Real Dance: Stück zur Klimakrise eröffnet Tanzfestival in Hannover

Stand: 28.01.2025 23:59 Uhr

Die zweite Ausgabe von Real Dance in Hannover ist gestartet. Eröffnet wurde das Tanzfestival mit einem Stück von Anne Teresa De Keersmaeker und Radouan Mriziga zur Klimakrise, in dem sich die Tänzer*innen zu Musik aus Vivaldis "Vier Jahreszeiten" bewegen.

von Andrea Schwyzer

Sie ist der unangefochtene Star beim diesjährigen Real Dance Festival: Die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker. Gemeinsam mit dem Marokkaner Radouan Mriziga hat sie ein Stück zu den "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi entwickelt, für vier Tänzer unterschiedlicher Generationen und Tanzstile. Die Veränderung der Umwelt in Zeiten ökologischer Krisen steht für De Keersmaeker und Mriziga bei "Il Cimento dell'Armonia e dell'Inventione" im Mittelpunkt.

Drehungen wie Wirbelstürme

Eine prägende Bewegung in dem Stück sind die Drehungen, erklärt Festivalleiterin Melanie Zimmermann: "Die gehen zurück auf die Wirbelstürme, die Vivaldi fast narrativ darstellt. De Keersmaeker und Mriziga kommen aus Bäuer*innen-Familien, wo das Klima auch das ganze Arbeits- und Familienleben sehr prägt. Das heißt, sie haben auch eine emotionale Verbindung dazu."

Die Einladung an De Keersmaeker ging bereits vor über einem Jahr raus, erzählt die Festivalleiterin. Allerdings wurde der Choreografin im vergangenen Sommer vorgeworfen, ihre Kompagnie mit harten Worten zusammenzustauchen, sogar zu beleidigen und zu erniedrigen. Zimmermann hat daraufhin die Kompanie in Brüssel kontaktiert und mit Tanz-Kolleginnen gesprochen. So hat sie aus erster Hand erfahren, dass die Truppe bereits begonnen hat, mit der Kompagnie-Chefin über dieses ungebührliche Verhalten zu sprechen und es kritisch aufzuarbeiten. Nach reiflicher Überlegung hielt sie an der Einladung fest - so, wie viele andere Festivals und Häuser auch. De Keersmaeker darf Real Dance eröffnen.

"Keeping up with the Iranians" zeigt Kultur der iranischen Diaspora

Auch in diesem Jahr will Melanie Zimmermann aber vor allem ungewohnte, überraschende Tanz-Positionen zeigen. "Keeping up with the Iranians" bringt uns zum Beispiel die Kultur der iranischen Diaspora aus queerer Perspektive näher: zum einen in einem Abend mit Tänzen, Musik und Party-Flair, zum anderen in einer so genannten "Lecture Performance". Dabei dekoriert das Publikum gemeinsam mit dem Künstler*innen-Duo eine orientalische Süßspeise und hört Geschichten aus Großmutters Küche. In der Produktion "1GUH WATCH" bringen Stars der Dancehall-Szene den jamaikanischen Tanzstil auf die Bühne im Ballhof und laden zum Workshop ein.

Eindrücklich dürfte der Besuch von Michael Turinsky werden. Er ist mit seinem Stück "Body Work" zu Gast, das gerade eben erst in Wien Premiere feierte. Der Philosoph und Künstler fragt nach der Vereinbarkeit von Behinderung und Kapitalismus. Was ist sein behinderter Körper im Stande zu leisten? Welchen Wert hat er für diese auf Effizienz ausgerichtete Gesellschaft?

Videoarbeiten von William Forsythe und Boris Charmatz

In der Kestner Gesellschaft sind zwei Videoarbeiten ikonischer Choreografen zu sehen: William Forsythe und Boris Charmatz tanzen über die Leinwand; der Eintritt ist frei. Extra fürs Festival haben sich außerdem wieder zwei lokale Künstlerinnen verbandelt: Mit "Trazos" präsentieren sie eine Arbeit, bei der Tanz, Fotografie, Projektion und Musik zusammenfinden.

Melanie Zimmermann will das Festival mit diesen unterschiedlichen Positionen und Mitmach-Aktivitäten, zum Beispiel einem Pop-up Nagelstudio im Ballhof, für möglichst viele Menschen zugänglich machen. Sie sei sich bewusst, dass der zeitgenössische Tanz nicht ganz barrierefrei sei. "Er verweist stark auf sich, und diese 'Codes' sind nicht immer für ein Publikum gut zu verstehen, das sich nicht damit beschäftigt, wie ich mich damit beschäftige. Deswegen haben wir Künstler:innen eingeladen, die verschiedene Formate wählen, ihre Themen und ihre Communities zu repräsentieren und das schafft dann automatisch einen besseren Zugang zum Tanz." Sie hoffe, dass das Programm des Festivals bei aller Ernsthaftigkeit auch unterhaltend sei.