Wie feiern Kirchen in Norddeutschland Weihnachten 2022?
Die Kirchen atmen auf, dass sie an Heilig Abend wieder Präsenzgottesdienste weitgehend ohne Beschränkungen anbieten können. Und doch wird es angesichts der aktuellen Krisen kein unbeschwertes Weihnachtsfest.
Christhart Wehring ist evangelischer Pastor in Vorpommern, zuständig für neun Kirchen, allesamt gelegen vor der Halbinsel Fischland-Darß. "Ich merke, dass die Leute eine Sehnsucht haben, auf andere Gedanken zu kommen und dass das Politische auch mal ruhen möge. Ich merke eine große Müdigkeit, was die multiplen Krisen angeht", stellt Wehring fest.
Deshalb soll bei Pastor Wehring in den Gottesdiensten an Heiligabend die Weihnachtsbotschaft im Mittelpunkt stehen. Seine Erfahrungen der vergangenen Wochen: "Es gibt ganz viele Seelsorgeanfragen in der Zeit. Man besucht Leute, die mit ihren Nerven am Ende sind, und versucht, Trost und Zuversicht zu verbreiten - das ist auch die Aufgabe der Kirche in diesen Zeiten."
Immer weniger Menschen wollen Heiligabend in die Kirche
Aber werden die Kirchen auch voll sein? Nach einer repräsentativen Umfrage der Bundeswehr-Universität (Neubiberg) gaben nur 15 Prozent der Befragten an, dass sie an Heiligabend einen Gottesdienst besuchen wollen. Vor Corona - 2019 - hatte noch fast ein Viertel einen Kirchenbesuch fest eingeplant. Der hannoversche Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes rechnet dennoch damit, dass alle Kirchenbänke besetzt sind: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Sehnsucht nach Live-Veranstaltungen groß ist. Netflix ersetzt ja Weihnachten nicht, von daher sind wir wieder analog unterwegs. Ich freue mich schon, mit Hunderten unter Orgelgebrause 'O du fröhliche' zu singen. Das macht Weihnachten aus."
Trotz der Präsenzgottesdienste haben sich doch einige Innovationen aus der Pandemiezeit gehalten, berichtet der Hamburger Propst Martin Vetter. So seien beispielsweise Andachten aus dem Michel auf YouTube zu sehen. "Ich nehme erfreut wahr, dass es etliche Gemeinden gibt, die Krippenspiele open air stattfinden lassen. Das ist auch ein Ergebnis aus Coronazeit, wo man gute Erfahrungen gemacht hat", so Vetter.
Messe an Heilig Abend: Ukraine-Krieg im Mittelpunkt
Trotz Krippenspiel und "O du fröhliche": Der hannoversche Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes kann sich in diesem Jahr kein Weihnachten ohne Bezug zum Ukraine-Krieg vorstellen. So wird es in den Notunterkünften in den Messehallen einen ökumenischen Gottesdienst geben - gemeinsam mit der ukrainisch-griechisch-katholischen Gemeinde in Hannover. "Am Ersten Weihnachtstag mit ukrainischen Flüchtlingen zu singen, zu beten, zu weinen - die haben ihr Restleben im Kofferraum verstauen müssen -, das sind ganz andere Erfahrungen", sagt Müller-Brandes.
Auch der katholische Priester Hubertus Goldbeck aus dem niedersächsischen Bad Bentheim will den Krieg in den Mittelpunkt der Messe an Heilig Abend rücken. Er will an die Stalingrad-Madonna erinnern, die vor genau 80 Jahren mitten im Krieg entstand: "Diese Stalingrad-Madonna hat damals der evangelische Pastor Kurt Reuber auf der Rückseite einer Landkarte gemalt, und das wurde deren Weihnachtsbild", erzählt Goldbeck. "Ich finde, das ist eine beeindruckende Darstellung, wo Schutt und Fürsorge ausgedrückt wird."
Eine wärmende Weihnachtsbotschaft
So dramatisch kalt wie in Stalingrad wird es dieses Jahr nicht, aber viele Kirchengemeinden, wie beispielsweise in Lübeck, haben Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern bereits empfohlen, sich warm anzuziehen. Mehr als acht Grad warm werde es wohl nicht. So hanseatisch kühl soll es in Hannover nicht werden: "An Weihnachten und Heilig Abend, da haben wir schon die Maßgabe, gastfreundlich zu sein und die Heizung nicht auszulassen", versichert Müller-Brandes.
Wärmen soll aber auch eine gut gefüllte Kirche und vor allem die Weihnachtsbotschaft aus dem Lukas-Evangelium: "Die Botschaft der Engel 'fürchtet euch nicht', diesen Satz nehme ich wahr, dass er das große Ganze in den Blick nimmt: Pandemie, Krieg, Folgen der Klimaerwärmung. Und dann gibt es noch einen weiteren Spruch der Engel: dass Friede sei auf Erden. Damit wird ganz konkret die Kriegssituation angesprochen", so Müller-Brandes.
Trotz Krisen, Krieg und Corona - auch in diesem Jahr wird in fast allen Gottesdiensten zum Schluss ein kräftiges "O du fröhliche" zu hören sein.