E-Docs Podcast #46: Vegane und vegetarische Ernährung
Wie kann ich als Veganer genug Proteine zu mir nehmen? Wie funktioniert vegetarische Ernährung für Schwangere? Dr. Matthias Riedl hat im Podcast Fragen zur Ernährungsumstellung beantwortet - hier zum Nachlesen.
Julia Demann: Heute geht es bei uns um das Thema vegane und vegetarische Ernährung. Und dazu begrüße ich heute ganz herzlich Dr. Matthias Riedl bei mir. Matthias, du bist Ernährungsmediziner, Diabetologe und außerdem Leiter des von dir gegründeten Medicums Hamburg mit einer eigenen Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin. Und du bist von Anfang an mit bei den Ernährungs-Docs dabei. Schön, dass du heute da bist.
Dr. Matthias Riedl: Vielen Dank.
Julia Demann: Du bist bekannt als großer "pflanzenbasierte Ernährung"-Fan. Ernährst du dich auch vegetarisch oder vegan?
Dr. Matthias Riedl: Ich bin Flexitarier, ernähre mich hauptsächlich pflanzenbasiert. Ich habe vegetarische Tage, und ab und zu esse ich kleine Mengen Fleisch oder auch mal Fisch.
Julia Demann: Viele von euch essen entweder wenig oder gar kein Fleisch, oder sogar gar keine tierischen Produkte. Andere haben sich vorgenommen, fürs neue Jahr das Fleisch zu reduzieren oder ganz darauf zu verzichten. Und dafür gibt es viele gute Gründe. Darüber, ob man gesünder lebt, wenn man auf Fleisch und tierische Produkte verzichtet, gehen die Ansichten auseinander. Hinzu kommen Themen wie das Tierwohl und das Klima, also auch ethische Fragen.
Was ist gut und was schlecht an Fleisch?
Julia Demann: Wir konzentrieren uns heute auf die Gesundheit und wollen gucken, wie man seinen Körper vegetarisch oder vegan gut mit Nährstoffen versorgen kann. Wir gehen das Ganze grundsätzlich an: Was ist gut und was schlecht an Fleisch? Dazu gibt es schon eine sehr, sehr schöne Frage, die das ganz gut zusammenfasst. Anne fragt:
Welche Stoffe sind denn in Fleisch enthalten? Ist da wirklich Antibiotikum drin?
Dr. Matthias Riedl: Wofür Fleisch gut ist, die Frage ist relativ schnell beantwortet. Fleisch liefert einige Mikronährstoffe oder auch Eisen in für uns sehr gut verfügbarer Form. Außerdem liefert es Vitamin B12. Aber Vitamin B12 können wir auch aus anderen tierischen Produkten aufnehmen. Tatsächlich ist es so, dass es nicht unbedingt Fleisch sein muss. Das ist leider das große Missverständnis geworden. Die Menschen essen Fleisch, weil sie glauben, sie brauchen das unbedingt. Und das stimmt eben nicht. Der Nachteil von Fleisch ist, das hier so viel hoch wirksames Eisen drin ist, dass diese Menge, wenn viel zu viel Fleisch gegessen wird, für uns auch schädlich sein kann. Besonders rotes und hoch verarbeitetes Fleisch kann tatsächlich laut Weltgesundheitsorganisation dann auch Krebs verursachen. Es ist eine Frage der Menge. Und natürlich kann Fleisch auch Spuren von Antibiotikum enthalten. Je nachdem, wo es herkommt. In ökologischer Landwirtschaft werden Antibiotika weniger eingesetzt. Die Tiere sind nicht so anfällig. Klar ist: Eisen und Eiweiß aus dem Fleisch sind für uns gut verwertbar. Und es ist auch eine Vitamin-B12-Quelle, aber nicht die einzige.
Julia Demann: Zum Thema Nährstoffe und Fleisch haben uns viele Fragen erreicht. Das Vitamin B12 ist immer wieder Thema bei Veganern und Vegetariern. Beispielhaft hier die Frage von Bettina:
Wenn ich mich vegan ernähre, laufe ich Gefahr in eine B12 Unterversorgung zu geraten. Wie macht sich ein Vitamin B12 Mangel bemerkbar?
Dr. Matthias Riedl: Dieser Mangel entsteht garantiert. Wenn ich mich rein vegan ernähre, leeren sich die Vitamin-B12-Speicher - die halten so für zwei bis drei Jahre, und dann gehen sie langsam zur Neige. Weil Vitamin B 12 so ein wichtiges Vitamin ist, haben wir dafür einen wirklich großen Speicher. Symptome eines Mangels können Müdigkeit, Muskelschwäche, Sensibilität und sogar Essstörungen sein. Unser Nervensystem braucht das Vitamin B12 auch zum normalen Arbeiten. Das ist der große Nachteil bei veganer Ernährung. Vegane Ernährung ist ohne Substitution immer eine Mangelernährung. Das muss man wissen. Also wenn man sich für vegane Ernährung entscheidet, muss man genau wissen, was man isst, um diesen Mangel zu verhindern und auszugleichen.
Bedarf an Vitamin B12 abdecken
Julia Demann: Ja, ganz genau. Nora isst sogar manchmal Fleisch, hat aber trotzdem einen Vitamin-B12-Mangel. Sie schreibt:
Ich ernähre mich überwiegend vegetarisch und esse nur ab und zu mal ein Stück Fleisch. Joghurt, Milch und Käse esse ich regelmäßig bzw täglich. Anfang des Jahres wurde bei mir ein Vitamin-B12-Mangel festgestellt. Daraufhin habe ich sechs Monate B12 hoch dosiert als Tablette genommen. Nun frage ich mich, wie ich bei überwiegend vegetarischer Ernährung den Vitaminbedarf decken kann, ohne einen erneuten Mangel zu bekommen.
Dr. Matthias Riedl: Auch die Vitamin-B12-Aufnahme im Körper kann eingeschränkt sein, zum Beispiel durch Entzündungen im Magen-Darm-Trakt. Es gibt einen Faktor im Magen-Darm-Bereich, der das Vitamin B12 transportiert, das ist der sogenannte Intrinsic Factor. Und wenn man den nicht hat, dann kann man das Vitamin B12 gar nicht aufnehmen. Aber auch wenn wir älter werden, nehmen wir es schlechter auf. Oder wenn wir viel und regelmäßig Alkohol konsumieren, dann steigert das diesen Mangel noch. Im Zweifel messen, gucken: Reicht meine Substitution? Es gibt in veganen Lebensmitteln auch Vitamin B12, zum Beispiel in Sauerkraut. Aber in sehr geringen Mengen. Das reicht nicht aus, ganz klar.
