Eine Mönchsfigur in Puttgarden (Fehmarn), am Horizont das Meer © picture alliance / Zoonar Foto: HGVorndran
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AUDIO: Chormusik - Das Vokalsextett Singer Pur - "Pilger auf Erden" (56 Min)

"Pilger auf Erden": Eine innere Reise mit Chormusik von Singer Pur

Stand: 04.09.2024 06:00 Uhr

Der Mensch ist sterblich, das Leben endlich. Diese Erkenntnis mag banal klingen, kann sich aber für manch einen beängstigend anfühlen. Halt und Trost finden Menschen sowohl im Glauben als auch in der Musik. Beides verbindet die neue Chormusik-Einspielung von Singer Pur - und geht auf eine innere Reise.

von Jacqueline Moschkau

Ursprünglich oft mit religiösen Zielen wie dem Besuch heiliger Stätten oder dem Streben nach spiritueller Erleuchtung verbunden, hat das Pilgern im Laufe der Zeit eine breitere Bedeutung angenommen und das Interesse von Menschen verschiedenster Kulturen geweckt. Heutzutage begeben sich viele auf Pilgerreise, um persönliche Herausforderungen zu meistern, innere Ruhe zu finden oder ihren Lebensweg zu reflektieren. Ob aus religiösem Glauben, spiritueller Sinnsuche oder purer Abenteuerlust: Das Pilgern bietet Raum für Selbstentdeckung und Gemeinschaft - unabhängig von der Motivation hinter jedem Schritt.

Die innere Einsamkeit

Eben diesen Weg beschreibt das Vokalensemble Singer Pur auf seinem neuen Album: Ein Individuum begibt sich auf Pilgerreise und setzt sich mit der eigenen Endlichkeit auseinander. "Pilger auf Erden" beschreibt den Weg einer inneren Einkehr. Wichtig war den sechs Sängerinnen und Sängern, diese mit den entsprechenden Stücken zu veranschaulichen und sie in einer schlüssigen Reihenfolge erklingen zu lassen, sodass der Weg des Pilgers hörbar wird.

Mit einer klug aufgebauten Dramaturgie und geistlichen Werken des 19. Jahrhunderts unter anderem von Bruckner, Bruch, Mendelssohn, Liszt oder Reger nimmt das Vokalsextett seine Hörerschaft also mit auf diese Reise - und die beginnt in der inneren Einsamkeit. Daher steht am Anfang das "Abendlied" von Joseph Gabriel Rheinberger, worin Kapitel 24, Vers 29 aus dem Lukas Evangelium vertont wird: "Bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt", flehen die Jünger hier ihren Anführer an. Jesus wurde gerade gekreuzigt und begraben, seine Jünger fühlen sich verlassen, allein und orientierungslos im Dunkel ihrer Trauer und Verwirrung.

Das  a cappella-Ensemble Singer Pur im Porträt © Christian Palm
AUDIO: Singer Pur: "Abendlied" von Albert Becker (3 Min)

Der erste Schritt

Der Abend ist angebrochen und das Individuum sehnt sich - verloren in der Dunkelheit der Welt - nach Orientierung. Hier beginnt die Pilgerreise: mit dem ersten Schritt. Dem einen ist es die Musik, dem anderen die Natur oder der innere Dialog. All das kommt beim Pilgern zusammen. Zudem erscheinen in der Einsamkeit die religiösen Erzählungen besonders verheißungsvoll, denn sie versprechen Hoffnung, Trost und Gemeinschaft. Singer Pur haben den inneren Aufbruch mit einem Werk illustriert, das die Sehnsucht nach Gott zum Ausdruck bringt: "Nach dir, Herr, verlanget mich. Mein Gott, ich hoffe auf dich", heißt es im Psalm 25, den Albert Becker vertont hat.

Die Programme von Singer Pur gestaltet seit 2015 Manuel Warwitz. Er ist seit 2003 einer von drei Tenören des Sextetts. Als bekennender Schubert-Fan war das Repertoire der Einspielung für ihn nicht vollständig ohne ein Werk des österreichischen Romantikers. Doch eine passende Komposition ließ sich nicht finden - bis das Grablied "Pilger auf Erden" in Warwitz' Blickfeld geriet. Titelgebend und thematisch das zentrale Stück des Albums stammt es jedoch aus der Feder von Peter Cornelius. Die Verbindung zu Schubert: Cornelius hat hier den 2. Satz des d-moll-Streichquartetts "Der Tod und das Mädchen" für vierstimmigen Chor arrangiert und mit einem eigenen Gedicht als Text versehen.

