu kritisch. Sie will es loswerden. Augstein erwirbt mit 23 Jahren die Lizenz und bringt das Magazin am 4. Januar 1947 unter dem Titel "Der Spiegel" heraus - als Verleger und Chefredakteur.
"Der Spiegel" als Sturmgeschütz der Demokratie
1952 zieht Augstein mit dem Magazin nach Hamburg um. Die kritische Haltung des Magazins ist schon bald manchem Politiker ein Dorn im Auge. Augstein selbst versteht den "Spiegel" als "Sturmgeschütz der Demokratie": Seine Redakteure suchen, wühlen, decken auf. Besonders die Innenpolitik steht im Fokus der Journalisten. Ein Bericht über die Bundeswehr löst 1962 die "Spiegel"-Affäre aus. Augstein muss für 103 Tage ins Gefängnis - wegen des Verdachts auf Landesverrat. Doch die Affäre bringt nicht Augstein zu Fall, sondern den damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU), der die "Spiegel"-Redaktion durchsuchen und schließen ließ. Augstein und sein Magazin hingegen gelten fortan als Hort der Pressefreiheit. Das Strafverfahren gegen ihn wird eingestellt.
Mit bissigen Kommentaren gegen Adenauers Politik
Gegen Strauß als Verteidigungsminister und gegen die Politik Konrad Adenauers (CDU) wendet sich Augstein schon vor der "Spiegel"-Affäre in rund 150 bissigen Kommentaren, die er unter dem Pseudonym "Jens Daniel" veröffentlicht. Adenauers strikt westliche Orientierung empfindet Augstein als Irrweg, der die Trennung Deutschlands zementiert. Später unterstützt Augstein die Ostpolitik Willy Brandts.
Augsteins kurze Karriere als Politiker
Ein Ausflug in die Politik endet für Augstein schon nach kurzer Zeit. 1972 nimmt er ein Angebot des damaligen FDP-Vorsitzenden Walter Scheel an und kandidiert bei der Bundestagswahl. Im November 1972 zieht er über die nordrhein-westfälische Landesliste für die Liberalen in den Bundestag ein, scheidet aber schon drei Monate später wieder aus. Als Grund gibt er einen Wechsel in der Chefredaktion beim "Spiegel" an. Günter Gaus scheidet damals als Chefredakteur aus.
Für die Wiedervereinigung
1989 tritt Rudolf Augstein mit klaren Worten für die Wiedervereinigung ein. Als "Spiegel"-Chefredakteur Erich Böhme am 30. Oktober 1989, wenige Tage vor dem Mauerfall, schreibt: "Ich möchte nicht wiedervereinigt werden", antwortet Augstein ihm im "Spiegel" mit einem Ja zur Einheit und blickt dabei weiter in die Zukunft als viele seiner Zeitgenossen: "Wir wissen nicht, was schwieriger zu bewältigen ist, die expandierende europäische Einigung - wo soll sie enden, am Ural etwa? - oder die Beendigung der bisherigen deutschen Geschichte mit einem Neuanfang." Seinen Redakteuren, die seine politischen Kommentare in den 1990er-Jahren als verweichlicht bezeichnen, entgegnet er: "Entschuldigen Sie mal, Sturmgeschütze sind doch nur in Zeiten angebracht, wo es etwas zu stürmen gibt. Das ist heute nicht mehr der Fall."
Rudolf Augstein privat: Fünf Ehen, vier Kinder
Dem "Spiegel" bleibt Augstein zeitlebens treu - privat liebt er die Abwechslung. Er heiratet fünf Mal, zuletzt im Jahr 2000 die Galeristin Anna Maria Hürtgen. "Ich habe Rudolf Augstein immer beneidet: Um seine Gabe der Analyse und der Aussage; um seinen 'Spiegel'-Erfolg - und natürlich neide ich ihm seine Erfolge bei Frauen", merkte der "Zeit"-Verleger Gerd Bucerius 1993 über den Publizisten an.
Mit drei seiner Frauen zieht Augstein vier Kinder groß. Seine Tochter Franziska arbeitet heute als Journalistin bei der "Süddeutschen Zeitung". Auch der Journalist und Verleger der Wochenzeitung "Der Freitag", Jakob Augstein, ist offiziell sein Sohn, jedoch das leibliche Kind des Schriftstellers Martin Walser.
"Ich schreibe, was ich denke"
Rudolf Augstein bleibt bis zu seinem Tod Herausgeber des "Spiegels" und kommentiert Politik und Gesellschaft. Seine Meinung kommt ins Blatt, auch wenn die Redaktion nicht immer hinter ihm steht. Er will ihr Raum für Kritik lassen: "Ich schreibe, was ich denke, weil das die einzige Richtlinienkompetenz ist, die mir verblieben ist. Und nach der muss sich niemand richten."
Zwei Tage nach seinem 79. Geburtstag stirbt Augstein am 7. November 2002 an den Folgen einer Lungenentzündung. Sein 2023 verstorbener, langjähriger Freund und Weggefährte Martin Walser findet in einem Nachruf sehr persönliche Worte: "Man wird doch auch noch schreien dürfen. Wenn so einer stirbt. So ein toller Kerl. Sense."
Rudolf-Augstein-Promenade als "ehrendes Andenken"
In Hamburg gibt es seit dem 2. November 2023 eine Rudolf-Augstein-Promenade. Die frühere Ericuspromenade rings um das Hochhaus des Nachrichtenmagazins "Spiegel" ist zu Ehren des Magahin-Gründers umbenannt worden. Der Hamburger Senat hatte die Umbenennung auf Initiative der Rudolf Augstein Stiftung und der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte hin beschlossen.
"Nachkriegsdeutschland und insbesondere unsere Medienstadt haben Rudolf Augstein viel zu verdanken. Augstein war eine starke journalistische Stimme, die bis heute Maßstäbe setzt", sagt Hamburgs Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD). "Mit der Benennung der Rudolf-Augstein-Promenade markieren wir nicht nur die Heimat des 'Spiegel'-Verlages, sondern setzen dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit ein ehrendes Andenken."
Am 3. November 2023 findet Augstein zu Ehren eine Feierstunde in der Hansestadt statt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Laudatio auf den "Spiegel"-Gründer.