"Underground Girls" im Thalia Theater: Erschreckend hoffnungslos
Im Mittelpunkt des Stücks, das als Gastspiel im Thalia Theater in der Gaußstraße Deutschlandpremiere gefeiert hat, steht das Leben von Frauen in Afghanistan. Es geht um ihre Sehnsucht nach Freiheit - und den unbedingten Wunsch, nur Söhne zu gebären.
In der eindrücklichsten Szene des Abends betreten Bräute die Bühne, sie tragen lange, weiße Spitzenschleier und Diademe, sie sind für die Hochzeit herausgeputzt. Was fehlt, ist lediglich der Ehemann. Daher preisen sie ihre Stärken an, die sie zu guten Heiratskandidatinnen machen: Sie widersprechen nicht, sie sind leise, sie sind mit einer Zweitfrau einverstanden, sie nehmen ihrem Mann jede Arbeit ab - und um das Werben noch absurder zu machen -, auch die Arbeit, seine Zweitfrau sexuell zu befriedigen. Die Ehe bedeutet für Frauen ein Leben als Sklavin. Dennoch haben sie keine Wahl, die einzige Arbeit, der sie nachgehen können, ist die als Ehefrau und Mutter. Rechte haben sie kaum.
"Underground Girls": Das unerträgliche Leid der Frauen
"Underground Girls" hätten eigentlich Triggerwarnungen vorangestellt werden müssen: Immer wieder tönen durch Lautsprecher die Schreie von Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden. Das Leid auf der Bühne ist kaum zu ertragen.
"Theater ist Fantasie" - mit diesen Worten beginnt das Stück. Doch fiktiv ist hier wenig. Die Handlung basiert auf dem Buch "Underground Girls of Kabul" der schwedischen Autorin Jenny Nordberg aus dem Jahr 2014: eine Recherche über die afghanische Praxis, Mädchen als Jungs zu verkleiden, sodass sie in Freiheit aufwachsen können. Außerdem bedeuten Söhne mehr soziale Anerkennung für die ganze Familie. Kein Wunder also, dass Frauen alles daransetzen, Söhne zu gebären.
Frauen als Gefangene des Regimes
Nach August 2021 wurde das Leben für Frauen in Afghanistan, das schon zuvor von Unfreiheit geprägt war, noch radikaler eingeschränkt. Auf diese Zeit, als die Taliban die Herrschaft übernommen haben, blickt der zweiten Akt. Hier treten die Schauspielerinnen in schwarz-weiß-gestreiften Burkas auf. Kleidung, die sie als Gefangene kennzeichnet.
Das Stück stellt die Frage, warum Männer in der Gesellschaft bevorzugt werden und warum Frauen in so vielen Gegenden der Welt nicht die gleichen Rechten haben wie Männer. Die Antwort auf diese rhetorischen Fragen bleibt es schuldig, denn es gibt sie nicht.
Gastspiel aus Usbekistan: Deutschlandpremiere bei den Lessingtagen
"Underground Girls" ist ein Gastspiel, das für die Lessingtage ans Thalia Theater gekommen ist, wo es seine Deutschlandpremiere feiert. Uraufgeführt wurde es in Usbekistan. Die beschriebenen Zustände des Stückes werden immer wieder in ein "fernes Land" verortet. Allerdings sind Usbekistan und Afghanistan Nachbarländer. Und auch in Hamburg fühlt sich das Thema nicht weit entfernt an, sondern im Gegenteil sehr nah. Unabhängig von der geografischen Lage ähneln sich die Wünsche von Frauen überall auf der Welt, weshalb das Stück auch hier eindrücklich funktioniert.
Am Ende sitzen die Frauen auf der Bühne zusammen und formulieren ihre Hoffnungen: Liebe, Umarmungen, Privatsphäre, keine Angst haben zu müssen, Freiheit, Gleichberechtigung. Der Abend könnte mit Optimismus enden, doch den Gefallen tut uns Regisseur Jakub Skrzywanek nicht. Stattdessen sind es wieder die Schmerzensschreie von geschlagenen Frauen, die zu hören sind. Für sie gibt es heute kein Happy End.
Auf der Bühne wurde an diesem Abend Russisch gesprochen, es gab englische und deutsche Obertitel. Die Technik lief nicht immer ganz rund, sodass auf der Bühne teilweise deutlich mehr gesagt wurde, als der nicht Russisch sprechende Teil des Publikums verstanden hat. Das hat allerdings der Eindrücklichkeit keinen Abbruch getan, den dieser Theaterabend bei den Zuschauerinnen und Zuschauern hinterlassen hat.