Julia Demann: Sie sollte sich vielleicht checken lassen, oder?
Dr. Matthias Riedl: Ja, genau. Sie sollte noch einmal einen Ernährungsmediziner oder einen Hausarzt aufsuchen.
Julia Demann: Manche haben uns auch nach Vitamin D gefragt. Das nehmen wir aber eigentlich nur zu sehr, sehr geringen Teilen überhaupt über die Nahrung auf. Normalerweise produziert unser Körper das ja mithilfe von Sonnenlicht. Ist das überhaupt in tierischen Nahrungsmitteln in relevanten Mengen vorhanden?
Dr. Matthias Riedl: Ja, schon ein bisschen im Ei oder in Fisch. Das ist für die Nordvölker ganz besonders wichtig, weil dort die Sonne in den Wintermonaten noch viel weniger scheint als bei uns in Deutschland. Aber da muss man schon wirklich viel essen. Auf die Mengen, die wir da essen müssten, kommen wir in der Regel nicht. Das ist wahrscheinlich einfach nur bei ganz wenigen Völkern möglich. Aber wir haben auch für Vitamin D einen Speicher. Der sinkt bei Menschen, die wirklich nördlich des Polarkreises leben, langsam ab - und dann haben die auch einen kleinen Sommer und können den Speicher wieder ein bisschen aufbauen.
Julia Demann: Es gibt ja durchaus auch Menschengruppen, die Vitamin D dann substituieren müssen.
Dr. Matthias Riedl: Das stimmt. Für Menschen, die sich voll verschleiern und Menschen mit dunkler Hautfarbe reicht das bisschen Nordsonne bei uns nicht aus, damit der Körper genug Vitamin D produziert. Und wichtig: Wenn wir älter werden, dann wird alles geringer - das heißt, die Produktion der Haut von Vitamin D nimmt ab!
Ausreichende Eisenversorgung sicherstellen
Julia Demann: Zum Thema Eisen kamen auch sehr viele Fragen, gerade im Zusammenhang mit Fleisch. Captain Jack fragt:
Ich habe mich viele Jahre vegetarisch ernährt und letztendlich wurde bei mir ein Eisenmangel festgestellt, obwohl diverse Tests wie zum Beispiel Resorptionstests unauffällig waren und ich über ein halbes Jahr lang hochdosierte Eisentabletten genommen habe, blieb das Ferritin, der Eisenspeicherwert, niedrig. Nur mit Fleisch essen konnte ich das Ferritin ansteigen lassen. Wie sieht da der aktuelle Stand der Forschung aus?
Dr. Matthias Riedl: Tatsächlich ist es so, dass die Eisentablette zum Anheben des Eisengehalts im Körper immer die schlechtere Variante ist. Es ist immer besser, sich mit natürlichen Lebensmitteln ausreichend zu versorgen. Hier muss man sich angucken: Was war das für ein Präparat? Und: Das Fleisch enthält eine Eisenform, die für uns sehr gut aufnehmbar ist.
Julia Demann: Caroline fragt:
Ich esse bis auf Fleisch, Wurst und Eier alles. Daher ist mein Speichereisenwert nicht gut. Das von der Hausärztin verschriebene Eisenpräparat löste bei mir eine Gastritis aus, daher nehme ich das nicht mehr. Welche Alternativen gibt es denn?
Dr. Matthias Riedl: Man kann natürlich auch gucken, ist es die Einnahmeform? Wenn Medikamente Magen-Darm-Beschwerden machen, dann empfiehlt es sich, die nicht auf nüchternen Magen zu nehmen, sondern zur Mahlzeit dazu. Das müsste man dann einfach checken. Und es ist eben so, dass man gar nicht so viel nehmen muss. Man kann die Dosis ein bisschen reduzieren, dann macht es weniger Beschwerden - und die Eisenaufnahme des Körpers wird optimiert durch gleichzeitiges Vorhandensein von Vitamin C! Das deutet übrigens auch darauf hin, dass das Nehmen von Tabletten immer die schlechtere Variante ist. Der Weg ist tatsächlich mit normaler, gesunder Ernährung. Auch Linsen enthalten zum Beispiel Eisen. Und wenn ich Linsengerichte oder Hülsenfrüchte esse, und ich nehme dazu noch etwas Vitamin-C-Haltiges, wie Paprika oder ein Gläschen Orangensaft, dann wird die Resorption verbessert.
Julia Demann: Das ist vielleicht ein ganz guter Tipp für Caroline, gerade wenn sie kein Fleisch isst, dass sie so ihre Eisenaufnahme optimieren kann. Und dann am besten noch mal nachprüfen.
Dr. Matthias Riedl: Genau. Es gibt auch Lebensmittel, die die Eisenaufnahme oder die Aufnahme von Mineralien hemmen. Das wäre zum Beispiel Getreide, Kaffee oder Tee. Und dann wartet man einfach mit dem Kaffee oder dem Tee zur Mahlzeit oder separiert es auf zwei Mahlzeiten.
Pflanzendrinks als Milchersatz: worauf achten?
Julia Demann: Okay, jetzt geht es um die Kalziumversorgung. Kalzium ist in Milchprodukten enthalten, das wissen wir. Wenn man sich aber vegan ernährt, isst man ja keine Milchprodukte. Hierzu hat Elke uns eine Frage geschickt:
Hat Pflanzenmilch eigentlich, abgesehen von Umweltaspekten einen Wert für die Ernährung? Schließlich fehlen in Hafermilch und Co. Eiweiß, Fette und vor allem Kalzium, was es bei Kuhmilch eben gibt. Das ist doch aber wichtig für Heranwachsende und zum Beispiel auch für Darmpatienten, also Menschen mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, wie zum Beispiel Morbus Crohn.