Das  a cappella-Ensemble Singer Pur im Porträt © Christian Palm
AUDIO: Singer Pur: "Pilger auf Erden" von Peter Cornelius (2 Min)

Zwischen innen und außen - der Ort des Pilgerns

Insgesamt 14 verschiedene Komponist*innen sind auf dem Album "Pilger auf Erden" vertreten. Jeder hatte einen grundverschiedenen Umgang mit Religion und Gläubigkeit. Dies sei ihm bei der Arbeit am Album klar geworden, sagt Manuel Warwitz: "Bei allen Stücken habe ich gespürt, dass jeder der Komponisten einen sehr persönlichen Zugang zum Glauben haben muss. Franz Liszt war sehr weltlich eingestellt und Max Reger hat stark mit seinem Glauben gerungen. Anton Bruckner, das ist sogar überliefert, hatte einen fast kindlichen Glauben."

Bruckner, von 1855 bis 1868 Organist am Alten Linzer Dom, schrieb "Locus iste" im Auftrag von Bischof Franz Joseph Rudigier für die Einweihung der Votivkapelle im neuen Mariä-Empfängnis-Dom zu Linz im Jahr 1869. Der physische Ort, an dem Menschen für die Ausübung ihres Glaubens zusammenkommen, ist ein Aspekt, der den reinen Glauben von der Religion als Institution unterscheidet. Während der Glaube im Inneren entsteht, wird die Religion im Außen verübt. Somit sind Kirche, Kapelle und Co. auch beim Pilgern ein entscheidender Aspekt. Bruckners Motette in C-Dur huldigt dem geheiligten Ort als Zentrum der inneren Einkehr, als Tor zu Gott und als schützende Zuflucht mit den Worten "Dieser Ort ist von Gott geschaffen, ein unschätzbares Geheimnis, kein Fehl ist an ihm."

Das  a cappella-Ensemble Singer Pur im Porträt © Christian Palm
AUDIO: Singer Pur: "Locus iste" von Anton Bruckner (3 Min)

Erkenntnis und Endlichkeit

Zu Beginn der inneren Reise mag die eigene Endlichkeit noch beängstigend sein, doch zum Schluss findet das Individuum Hoffnung und Erlösung im Glauben. Das ist die Geschichte, die "Pilger auf Erden" erzählt und während der Produktion hat das Thema Endlichkeit auch die Mitglieder von Singer Pur tief bewegt.

Tenor Manuel Warwitz beschreibt es so: "Mich beschäftigt das Thema Endlichkeit in den letzten Jahren immer mehr und ich erkenne mich selbst in der Figur des Pilgers wieder. Auch ich bin auf dem Weg zu meinem eigenen Sterben und auch ich frage mich: Wie geht es mir, wenn ich alt bin, wie wird es sein, wenn ich einmal sterbe? Das ist die Reise des Pilgers: Er drückt seine Zweifel aus, findet Halt im Glauben und stirbt dann in der Gewissheit, dass er erlöst wird und ins Paradies kommt."

Entsprechend ist die Komposition "Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren" von Felix Mendelssohn Bartholdy das Schlüsselwerk auf dem Album und in der Geschichte der Pilgerreise. Manuel Warwitz erklärt: "Hier wird der Moment beschrieben, in dem der Pilger erkennt, dass er in seinem Glauben Erlösung findet und sich vor dem Tod nicht mehr fürchten muss." Darauf folgend ist das letzte Stück des Albums auch die letzte Station der Pilgerreise: Albert Beckers "Du gabst uns alles" versinnbildlicht das Ankommen. Es entfalten sich Dankbarkeit und Erleichterung, die Reise angetreten und das Ziel - welches auch immer es individuell sein mochte - erreicht zu haben. Der Dank hierfür gilt Gott und verbindet sich mit der Bitte um weitere Fürsorge.

Das  a cappella-Ensemble Singer Pur im Porträt © Christian Palm
AUDIO: Singer Pur: "Du gabst uns alles" von Albert Becker (2 Min)

Singer Pur - Sextett mit Geschichte

Das Ensemble Singer Pur hat sich seit seiner Gründung im Jahr 1992 durch fünf ehemalige Regensburger Domspatzen und eine Sopranistin zu einer international bekannten Formation entwickelt. Zur aktuellen Besetzung gehören Claire Elizabeth Craig (Sopran), Christian Meister, Marcel Hubner und Manuel Warwitz (Tenor), Jakob Steiner (Bariton) sowie Felix Meybier (Bass).

Zahlreiche Preise konnte das A-cappella-Ensemble bisher gewinnen, allein dreimal den Echo Klassik und 2022 auch den OPUS Klassik. Auch "Pilger auf Erden", erschienen im Mai 2024 bei Oehms Classics, wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Die Chormusik-Sendung von Eva Schramm zu diesem neuen Album von Singer Pur mit vielen Hintergrundinformationen zur Entstehung und zu künstlerischen Aspekten können Sie hier nachhören.

Das  a cappella-Ensemble Singer Pur im Porträt © Christian Palm
AUDIO: Chormusik - Das Vokalsextett Singer Pur - "Pilger auf Erden" (56 Min)
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Das  a cappella-Ensemble Singer Pur im Porträt © Christian Palm

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Chormusik | 21.07.2024 | 17:00 Uhr

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