Entschleunigung: Die Kunst von Jeppe Hein
Für den dänischen Künstler Jeppe Hein ist Entschleunigung sogar zu einer existenziellen Frage geworden. Mitten auf der internationalen Erfolgsspur wurde er durch einen Burnout ausgebremst. Ein Porträt.
Seine selbst entworfene Keramikhöhle hatte er vor kurzem noch in seiner dänischen Heimat ausprobiert - jetzt steht sie das erste Mal in einer Solo-Ausstellung in Berlin. Einen "Raum für die innere Weite" nennt er sie. Jeppe Hein ist nur für kurze Zeit in Berlin, ein halbes Jahr war der weltweit gefeierte Künstler untergetaucht - sprichwörtlich. Denn seine Lieblingsbeschäftigung ist neben der Kunst das Surfen, sein Rettungsanker und eine Analogie zum Leben: "Wenn man surft, geht es ja auch um Balance. Und so ist es auch im Leben. Es geht immer um Balance."
Auf der Erfolgsspur - dann der Rückschlag
Das Handy macht er morgens nur kurz an, um Wetter und Surfspots zu checken. "Dann paddle ich raus", erzählt Hein, "vielleicht ist da ein Regenbogen, vielleicht schneit es oder vielleicht kommt eine Robbe oder ein Delfin vorbei - kommt darauf an, wo man in der Welt ist. Das ist einfach mega schön, dieses Gefühl, dass du da draußen bist, im hier und jetzt. Und das Einzige was ich mache, ist einfach gucken, wann kommt die nächste Welle. Das ist für mich dieser Ruheort."
Der Augenblick selbst wird zum Ruheort. Das war lange anders. Jeppe Hein ist mit seinen verspielten interaktiven Installationen schon vor Jahrzehnten zu einem international gefragten Star geworden. Seine Spiegel-Irrgärten oder seine "Modifizierten Sozialen Bänke" stehen weltweit in Parks, sind ikonisch und unverwechselbar. Der rasant wachsende Erfolg, die vielen Aufträge, die Berühmtheit hatten ihren Preis: "Ich war 36 und hatte in all den Jahren probiert, Liebe, Anerkennung und Berühmtheit usw. außerhalb meiner selbst zu suchen und zu finden. Und irgendwann war das dem ganzen System einfach zu viel." Auf einem Rückflug nach Dänemark bekam Jepper Hein plötzlich einen Angst-Anfall. Er konnte seinen Körper nicht mehr spüren und nicht atmen. Die Anfälle kamen regelmäßig immer wieder.
Emotionaler Moment der Einsicht
"Am 24. Dezember 2009 war ich dann bei den Nachbarn meiner Eltern, unter anderem einer buddhistischen Nonne", erzählt der Künstler, "und sie hat gesagt, dein ganzes System ist so runter. Du musst sofort alle Stecker rausziehen und einen kompletten Stopp machen." Für Hein war das ein sehr emotionaler Moment, wie er sich erinnert. Er fing an zu weinen. "Erst muss jemand von außen mir so etwas erzählen, damit ich das wirklich glaube."
Ungefähr 48 Projekte an denen Hein und sein Team gerade gearbeitet hatten, wurden abgebrochen. "Dann habe ich einfach gesagt: Jetzt habe ich eine Pause." Er fängt an, bewusster zu atmen - macht beim Ausatmen blaue Strichen mit Wasserfarbe auf einem Blatt Papier, "da habe ich gemerkt, wenn ich einen Strich mit meinem Ausatmen mache, dass mein Körper sich langsam entspannt."
Natur rückt in den Fokus
Rund ein halbes Jahr lang, sei er nicht in der Lage gewesen seine Kinder und seine Frau zu unterstützen, berichtet der Däne. Langsam habe er sich zurück gezeichnet und geschrieben: "Ich habe immer geschrieben: 'Es tut mir leid, dass ich irgendwie gerade Gehirn-Schluckauf habe, aber irgendwann komme ich zurück'. Und das bin ich dann auch, aber auf einer ganz anderen Ebene."
Die Natur selbst rückt in den Fokus seiner Beobachtung. Kunst ist für ihn weniger intellektueller Ausdruck, sondern ein ganz praktisches Mittel zur Selbstheilung. Er führt mit kleinen Briefen, Skizzen, Zeichnungen Tagebuch - und das Meer vor der Haustür gibt ihm wieder Luft: "Das heißt, wenn die Welle kommt, steigt die Welle so hoch wie ein Atemzug und genau bevor sie bricht, hält man seine Luft an und dann ist es wie Ausatmen."
Kunst als Heilmittel
Atmen wurde zu einem wichtigen Thema seiner Kunst. 2019 gründete Jeppe Hein das Kunstprojekt "Breathe with me", bei dem er das Publikum einlädt, seinen Atem in blauen Strichen auf die Leinwand zu bringen. "Ich versuche auch nicht, die Leute zu belehren, das ist ganz wichtig", erklärt der Künstler sein Vorgehen. "Ich probiere nur Leute zu inspirieren und das ist für mich mein Lebensziel."
Nach seinem Burnout änderte Jeppe Hein sein vormals hektisches Leben grundlegend. Selbst eine Bahnfahrt oder ein Spaziergang wird zur Gelegenheit für Meditation und Selbstreflexion. Kunst, so sagt er, kann ein Werkzeug sein, mit dem der Betrachter sich selbst besser spürt.
Das Wichtigste für Jeppe Hein ist Selbstwahrnehmung
Eines seiner wichtigsten Motive ist das Gesicht, als stärkstes Ausdrucksmittel für Gefühle. Immer wieder fordert er Leute auf, sich mit dem Pinsel auszudrücken und wahrzunehmen: "Dann sage ich einfach: 'Spür' mal im Bauch nach, wie es euch gerade geht und drückt das in einem Gesicht aus." Jedes Ausatmen ist ein Strich. Ungefähr 20 Striche später malt man wieder seine Gefühle: ein zweites Gesicht. Vielleicht ist man entspannter, vielleicht auch wütender - entscheidend ist allein die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, die Selbstachtsamkeit und die Wahrnehmung des Gegenübers, erklärt Jeppe Hein.
Natürlich arbeitet Jeppe Hein mit seiner Werkstatt auch weiter an seinen großen Werken, an Wasserbildern, Spiegeln und Bänken. Doch das Wichtigste für ihn bleibt: Selbstwahrnehmung: "Die Hauptsache ist, zu erzählen, dass unser Atmen das stärkste Werkzeug ist, das wir in unserem Leben haben."