Dr. Matthias Riedl: Wir leben in einer Gesellschaft, die traditionell sehr viele Milchprodukte isst. Und in unserer Gesellschaft ist das Milchprodukt tatsächlich zu einem relevanten Kalziumlieferanten geworden. Ein Großteil der Welt ist sowieso laktoseintolerant und verträgt den Milchzucker nicht so gut. Deshalb sind wir eigentlich eine kleine Blase, gerade im nördlichen Europa. Der Rest der Welt, der zieht sich das Kalzium aus grünem Gemüse, aus Nüssen beispielsweise, aus Mandeln. Man hat in Zentralafrika keine Osteoporose, keine Knochenbrüchigkeit, nur weil sie da keine Milchprodukte essen. Bei Pflanzenmilch muss man entscheiden: Will ich die eiweißreichere Mandelmilch oder Sojamilch, oder nehme ich Hafermilch? Da ist weniger Eiweiß drin. Und ist die Milch mit Kalzium angereichert? Hier hilft es, die Verpackung umzudrehen und zu gucken: Was ist da drin? Es gibt auch Pflanzenmilchhersteller, die mischen unheimlich viel Zucker in ihre Produkte. Da kann ich nur sagen: Guckt auf die Rückseite, schaut, was drin ist. Was wollt ihr von der Milch? Soll da Kalzium drin sein? Ist da kein Kalzium drin oder ist es angereichert? Wie hoch ist der Eiweißgehalt? Und was schmeckt euch?
Julia Demann: Du hast schon mal angesprochen, grünes Blattgemüse, das ist auch Kalzium drin. Das ist ja auch häufig in Mineralwasser zugesetzt...
Dr. Matthias Riedl: ...genau, gut, dass du das erwähnst, das habe ich eben gerade vergessen. Es gibt Mineralwasser mit über 300 Milligramm Kalzium, die gelten als kalziumreich. Das ist ein super Ersatz! Wir brauchen so 1.000 Milligramm. Da kommt schon Einiges zusammen, wenn ich so ein Drittel meines täglichen Bedarfs durch das Mineralwasser zu mir nehme ... Man kriegt das auch so hin.
Wie man den Eiweißbedarf deckt
Julia Demann: Okay, kommen wir zum nächsten Thema: Und zwar Eiweiß. Ein Thema, das dir auch sehr am Herzen liegt, weil es bei vielen Erkrankungen sehr wichtig ist. Gerade auch für Veganer und vegetarisch lebende Menschen ist es essenziell und wichtig, sich damit zu versorgen. Monika fragt:
Was muss ich täglich essen, um - ohne ständig rechnen zu müssen, ob es reicht - ausreichend mit Protein versorgt zu sein?
Dr. Matthias Riedl: Das ist ganz einfach. Diese Proteinwelt kann man ganz klar gliedern, es kommt jetzt nicht aufs Prozent an, ja? Gehen wir davon aus, dass Fisch und Fleisch 20 Prozent Eiweiß enthält, Wurst runde 10. Milch: 3,5 Prozent. Quark: irgendwas zwischen 7 und 9, je nachdem, steht ja auch immer drauf. Dann haben wir noch Nüsse mit um die 20, Käse mit um 20 Prozent. Kommen wir zu den pflanzlichen Eiweißträgern: Da sind wir bei den Hülsenfrüchten ungefähr bei 10 Prozent, nur ganz grob geschätzt! Und dann kommen wir zu Gemüse: Das hat mindestens 1 Prozent, aber manche wie Rosenkohl 5 Prozent. Pilze auch zwischen 2,5 und 5 Prozent. Sehr viel mehr Eiweiß enthält Gemüse nicht. Das heißt: Gemüse liefert nur einen kleinen Anteil unseres Eiweißbedarfs.
So, damit haben wir die Eiweißwelt einmal grob umrissen. Das sind zehn Positionen. Und dann guckt man sich sein Frühstück an und sagt: Okay, hier habe ich jetzt Haferflocken, 10 Prozent Eiweiß sind da drin - das ist nachher eine Blickdiagnose, da muss nicht mehr gerechnet werden.
Julia Demann: Was ja viele nutzen - gerade Leute, die auch Sport machen -, sind Eiweiß-Shakes. Kai fragt:
Ich bin seit anderthalb Jahren Pescetarier, ernähre mich vegetarisch, esse aber Fisch. Mein Arzt hat bei mir einen Prädiabetes diagnostiziert. Daraufhin habe ich meine Ernährung umgestellt und auch bereits zirka 15 Kilo abgenommen. Ich versuche, viel Eiweiß in Form von natürlichen Lebensmitteln zu mir zu nehmen, komme aber sehr schwer auf die empfohlene Menge. Sind Eiweißpulver in Form von Shakes dauerhaft zu empfehlen?
Dr. Matthias Riedl: Nein. Eiweißpulver sind weit verbreitet, auch in der Sportlerszene. Aber wir müssen bedenken: Das Eiweißpulver ist isoliertes Protein. Das ist aus Lebensmitteln herausgezogen, isoliert. Das wird hoch verarbeitet. Dabei gibt es häufig, das kritisiert Ökotest völlig zurecht immer wieder, Verunreinigung mit Mineralölrückständen, die im Verdacht stehen, Krebs zu fördern. Und damit dieses Eiweißpulver Geschmack bekommt, kommt künstliches Aroma dazu. Das ist Chemie. Wir Menschen mögen es gern süß. Also kommt dann auch Süßstoff dazu, Sucralose. Und damit das auch noch gesund wirkt, jede Menge Vitamine. Es ist eine reine Astronautennahrung. Wenn ich mir aber so einen Shake selber mache - mit Hafer, den mahle ich fein und nehme ein bisschen Nussmus dazu, dann kommt vielleicht noch Sojamilch dazu, und für den Geschmack statt Chemiearoma - was für uns keine positive gesundheitliche Wirkung hat, sondern potenziell schädlich ist, weil es künstlich hergestellt ist - mache ich mir Beeren rein oder eine alte Banane, die aufgebraucht werden muss -, und dann habe ich eine komplette Mahlzeit! Und bei einem (Pulver-)Eiweißshake habe ich Eiweiß mit Chemie und potenziellen Nebenwirkungen. Deshalb rate ich davon ab. Das kann man super selber machen, und es ist dann eine vollwertige Mahlzeit mit natürlichem Vitamin, Mineralstoffen und Spurenelementen - und es schmeckt total lecker. Ich freue mich immer darauf. Wir machen ja auch die Sportberatung für den Olympia-Stützpunkt Hamburg-Schleswig-Holstein in unserer Praxis, und dort empfehlen wir diese Präparate nicht.
