Jewish Chamber Orchestra Hamburg will jüdische Musikkultur präsenter machen
2018 wurde in Hamburg das Jewish Chamber Orchestra gegründet, ein Kammerorchester, das jüdische Kultur und Musik einem breiten Publikum bekannt machen möchte. Ein Gespräch mit dem Leiter Emanuel Meshvinski.
Herr Meshvinski, was war die Gründungsidee, warum ist das Jüdische Kammerorchester entstanden?
Emanuel Meshvinski: Um die Gründungsidee nachzuvollziehen, muss man ein bisschen zurückreisen in der Geschichte, ins Jahr 1934. Damals hat nämlich der Komponist, Dirigent und Violinist Edvard Moritz in Hamburg das Jüdische Kammerorchester gegründet. Es entstand, weil jüdische Musikerinnen und Musiker immer mehr aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden. Sie durften nur noch für Juden und mit Juden zusammen Musik machen. Das Orchester spielte insgesamt vier Konzerte, finanziert von Ticketeinnahmen, von Spendenfonds, und musste dann wieder aufgelöst werden, weil das Berufsverbot für Juden in Kraft getreten ist. Seit diesem Moment gab es kein jüdisches Kammerorchester mehr in Hamburg. Meine Eltern haben 2018 die Idee gehabt, erneut so ein jüdisches Kammerorchester in Hamburg aufzubauen - das war die anfängliche Idee.
Welche Werke spielen Sie? Was steht auf ihrem Programm?
Meshvinski: Gemischt. Wir spielen sowohl bekannte klassische, romantische Stücke als auch - und da legen wir ganz besonderen Fokus drauf - Werke von jüdischen Komponisten aus dem 20. Jahrhundert, also Komponisten, die in der NS-Zeit verfolgt oder sogar auch in KZs ermordet wurden. Diese Werke bezeichnen wir als die "musikalischen Stolpersteine".
Sie wurden 2002 in Hamburg geboren. Welchen Blick haben Sie auf die jüdische Musikkultur heute?
Meshvinski: Das ist eine interessante Frage. Ich finde, dass vor allem diese Komponisten zu wenig Bekanntheit haben, zu wenig gespielt werden. Das ist sehr schade, weil das wirklich wahnsinnig gute Musik ist und absolut gleichwertig mit Beethoven und Mozart. Ich bemühe mich sehr, dass diese Komponisten häufiger auf die Bühne kommen, häufiger gespielt und auch gehört werden. Insofern versuchen wir, die jüdische Musikkultur präsenter zu machen.
Wie wird das angenommen? Welche Reaktionen kriegen Sie?
Meshvinski: Sehr gute. Ich habe noch nie eine Stimme gehört, die gesagt hat, es sei keine gute Idee, was wir da machen. Wir kriegen sehr gute Resonanzen, es gibt sehr großes Interesse für dieses Projekt, für diese Idee. Menschen sagen, das müsse eigentlich viel häufiger geschehen. Wir haben das Gefühl, dass der Bedarf nach dieser Musik und nach diesen Geschichten sehr groß ist.
An welchen Spielorten treten Sie auf?
Meshvinski: An unterschiedlichen: in Hamburg, um Hamburg und auch in ganz Deutschland. Wir veröffentlichen die Konzerttermine immer auf unserer Webseite. Wir planen zum Beispiel dieses Jahr bei den Hamburger Kammerspielen im Logensaal wieder ein Konzert, das wahrscheinlich Ende Juni stattfinden wird. Im Rolf-Liebermann-Studio werden wir Anfang November ein Konzert haben. Und wir versuchen auch mit dem Projekt der Bornplatzsynagoge eine Kooperation zu schaffen, sodass wir vielleicht auch auf diesem Platz spielen können. Also in und um Hamburg herum.
Wie erreichen Sie jüngere Menschen?
Meshvinski: Durch gemischte Konzertformate. Wir haben nicht nur Musik auf dem Programm, sondern wir arbeiten auch mit anderen Kunstformen zusammen. Wir haben zum Beispiel 2021 eine Konzertserie bei den Hamburger Kammerspielen durchgeführt, wo wir mit Schauspielerinnen und Schauspielern zusammengearbeitet haben, die Texte über diese Zeit, aus dieser Zeit gelesen haben. Wir haben teilweise auch sehr junges Publikum gehabt, Schulklassen, und an die kommt man durch solche Formate näher heran, wenn man Geschichten über diese Zeit erzählt.
Das Interview führte Julia Westlake.