Was erwarten Kulturschaffende von der künftigen Bundesregierung?
Wirtschaft und Zuwanderung! Das sind die Themen, die mit Leidenschaft auf allen Kanälen und Podien verhandelt werden. Dabei gibt es nicht wenige Menschen im Land, denen gerade die Kultur wichtig ist bei diesen Wahlen. Wir haben nachgefragt.
Die Kultur muss immer um ihren Bestand und ihre Bedeutung kämpfen und egal bei wem man sich umhört in diesen Tagen des Wahlkampfes - die Sorgen sind groß! Nicht nur was die eigene Situation betrifft. Denn vielen Kreativen geht es auch ums große Ganze: um Demokratie und Freiheit.
Ab dem 04.02. startet bei NDR Kultur eine mehrtägige Reihe zur Kulturpolitik der einzelnen Parteien.
Brauchtumspflege: modern, jung und international
Im Landestrachtenverband Niedersachsen pflegt man Tradition, Brauchtum und Heimatverbundenheit, tritt aber modern, jung und international auf. Die Vorsitzende Manuela Kretschmer hält daher bei den anstehenden Wahlen nichts von Sympathien einer bestimmten Partei. "Ich wünsche mir inständig, dass die Demokratie bleibt, dass wir eine neue Bundesregierung bekommen aus demokratischen Parteien, die offen sind für ein buntes, vielfältiges, integratives und inklusives Deutschland; ich möchte keine Bundesregierung, die ausgrenzt oder diffamiert", sagt Kretschmer.
Bezahlbarer Wohnraum in Großstädten
Auch die Autorin Simone Buchholz betont, wie wichtig Kunst und Kultur für die Demokratie sind. Nach vielen Krimi-Bestsellern ist sie mit ihrem neuen Roman "Nach uns der Himmel" sehr erfolgreich. Von der Politik erwartet sie, neben der Verteidigung von Kunst- und Meinungsfreiheit, auch etwas ganz Konkretes, das die Parteien kaum auf dem Zettel hätten. "Wenn ich in politischer Verantwortung wäre und Kunst und Kultur fördern wollen würde, würde ich als erstes dafür sorgen, dass es bezahlbaren Wohnraum gibt: in allen Städten Deutschlands - auch den großen", erklärt Buchholz. "Sonst zieht die Kultur, die junge Kultur, die Untergrundkultur und ziehen auch ältere Kulturschaffende aus den Städten ab. Dann sind es nur noch Kulissen und dann kann man schön Musicals machen, aber dann wohnen keine Künstler*innen mehr in den Städten", befürchtet sie.
Selbst von einer erfolgreichen Graphic Novel kein Verdienst
Nicht alle Parlamentarier im coolen Berlin wissen, wie es um die Kreativen wirklich bestellt ist, sagt die junge Illustratorin und Comic-Zeichnerin Eva Müller aus Hamburg. Sie kennt die Probleme der Szene und hat eine Comic-Gewerkschaft gegründet. Sie gehört zu den Erfolgreichen ihrer Kunst, aber selbst ihre Graphic Novel "Scheiblettenkind" reicht nicht zum Leben. "Man verdient am Buch nichts" sagt sie schlicht. Nur mit sieben bis elf Prozent beteiligten die Verlage ihre Künstlerinnen am Erlös. "Viele meiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten am Limit, also, finanziell. Und sie machen trotzdem weiter, weil sie's für wichtig halten und weil sie's wollen."
Im Bereich Comic und Graphic Novel gäben im Moment viele Leute auf, das finde sie schade. "Man arbeitet eben immer auf Kante - von Projekt zu Projekt. Ansparen kann man wenig. Für die Rente gibt's nicht viel", erzählt Müller. Natürlich gibt es die Künstlersozialkasse, die die Hälfte der Beiträge zahlt, sagt sie. "Das ist schon mal toll, aber am Ende bleibt da meistens nicht viel übrig."
Hohes kritisches Potenzial der Kunst schützen
Die Politik muss erkennen, wie wichtig Kultur für die Gesellschaft, und, ja, für die Demokratie ist, betont der Direktor des Sprengel Museums in Hannover Reinhard Spieler. "Alle zeitgenössische Kultur hat ein sehr hohes kritisches Potenzial und zwar nicht nur in der bildenden Kunst wie bei uns im Sprengel Museum sondern auch im Theater - vor allen Dingen aber auch in der Musik, im Tanz, im Schauspiel. Dieses kritische Potenzial ist eminent wichtig und wir bieten die Plattformen wo wirklich Diskussionen geführt werden können, ohne dass es gleich politische Realität wird, sondern bei uns kann man sich austauschen und sich auch mal mit pointierteren Ansichten austauschen und kann das im geschützten Raum einer solchen Institution tun." Der Direktor erwarte, dass dieser Raum weiter geschützt respektiert werde und genau darin gefördert werde.
Hilfen des Bundes "unverzichtbar"
Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia-Theaters betont, dass Hilfen seitens des Bundes auch von der künftigen Regierung unverzichtbar sind, wenn die Kultur weiterhin geschützt werden soll. "Das betrifft die gesamte Landschaft. Das betrifft nicht nur die Theater. Das betrifft auch die Museen. Das betrifft die Jugendkultur, die musische Ausbildung, also die ganze Palette bis hin zur kulturellen Bildung. Ich fürchte, dass das droht, unter die Räder zu kommen angesichts der schwachen Kommunen und der Länder. Der Bund muss da was tun", fordert Lux.
Alljährlich feiert Lux in seinem Haus bei den Lessingtagen bühnenreif und mit allen Sinnen und ganz im Sinne des großen Aufklärers den Diskurs und den Dialog - Tugenden, die die meisten im aktuellen Wahlkampf vergessen hätten. "Wir brauchen eine politische Kultur, man kann es Anstand nennen. Man kann es auch Differenziertheit nennen. Weil, was ist Kultur? Kultur ist eine Kultur des Sehens, des Fühlens, des Schmeckens, des Lesens, des Hörens in der Musik, also eine Kultur der Differenzierung und der Differenziertheit und nicht der Schwarz-Weiß-Malerei", erläutert der Intendant.