Julia Demann: Ich habe mir das Rezept im Kopf jetzt schon mal abgespeichert. Vielleicht ist das für dich, Kai, ja auch etwas. Es ist ein guter Snack zwischendurch, gerade wenn man sich viel bewegt und eher nicht dazu neigt, schnell zuzunehmen, sondern man zwischendurch auch mal ein bisschen was braucht. Ich finde, das klingt richtig gut.
Dr. Matthias Riedl: Man das kann es auch mitnehmen. Nicht nur nach dem Sport, sondern unterwegs auf einem Kongress, wo es vielleicht nur belegte Brötchen gibt oder ein Franzbrötchen. Dann ist das die bessere, gesündere Alternative als Fast Food.
Unterschiede pflanzliches und tierisches Eiweiß
Julia Demann: Nun besteht Eiweiß ja aus Aminosäuren. Das sind die Bestandteile. Und dazu hat uns eine, wie ich finde, sehr, sehr spannende Frage erreicht, nämlich von Anna. Sie fragt:
Ich ernähre mich vegetarisch und lasse ab und zu einen Aminosäure-Status machen. Dabei hat sich wiederholt gezeigt, dass die Werte einzelner essenzieller und auch nicht essenzieller Aminosäuren geradezu unterirdisch sind, zum Beispiel Lysin, Serin, Trypthophan, Taurin. Wie kann ich herausfinden, wie ich eine Unterversorgung mit einzelnen Aminosäuren vermeiden kann?
Julia Demann: Wie sinnvoll ist es überhaupt, seinen Aminosäure-Status bestimmen zu lassen?
Dr. Matthias Riedl: Überhaupt gar nicht. Tatsächlich ist das eine tolle Geschäftsidee. Dafür Kompliment, aber für den Verbraucher ist der Wert gleich Null, weil wir ja dann nur eine Momentaufnahme in dem Status haben.
Julia Demann: Sie sagte jetzt, dass es wiederholt bei ihr aufgetreten ist. Also eine wiederholte Momentaufnahme.
Dr. Matthias Riedl: Da gibt es nichts Validiertes. Es gibt auch gar keine Indikation. Ich habe mir daraufhin solche Homepages mal angeguckt, und tatsächlich wird da auch gar nichts versprochen. Da steht nur: Wir sagen dir, wie die Versorgung ist. Und dann gibt es noch eine Auswertung. Und natürlich wird man dann sagen: Na ja, Leucin ist besonders in diesen oder jenen Lebensmitteln drin. Vielleicht auch noch der Hinweis auf Nahrungsergänzungsmittel. Es gibt leucinhaltige Nahrungsergänzungsmittel, der Griff dahin ist dann sehr nah. Das ist tatsächlich Geschäftemacherei, Aber es ist eine Momentaufnahme im Körper. Und dieser Aminosäuren-Status, der sagt gar nichts über die Ernährung aus. Wenn man jetzt Sorge hat, dass man bestimmte Aminosäuren zu wenig aufnimmt, dann macht man Folgendes: Ich versuche, verschiedene Proteinträger zu mixen. Also: Ich nehme nicht immer nur Fleisch, ich nehme nicht immer nur Milchprodukte, ich nehme nicht immer nur Nüsse. Ich mische verschiedene natürliche Proteinquellen und kombiniere sie. Dann wird das Eiweiß sogar noch viel besser aufgenommen. Die biologische Wertigkeit steigt dann. Grundsätzlich kann man sagen, in tierischen Produkten ist die Aminosäure-Kombination meist sehr gut. In pflanzlichen Lebensmitteln ist sie, wenn man es clever kombiniert, auch gut, aber man muss es kombinieren.
Julia Demann: Getreide mit Hülsenfrüchten ist immer eine gute Kombination. Also Vollkornnudeln mit Linsen-Bolognese ist, glaube ich, etwas, was ihr empfehlt.
Dr. Matthias Riedl: Auch, genau. Oder Haferflocken mit Nüssen. Es ergibt also schon Sinn, zu überlegen, ob ich da jetzt Nüsse mit hinzugebe oder die Haferflocken so esse, weil dann das Eiweiß besser aufgenommen wird. Also der Körper kümmert sich darum selber. Und meine Empfehlung ist: Bitte macht es selber durch eine abwechslungsreiche Ernährung, und bitte nutzt in diesem Fall keine Nahrungsergänzungsmittel. Die Selbstoptimierung, die sollte in Richtung "Vielfalt, pflanzenbasiert" gehen. Und nicht in die Richtung: Ich generiere Messwerte und messe alles Mögliche. Das hat tatsächlich in unserer Gesellschaft Ausmaße angenommen, dass die Menschen glauben, man muss alles checken, man muss alles messen. Das gilt übrigens auch für den Blutzucker.
Julia Demann: Zumal Referenzwerte auch variieren von Labor zu Labor. Und genau da sollte man sich nicht auf die Zahlen festnageln.
Dr. Matthias Riedl: So ist es. Und wir Ernährungsmediziner würden solche Messungen gar nicht durchführen.
Hülsenfrüchte als Eiweißquelle
Julia Demann: Wir bleiben noch beim Eiweiß und haben das ja gerade eben auch schon angesprochen: Hülsenfrüchte sind auch gute pflanzliche Eiweißquellen. Legen wir mit den Hülsenfrüchte-Eiweiß-Fragen los. Barbara fragt:
Als vegane Eiweißquelle dienen meines Wissens beispielsweise Linsen. Diese haben aber auch einen guten Anteil an Kohlenhydraten. Wie viel andere Kohlenhydrate, wie zum Beispiel Reis oder Pasta, kann ich noch dazu essen für eine ausgewogene Ernährung? Wie gilt hier das Tellerprinzip?
Dr. Matthias Riedl: Wir sagen: Keep it simple. Wer es einfach haben will, sagt: Der halbe Teller ist voller Gemüse - und dann haben wir so ein Drittel Proteine. Und dann haben wir unten noch mal so einen Rest. Da haben wir noch einen kleinen Teil von Kohlenhydraten. Die Kohlenhydrate brauchen wir zum Verbrennen, es ist Brennstoff. Und wenn wir davon zu viel essen, werden wir dick. Aber wie sieht es nun mit den Hülsenfrüchten aus? Die Hülsenfrüchte sind Eiweißträger, aber sie enthalten doppelt so viel Kohlenhydrate wie Eiweiß. Das heißt, sie liegen eigentlich auf der einen Tellerhälfte vom Gemüse - und gleichzeitig sind sie Eiweißträger, das muss man bedenken. Aber ich sage noch mal ganz klar: Keine Angst vor Hülsenfrüchten. Ihre Kohlenhydrate liegen in sehr komplexer Form vor und sind sehr wenig blutzuckerwirksam. Wir wissen ja sogar, dass Hülsenfrüchte eher schützend vor Diabetes wirken. Und man kann sie nicht vergleichen mit zum Beispiel einem Toastbrot, was reiner Kohlenhydratträger ist, oder auch mit geschältem Reis. Da sind die Hülsenfrüchte eher Gemüse. Man könnte den Anteil der anderen Kohlenhydratbeilagen reduzieren oder sogar weglassen, wenn man Hülsenfrüchte isst. Und dann ist wieder alles ausgewogen.
