Real Dance Festival: Hannover tanzt und bounct
Das zweite Real Dance Festival zeigt den zeitgenössischen Tanz in all seinen Facetten. Eröffnet wurde es mit einem Stück der Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker. Es gibt auch weitere Highlights.
Vier Tänzer und jede Menge Bilder sind auf der Bühne zu sehen: fallende Blätter, fliegende Vögel, bellende Hunde, ein Jäger auf der Pirsch. Eine einzelne Schneeflocke wird von Winterstürmen umhergewirbelt. Getanzt wird sie von einem geschmeidigen Breaker. Wie ein genüsslich langgezogener Kaugummi stemmt er sich in den Handstand, dreht sich mal auf dem Rücken, mal auf dem Kopf. All diese Bilder hat Vivaldi in seinen vier Violinkonzerten vor genau 300 Jahren vertont.
Das Choreografenduo Anne Teresa De Keersmaeker und Radouan Mriziga fügt der Musik nun weitere Ebenen hinzu. Die Bühne wird von vielen Neonröhren beleuchtet. Sie flackern, blenden, scheinen die Szenerie zu observieren. Einer liegenden Acht folgend wiederholen die Tänzer die immer gleichen Schrittfolgen. Zyklen, die durch nichts gestört werden. Doch plötzlich tanzen die Männer rückwärts; variieren die Bewegungen. Wie harmonisch wird der Tanz der vier Jahreszeiten zukünftig sein? Wie beständig die Abfolge von Frühling, Sommer, Herbst und Winter? Die Performance, die ziemlich zäh begann, entwickelt über die 90 Minuten einen flirrenden Sog: Vivaldis Musik bauscht sich durch die Körperlichkeit der Tänzer geradezu auf, wirkt überraschend frisch. De Keersmaeker und Mriziga ist eine kraftvolle, poetische Choreografie geglückt.
Tanz wird auf unterschiedliche Arten erfahrbar
Das Real Dance Festival will hineinziehen - nicht nur mit Stücken wie diesen. Der zeitgenössische Tanz soll auf unterschiedliche Arten erfahrbar werden. Am Mittwoch haben sich blinde und sehbehinderte Menschen für einen Tanzworkshop im Schauspielhaus Hannover getroffen. Sie haben ihre nicht-blinden Begleitpersonen, ihre Frauen oder Freundinnen dabei: "Wir haben diese Einladung genutzt", sagt ein Teilnehmer, "weil ich blind bin und wir beide gerne tanzen. Wir tanzen im Verein, Standard und Latein." Und seine Begleitung fügt an: "Wir bewegen uns ja gerne. Vor allem die schnellen Moves, die sind ganz gut."
Tänzerin Cara Rother leitet die Gruppe an: "Ich wünsche mir für diesen Workshop, dass alle, die heute teilnehmen, ihren Körper mal anders benutzen, neu benutzen, experimentierfreudig mit dem Körper und der Musik umgehen." Behutsam pflanzt die Tanzpädagogin den Teilnehmenden Bilder in den Kopf: "Stell dir vor, du stehst in einem warmen Sommerregen. Welche Körperteile werden nass, welche bleiben trocken? Wie kannst du dich nun bewegen, damit die noch trockenen Körperstellen - die Achselhöhlen, die Ohrläppchen, der untere Rücken - die Regendusche abbekommen?", fragt sie. Aus Alltagsbewegungen heraus entwickeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer intuitiv ihre eigenen Schrittfolgen, ihren persönlichen Tanzstil.
Fette Beats und Partyfeeling
Fette Beats, lachende Tänzerinnen und Tänzer, ein DJ hinter seinem Mischpult - da entsteht Partyfeeling. Mit Dancehall, einem Tanzstil aus Jamaika, wird in der Produktion "1Guh Watch" der Ballhof zum Beben gebracht. Viele Schrittfolgen entwickelt die fünfköpfige Gruppe spontan auf der Bühne: energetische Moves, mal eckig, mal rollend - und total humorvoll. Jeder Körper scheint für diesen Stil gemacht, egal ob groß und schlaksig oder klein und kompakt. Hier wird ein Lebensgefühl transportiert, das unglaublich ansteckend ist.
Die Dramaturgie wirkt eher zufällig, aber: Hey, wen stört's? Staunend und bouncend sitzen die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Reihen - und als am Ende des Stücks das Publikum eingeladen wird, mit auf die Bühne zu kommen und mitzutanzen, ist das befreiend.