Notensuche leicht gemacht: Pommersches Volksliedarchiv digital
Die größte Volksliedersammlung Pommerns ist jetzt vollständig digitalisiert und im Internet zugänglich. Das Pommersche Volksliedarchiv birgt alte Lieder und Tänze aus 450 Orten. Lange waren sie verschollen.
Das Pommersche Volksliedarchiv lagert in mehreren Kartons. Vorsichtig blättert die Leiterin des Archivs der Universität Greifswald Elisabeth Heigl durch die Blätter, die in Mappen verwahrt sind. "Das ist sehr empfindliches Papier", sagt Heigl. 2014 wurden dieses Kartons wiederentdeckt. Jahrzehntelang hatte sie vorher niemand hervorgeholt oder gesichtet.
Forscher riefen zum Lieder Sammeln auf
Rund 14.000 Lieder sind in dem Archiv, von dem rund 70 Jahre lang kaum jemand wusste, dass es existiert. Heute lagert es im Archiv der Universität Greifswald. In den Kartons finden sich Zettel, Briefe und Notenblätter. Es ist die größte Volksliedsammlung Pommerns. Etwa 2.000 Lieder existieren in Notenhandschriften. "Es ist gesammelt worden von einer Forschungsstelle, die hier in der Universität eingerichtet wurde. Diese forschenden Volkskundler haben in ganz Pommern Aufrufe gestartet und darum gebeten, dass die Volkslieder, die es gab, einsendet werden", erklärt Heigl. Alles was in den verschiedenen Orten bekannt war, sollte an die Volkskundler geschickt werden, sagt die Archivleiterin. "Die Ergebnisse haben wir jetzt hier in dem Bestand gesammelt und können nachvollziehen, welche Lieder gesammelt und gesungen wurden."
Lieder, Tänze und die Geschichten dazu
Den ersten Aufruf für ein deutsches Volkslied-Archiv gab es 1914. Es war der Versuch, der aktuellen Musik, dem sogenannten "minderwertigen modernen Machwerk", etwas entgegen zu setzen. Mitte der 20er Jahre wurde dann die Forschungsstelle für Pommersches Volksliedgut in Greifswald gegründet. Die Resonanz war damals riesig. Menschen aus 450 Orten in Pommern schickten Lieder und Tänze - und die jeweilige Geschichten dazu.
Forschung endete im Zweiten Weltkrieg
Die Forschungsstelle arbeitete nur zwölf Jahre. Rassistische und volkserzieherische Vorstellungen des Nationalsozialismus überlagerten die wissenschaftliche Arbeit. Der Leiter des Archivs, Karl Kaiser, meldete sich 1939 freiwillig zur Wehrmacht. Nicht einmal ein Jahr später fiel er im Zweiten Weltkrieg an der Westfront. Die Archivarbeit kam zum Erliegen. Auch nach Ende des Krieges und in der DDR gab es kein Interesse an dem Archiv. "Auf jeden Fall war in der DDR die Auseinandersetzung mit pommerscher Geschichte und Pommern nicht gewollt. So hat zum Beispiel 1947 schon die sowjetische Militäradministration in Deutschland aus der Landesbezeichnung Mecklenburg-Vorpommern das "Pommern" rausgelöscht, weil der Großteil Pommerns polnisch war", erklärt Heigl.
Noten mit Audiodateien hörbar gemacht
Nach dem Fund des Konvoluts im Jahr 2014 begannen die Forscher mit der Aufarbeitung. Alle 14.000 Lieder wurden vollständig digitalisiert. Seit Jahresbeginn kann jeder über das Internet auf die Lieder zugreifen. Die 2.000 Lieder, zu denen auch Noten eingesandt worden sind, wurden in ein Programm eingegeben. Alle Melodien können abgerufen werden. Diese Arbeit hat das Institut für Kirchenmusik und Musikwissenschaft der Uni Greifswald übernommen - unter Regie des Musikwissenschaftlers Martin Loeser: "Wir haben jedes Lied analysiert und die Metadaten herausgearbeitet: Tonarten, Taktarte, Tonumfänge, haben Hinweise auf mögliche Variantenfehler notiert, die Melodien digitalisiert, in ein Notationsprogramm gegeben und dann Audiodateien erstellt."
Lieder für alle möglichen Anlässe
Kinderlieder, Scherzlieder sowie Lieder über Berufe, Jahreszeiten und Feste. Der Musikwissenschaftler ist erstaunt über die Breite. "Was mich am meisten fasziniert, ist die Vielzahl der Varianten und sind einige Renner, die immer wieder auftauchen. Und die Einfachheit in der Melodiebildung", sagt Loeser. Für die Uraufführung der fast vergessenen Lieder haben sich die Mitarbeiter des Instituts etwas Besonderes ausgedacht. Studierende schrieben für einzelne Lieder mehrstimmige Chorsätze. Sie wurden im Pommernschen Landesmuseum uraufgeführt.