Julia Demann: Jetzt kommen wir zu einem Thema, was auch sehr wichtig ist: Nährstoffe im Alter. Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, weil die nächste Frage das Problem deutlich macht. Gisela schreibt:
Mit 78 Jahren werden die Essensportionen insgesamt kleiner. Ist es überhaupt möglich, den Muskelerhalt in meinem Alter mit veganer Kost sicherzustellen? Fleisch und Fisch esse ich seit circa 40 Jahren nicht, möchte es weiter vermeiden. Eier, Ziegenkäse und ab und zu mal Quark habe ich sicherheitshalber seit ein paar Monaten wieder zu mir genommen. Aber ginge eine vegane Ernährung vielleicht doch?
Dr. Matthias Riedl: Ja, das geht. Man muss nur wissen, was man isst. Wie gesund vegane Ernährung ist, hängt einfach davon ab, was ich auswähle. Im Alter wird die Proteinaufnahme, die Proteinsynthese geringer. Der Muskelabbau nimmt stark zu, und deshalb darf man es sich gerade im Alter nicht erlauben, zu wenig Eiweiß zu sich zu nehmen, weil man damit den Muskelabbau fördert. Also tatsächlich empfehle ich, je älter wir werden, ganz streng auf die Eiweißmenge zu achten. Das sind 1,2 Gramm bis vielleicht sogar 1,5 Gramm hochwertiges Protein pro Kilogramm Körpergewicht. Das kann man sich mal ausrechnen: Wenn man 70 Kilo wiegt, dann liegt man so bei ungefähr 80 bis 90 Gramm Eiweiß. Das verteile ich auf drei Hauptmahlzeiten, dann wird es am besten aufgenommen, und dann muss ich einfach gucken: Habe ich Eiweiß im Frühstück drin? Wenn ich kein Eiweiß drin habe - schlecht, dann muss ich die 90 auf die verbleibenden zwei Mahlzeiten verteilen, wird es immer enger. Das heißt also, alle drei Hauptmahlzeiten mit Eiweiß anreichern, kombinieren. Genau gucken: In welchen Lebensmitteln ist Eiweiß drin? Und wer sich unsicher ist, der sollte lieber eine Ernährungsberatung in Anspruch nehmen, als einfach dauerhaft was Falsches zu machen. Man merkt es, wenn die Beine dünner werden, das Treppensteigen schwerfällt und der Bauch immer dicker, dann stimmt da was nicht.
Julia Demann: Auch von jüngeren Menschen haben wir Fragen zum Thema Eiweiß bei veganer und vegetarische Ernährung erhalten. Zum Beispiel von Maya. Das ist eine Schülerin der Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln, eine Schule für Gesundheit und Soziales. Maja fragt:
Was muss man besonders beachten, wenn man sich vegetarisch ernährt und Muskeln aufbauen möchte?
Dr. Matthias Riedl: Bei vegetarischer Ernährung sehe ich überhaupt gar kein Problem, da dürfen wir ja Milchprodukte und Eier essen. Ich empfehle der Maya, sich ganz genau Gedanken zu machen darüber, wo es Eiweiß drin hat, und zu verhindern, dass man einen Eiweißmangel hat - dann ist alles gut, dann schafft man das und kann man auch ganz toll Muskeln aufbauen.
Fleischlos als Kind, in der Schwangerschaft oder Stillzeit
Julia Demann: Auch Isabell hat uns geschrieben, sie ist in der 12. Woche schwanger, nach über zweijährigem Kinderwunsch. Sie schreibt:
Nach der künstlichen Befruchtung wurde mir geraten, dass ich doch wieder Fleisch essen solle, um alle wichtigen Nährstoffe zu mir zu nehmen und die Chance, schwanger zu werden, zu verbessern. Ich esse Käse und Frischkäse, ab und an ein Ei. Sollte ich etwas beachten? Ich möchte ungern Tiere essen. Was soll ich auf jeden Fall essen?
Dr. Matthias Riedl: Der Bedarf an Nährstoffen ist in der Schwangerschaft stark erhöht. Und wichtig ist, ausreichend Eiweiß zu sich zu nehmen. Hier kann man Käse, Ei. Klar, Joghurt oder auch Quark nehmen. Ergänzend als Mischung mit pflanzlichem Eiweiß ist das sehr gut. Und hier würde ich auch Omega-3-Fettsäuren empfehlen, wenn eben kein Fisch gegessen wird, denn der Bedarf an Omega-3-Fettsäuren ist in der Schwangerschaft noch mal höher, weil das Kind daraus sein Gehirn herstellt und die Mutter auch nicht an Omega-3-Fettsäuren verarmen sollte. Das fördert die Neigung zur Schwangerschaftsdepression.
Hier darf ich meinen Herzenswunsch äußern: Weil die Ernährung in der Schwangerschaft so wichtig ist für das ganze spätere Leben des Kindes, aber auch für die Mutter, rate ich jeder Frau, die schwanger werden will, sich vorher gut zu informieren. Gerade wenn man Einschränkungen hat, wie kein Fleisch zu essen - dass man alles ausreichend bekommt, auch in der richtigen Verteilung über den Tag, damit man selber nicht zu stark zunimmt. Das wiederum beschädigt die Epigenetik des Kindes. Das Kind wird verändert, hin zu einer stärkeren Neigung zu Übergewicht und Diabetes. Das sind alles Dinge, die man damit regeln kann. Die Schwangerschaft ist eine ganz intensive Zeit für Mutter und Kind, auch für die Prägung des Kindes. Ich würde mir für Deutschland wünschen, dass alle Schwangeren oder alle Frauen, die schwanger werden wollen, eine Ernährungsberatung bekommen, um optimal aufgestellt zu sein. Schwangere ernähren sich zu 50 Prozent - genauso wie alle anderen auch - von hoch verarbeiteten Leben. Die sind inhaltsleer. Das heißt, die Hälfte des Kalorienbedarfs decken Schwangere von hoch verarbeiteten Lebensmitteln. Und das macht automatisch einen Mangel. Je mehr hoch verarbeitete Lebensmittel man isst, je schlechter man sich ernährt, desto kleiner ist das Kind - und desto schlechter auch der Spracherwerb im Kleinkindalter. Ich kann nur sagen: Informiert euch über Ernährung in der Schwangerschaft. Es wird sich doppelt und dreifach auszahlen, besonders fürs Kind.
Julia Demann: Uns hat auch ein Mann zur Schwangerschaft oder zum Kinderwunsch eine Frage geschrieben. Michael schreibt:
Ich bin 37 Jahre alt und ernähre mich pescetarisch. Ich esse circa zweimal die Woche Fisch, Meeresfrüchte, ansonsten ausgewogen vegetarisch. Meine Frau, 40, und ich versuchen aktuell ein zweites Kind zu bekommen. Noch klappt es nicht, aber ich frage mich, was ich als Mann ernährungstechnisch tun kann, um einen möglichst positiven Einfluss zu haben. Ist eine fleischhaltige Ernährung vielleicht besser?
Dr. Matthias Riedl: Fleisch ist dafür nicht notwendig. Es ist sogar eher so, dass die Betonung auf Gemüse und eine ausreichende Proteinmenge wichtig ist. Ballaststoffe, Körner, Nüsse, gesunde Fett - das ist wichtig. Fleisch ist nicht notwendig dafür. Und als Pescetarier isst er ja auch manchmal Fisch. Die Fruchtbarkeit sinkt mit dem Alter, das ist völlig normal. Aber eine pescetarische Ernährung, das hört sich schon mal sehr gut an, und wenn die ausgereizt wird mit 500 Gramm Gemüse und auch vielen Körnern, dann ist damit alles getan, was man für seine Fruchtbarkeit machen kann. Die Fruchtbarkeit in westlichen Industrienationen nimmt zunehmend ab - und das kann sicherlich auch an der Zusammensetzung der Ernährung liegen. Kann aber auch an Giftstoffen liegen.
Julia Demann: Michael macht schon sehr viel richtig. Vielleicht einfach noch mal ein bisschen gucken: Ist auch genug Gemüse dabei? Es ist nicht nötig, Fleisch zu essen. Also, wir haben jetzt ja gerade über die Schwangerschaft gesprochen. Wenn dann die Kinder erst mal auf der Welt sind, dann geht es ja weiter. Dann will man die auch vernünftig ernähren. Hier schreibt Sarah zum Beispiel:
Meine Kinder, vier und acht, essen kein Fleisch und keinen Fisch, lehnen das auch ab, sonst sind sie unkompliziert und essen fast alles, gerne auch Tofu und Hülsenfrüchte, viel Gemüse, auch Kinderuntypisches, wie zum Beispiel Rosenkohl und Grünkohl. Macht es Sinn, B12 und andere Mikronährstoffe überprüfen zu lassen? Und wenn ja, welche? Gibt es generell was, was ich beachten sollte?
Dr. Matthias Riedl: Es werden ja, wenn ich das richtig verstanden habe, auch Eier und Milchprodukte gegessen. Sie enthalten auch Vitamin B12 und können den Bedarf decken. Wenn kein Fisch gegessen wird, würde ich über Omega-3-Fettsäuren in Form von Algenöl nachdenken, gerade im heranwachsenden Alter. Aber wenn der Verdacht besteht, würde ich Vitamin B12 bestimmen lassen. Ich rate auch immer zu Vitamin D, weil das ein weitverbreiteter Mangel ist und auch der Omega-3-Index, also die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren. Im Prinzip ist jetzt hier kein dringender Rat, etwas zu messen, wenn Milchprodukte und Eier gegessen werden.
Julia Demann: Zum Thema Omega-3 und Algenöl haben uns auch noch Fragen erreicht. Da fragt zum Beispiel Julika:
Bei vegetarischer Ernährung ohne Fisch, wie viel Algenöl sollte ich täglich zu mir nehmen als normalgewichtige Frau Anfang 30, die sich gesund ernährt? Und wie viel mehr sollte es sein, wenn ich stille? Und sollte auch mein Baby Algenöl bekommen, wenn es beikostreif ist und keinen Fisch bekommt? Wie viel Jod sollte ich supplementieren als stillende Frau Und was für das Baby?
Dr. Matthias Riedl: Die Omega-3-Fettsäureversorgung ist in unserer westlichen Ernährung vermindert. Und wer sich fischarm ernährt, wird Schwierigkeiten haben, seinen Omega-3-Status ausreichend zu erfüllen. Die Supplementierung für beispielsweise Algenöl liegt ungefähr bei einem Teelöffel pro Tag, das ist auch für die Gehirnentwicklung gut. Und die Jodzufuhr ist in der Schwangerschaft auch notwendig. Es ist so, dass schon 30 Prozent der Erwachsenen einen Jodmangel haben. Bei Kindern ist es noch mehr. Der Grund ist einfach, dass sehr viel hoch verarbeitete Lebensmittel gegessen werden. Die hoch verarbeiteten Lebensmittel enthalten häufig, nicht immer, aber häufig jodfreies Salz und dadurch ist eine Renaissance des Jodmangels wieder erfolgt. Das ist in der Schwangerschaft natürlich ganz besonders doof. Und es wird in der westlichen Ernährung kaum eine Schwangere oder Stillende schaffen, ihren erhöhten Jodbedarf nur mit der Ernährung zu decken. Das würde ich mit der Gynäkologin oder dem Gynäkologen besprechen. Leider ist es so, da habe ich gerade neulich eine Untersuchung darüber gelesen: Keines dieser Vitamine und Spurenelemente für die Schwangerschaft - eins in allem - erfüllt tatsächlich alle Bedürfnisse. Es gibt tatsächlich nicht das gute Präparat, deshalb muss man das im Einzelfall mal gucken.
Julia Demann: Aber es hängt auch davon ab, wie ich mich ernähre. Also wenn ich zum Beispiel Fleisch esse, brauche ich vielleicht einige Sachen nicht. Wenn ich mich vegan ernähre, brauche ich dann vielleicht ein paar andere Dinge, die ich sonst als Schwangere nicht bräuchte - das ist eine ganz individuelle Beratung. Auch wenn man zum Beispiel Vorerkrankungen hat als Schwangere. Wir haben bisher über natürliche, vegane und vegetarische Nahrungsmittel gesprochen. Das Problem ist ja aber auch: Es gibt viele Ersatzprodukte. Die sind ja häufig hoch verarbeitet. Hier schreibt M. Woizen:
Wie bewerten Sie Fleischersatzprodukte, die beispielsweise aus Erbsenproteinen hergestellt werden. Sind das zu hoch prozessierte Lebensmittel?
Dr. Matthias Riedl: Ein Burger-Patty sieht von außen erst mal gleich aus, aber der Teufel steckt im Detail. Die Supermarktketten haben häufig Eigenmarken, da werden dann Bohnen, Zwiebeln, Pilze zerkleinert, und dann wird es zusammen gemixt. Das ist ein verarbeiteter, aber kein hochverarbeiteter Burger, der ist gesund, weil da echte Lebensmittel drin sind. Nehme ich aber Sojaproteine aus der Sojabohne und mache daraus eine Masse - das sieht nach nichts aus, es schmeckt nach nichts -, dann brauche ich Aroma: Kunst, Chemie. Dann brauche ich Salz dazu. Dann brauche ich Emulgatoren, um das ein bisschen aus der Flüssigkeit rauszuholen. Und am Ende wird es dann ein hochverarbeitetes Produkt. Das steht sozusagen für mich auf dem Index, das ist hoch oder höchst verarbeitet. Wir sprechen dann von Nova-Klasse vier, das gehört dann ganz sicher da rein - und das ist für eine gesunde Ernährung und für den täglichen Genuss aus meiner Sicht nicht zu empfehlen, weil wir auch die zunehmend festere Studienlage haben, dass das Zivilisationskrankheiten fördert.
Beschwerden und Verdauungsprobleme durch Pflanzenkost
Julia Demann: Auch pflanzliche Produkte können zum Beispiel Verdauungsprobleme machen. Zu diesem Thema haben uns Frieda und Luise je eine Frage geschickt: Frieda schreibt:
Eine Freundin verträgt keine Hülsenfrüchte. Kann man sich über immer wieder Essen eine Verträglichkeit erarbeiten?
Und Luise fragt:
Wie kann man bei pflanzenbasierter Ernährung, also Kichererbsen, Kohl etc. die Probleme mit Blähungen in den Griff bekommen?
Dr. Matthias Riedl: Hülsenfrüchte enthalten Substanzen und natürlich auch viele Ballaststoffe, die bei uns Verdauungsbeschwerden auslösen können. Das kann man durch Einweichen, durch Kochen, durch Zubereitung stark minimieren. Nicht die Zahl der Ballaststoffe - aber die Substanzen, die bei uns diese Beschwerden auslösen, wie etwa Lektine, die vermindert man mit der Zubereitung. Wenn Menschen mit einem Ballaststoffmangel plötzlich auf eine ballaststoffreiche Ernährung umsteigen, dann reagiert unser Magen-Darm mit Blähungen und Unverträglichkeit. Man sollte die Ballaststoffzufuhr also langsam steigern. Und natürlich hat man unter Umständen auch von solchen Gemüsesorten mal Blähungen. Aber die sind nicht ungesund - Gemüse nicht zu essen und einen Ballaststoffmangel zu haben, das ist ungesund. Und ich erinnere an unseren Verwandten, den Berggorilla: eine Primatenart, die sich tatsächlich noch vegan ernährt. Und die liegen dann am Nachmittag immer auf dem Rücken und lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen und haben einen dicken Blähbauch und furzen auch. Aber das ist für die völlig in Ordnung. Gesellschaftlich wäre das für uns nicht so akzeptabel, wenn wir bei den Nachmittagsitzungen furzen würden. Die essen aber auch wirklich den ganzen Tag dieses ganze Grünzeug.
Julia Demann: Aber es ist auch ein Gewöhnungseffekt da, oder?
Matthias Riedl: Klar.
Julia Demann: Also man kann sich daran gewöhnen. Es gibt natürlich auch immer Menschen, die etwas aufpassen müssen. Zum Beispiel Menschen mit einem Reizdarmsyndrom. Hierzu schreibt uns Rosa:
Ich bin Vegetarierin und leide unter einem Reizdarm mit Verstopfung. Die Beschwerden sind weg, sobald ich mich nach FODMAP-Regeln ernähre. Wie bekomme ich ausreichend Eiweiß, wenn Hülsenfrüchte und Sauerkraut sofort zu starken Blähungen führen? Andere Menschen haben ja auch eine Histamin-Unverträglichkeit. Beeinträchtigt das vielleicht auch so eine vegane Ernährung?
Dr. Matthias Riedl: Wir haben hier tatsächlich mehrere Einschränkungen, und da wird es dann tricky. Vegetarismus ist von der Definition her eine eingeschränkte Ernährungsform. Jetzt hat Rosa noch eine weitere Einschränkung: den Reizdarm. Außerdem hält sie noch die Regeln der FODMAP-Ernährung ein, was sie auch einschränkt. Hier empfehle ich immer eine professionelle Ernährungstherapie. Diese Therapie wird von den Kassen bezuschusst auf Antrag. Nutzt das, denn das Problem ist, ihr kommt sonst in eine Mangelsituation. Wenn ich eine gesundheitliche Problematik habe, ich auch eine Ernährungsform mit Einschränkungen habe und auch noch eine schlechte Verfügbarkeit, dann erleben wir im ernährungsmedizinischen Alltag immer mehr Menschen, die mangelernährt sind. Wenn sie nicht das ganze Repertoire zur Verfügung haben. Deshalb einmal die Empfehlung, die eigene Ernährungsberatung dafür aufzusuchen.
Eier sind hier noch möglich, und man könnte auch auf Proteinzubereitungen ohne künstliche Süßungsmittel zum Beispiel aus Hanf oder Mandelprotein zurückgreifen, oder aber aus Mandelmus. Das müsste hier eigentlich in Ordnung sein - aber trotzdem, hier ist eine individuelle Beratung nötig. Das ist zu wichtig. Es ist unsere Basis. Wir leben von dem, was wir essen.
Pflanzenkost gut für Herz-Kreislauf
Julia Demann: Wir haben nur diesen einen Körper - und den müssen wir mit Nährstoffen ausreichend und vor allem in gesunder Form versorgen. Bernd hat uns auch zu diesem Thema geschrieben:
Ich glaube gelesen zu haben, dass es eine Studie gibt, die besagt, dass eine rein vegane Ernährung Arteriosklerose aufhalten und sogar umkehren kann. Stimmt das? Was kann vegane Ernährung im Hinblick auf gesunde Gefäße für den Menschen tun?
Dr. Matthias Riedl: Heute betrachten wir Arterienverkalkung als eine Zivilisationsfolge. Im Vergleich zu Naturvölkern ist bei uns die Arterienverkalkung häufig. Und eine abwechslungsreiche, pflanzenbasierte Ernährung, mit vielen gesunden Ölen kombiniert, idealerweise noch mit Sport, hält Atherosklerose mit Sicherheit auf, kann aber die Effekte der Arterienverkalkung zum Teil sogar abdämpfen und gefürchteten Infarkten vorbeugen. Ich habe wenige Patienten, die das so umsetzen, aber ich habe Patienten, die das auch beherzt so machen. Und ich kriege von denen immer zurückgespiegelt, dass die Kardiologen ganz erstaunt sind, das sie in einem so topfitten Zustand sind, trotz vielleicht einer Bypass-Operation oder einem Stent, also einem kleinen Röhrchen in den Herzkranzgefäßen. Das geht gegen die Erfahrung der Kardiologen. Warum ist das so? Weil die wenigsten die Wahnsinnserfolge der pflanzenbasierten Ernährung in Kombination mit Sport nutzen. Das ist eine große Chance. Und für die, die noch keine Arterienverkalkung haben: Damit verhindert man sie.
Julia Demann: Die beiden nächsten Fragen von Tobi und Luisa ziehe ich zusammen, denn sie gehen in die gleiche Richtung.
Bei Autoimmunerkrankungen wird eine ausgewogene vegane Lebensweise oft angepriesen. Ist da was dran, oder ist einfach die antientzündliche darmgesunde Ernährung inklusive ausgewählter tierischer Produkte gleichwertig?
Dr. Matthias Riedl: Ja, ganz klar: Pflanzenbasierte Ernährung ist antientzündlich - mit gesunden pflanzlichen Ölen kombiniert. Und die darmgesunde Ernährung, Ballaststoffe, die auch antientzündlich sind. Genauso auch sekundäre Pflanzenstoffe aus dem Gemüse und diese inklusive ausgewählter tierischer Produkte, wie Fisch zum Beispiel. Das Steak oder die schwarz gegrillte Wurst würden hier allerdings nicht dazu zählen. Hier steckt der Teufel im Detail.
Julia Demann: Zum Thema Harnsäure hat uns noch eine Frage von Mela erreicht. Sie schreibt:
Liebe Ernährungs-Docs, mein Harnsäurespiegel erhöht sich von Test zu Test. Aktuell liegt der Wert bei 6,9. Wie ich jetzt bemerkt habe, esse ich fast ausschließlich Lebensmittel, die einen hohen Purin-Gehalt aufweisen: Kichererbsen, Weizenkeime, Haferflocken, Sojabohnen, Linsen. Also eigentlich alles Sachen, die ihr sehr empfehlt. Milchprodukte und Fleisch esse ich so gut wie nie. Was soll ich denn jetzt noch essen?
Dr. Matthias Riedl: Hier muss man natürlich wissen: 6,9 ist noch keine Gicht - also erhöhte Harnsäure, aber 6,9 ist noch okay, wenn man keine Gelenkbeschwerden hat und sonst gesund ist und nicht übergewichtig ist. Wenn so ein Mensch mit der Neigung zu höheren Harnsäure-Werten übergewichtig wird, Alkohol trinkt, was die Ausscheidung der Harnsäure vermindert, dann kann dieser Wert weiter ansteigen, auch durch das Übergewicht. Und dann kann natürlich eine purinreiche Ernährung den Säurewert weiter steigern. Aber ich rede hier von Übergewicht, und ich rede von Alkoholgenuss, was nicht gesagt wurde. Nun muss man sagen, das ist eine Erkenntnis aus der evolutionären Medizin: Warum gibt es Menschen mit erhöhter Harnsäure? Die gibt es nämlich, ohne dass daraus die Gicht entsteht. Und die Erklärung ist: Menschen mit tendenziell hoch-normaler Harnsäure haben davon sogar ein Benefit. Eine hoch-normale Harnsäure wirkt in der Tendenz antientzündlich, also eher ein positiver Effekt! Aber wenn ich als solch genetisch ausgestatteter Mensch mit einer hoch-normalen Harnsäure dick werde, was die Harnsäure dann übertreibt, mich ungesund ernähre und dann noch sehr purinreiche Lebensmittel esse - wie Innereien oder so was -, dann kommen wir in den ungesunden Bereich, und dann kann man auch die Gicht-Problematik bekommen. Aber wenn Mela gesund ist und sich so gesund ernährt, Sport macht, kein Übergewicht hat, mit Alkohol zurückhaltend ist - dann sehe ich bei 6,9, wenn keine Beschwerden bestehen und die Niere gesund ist - das muss man noch dazusagen, denn der Harnsäurewert kann bei Nierenschwäche auch ansteigen, das ist also alles mit Einschränkungen gesagt, aber das ist so die Umgebung - hier erst mal keine Sorge! Ernähre dich weiter gesund, denn das, was du isst - Kichererbsen, Weizenkeime, Haferflocken, Linsen -, das verhindert ja Übergewicht, und deshalb ist das kein Problem.
Julia Demann: Also auch hier kann man, glaube ich, wieder sagen: Zahlenwerte sind immer individuell für die Person zu betrachten. Also - haltet euch da nicht zu sehr dran auf, wenn irgendwelche Werte mal in eine Richtung ausschlagen. Das kann sich entweder wieder umkehren - oder es ist für euch kein Problem. Das, glaube ich, kann man da noch mal festhalten.
Dr. Matthias Riedl: Genau. Messwerte muss man interpretieren können. Wir streuen gerade sehr viele Zahlenwerte. Man muss wissen: Was messe ich damit - und was hat das für Konsequenzen? Das hätte für Mela erst mal keine Konsequenzen.
Julia Demann: Vielen Dank, Matthias. Ich habe viel mitgenommen und hoffe, dass es auch vielen von euch hilft. Vielen Dank auch natürlich an euch für die vielen, vielen spannenden Fragen!