SHMF 2025: Vorspielen fürs Festivalorchester in Tokio
Junge Musikerinnen und Musiker aus aller Welt träumen davon, beim Schleswig-Holstein Musik Festival mitmachen zu dürfen. Bei Probespielen in der ganzen Welt müssen sie sich beweisen, um ein Stipendium zu erhalten.
Behutsam packt Hirona Ise ihre Geige aus und macht sich auf die Suche nach dem richtigen Ton. Gar nicht so einfach, denn aus der Box nebenan schallen schräge Töne. Dort arbeiten sich ein paar Jugendliche an den japanischen Charts ab. Egal, Konzentration: Ise schließt die Augen, stimmt Mozarts Symphonie Nummer 39 an und vergisst, dass sie sich mitten in Tokio in einer acht Quadratmeter kleinen Karaoke-Box befindet: "Da, wo ich in Tokio wohne, dürfen keine Instrumente gespielt werden, aber in einer Karaoke-Box ist das erlaubt. Hier kann man üben und laut sein. Deshalb gehe ich oft in eine Karaoke-Bar."
Große Konkurrenz fürs SHMF-Stipendium
Für sieben Euro pro Stunde kann sich die 24-Jährige hier auf den großen Moment vorbereiten: das Vorspiel in Tokio für das internationale Orchester des Schleswig-Holstein Musik Festivals in wenigen Tagen. "Beim Festival sind Musiker aus aller Welt dabei und auch erstklassige Meister, also Lehrer. Zwei Monate in dieser Umgebung - so eine Gelegenheit gibt es nur selten", sagt Ise.
Deshalb übt die 24-Jährige acht Stunden pro Tag - Minimum - und feilt auch an ihrem Deutsch. Sie wird ihr Bestes geben müssen, denn die Konkurrenz ist groß: 1.200 Musikerinnen und Musiker aus aller Welt haben sich auf das Stipendium beworben; 120 werden ausgewählt und dürfen im Sommer in den Norden kommen.
Musikalischer Austausch mit Musizierenden aus aller Welt
Auch sie hofft darauf: Kiharu Takahashi. 30 Kilometer von der Karaoke-Box im quirlingen Tokioter Stadtteil Shibuya entfernt, gibt die 21-Jährige den "Don Juan" von Richard Strauß. "Ich wäre das erste Mal in Deutschland. Das alleine ist schon spannend", sagt Takahashi. "Ich würde mich freuen, mit dem Orchester zu spielen und mich mit Musikern aus aller Welt auszutauschen - und all das in Deutschland!"
Bis zum Vorspiel wird sie üben, bis tief in die Nacht. Doch japanische Wände sind dünn und hellhörig und die Nachbarn sollen von den nächtlichen Klängen keinesfalls gestört werden - das wäre in Japan unerhört. Deshalb hat Takahashis Vater Heimwerker gespielt und mitten in den heimischen Wohnraum kurzerhand eine knapp zwei Quadratmeter große Übungsbox gezimmert - schallisoliert, also fast.
Die Suche nach der perfekten Mischung aus Technik und Leidenschaft
Ein paar Tage später ist der große Tag gekommen: das Vorspiel in einer Musikschule im Westen von Tokio. Ise lächelt schüchtern: "Ich habe Selbstvertrauen und werde mein Bestes geben" - vor den Augen und vor allem den Ohren der zweiköpfigen Jury. Die ist aus Norddeutschland angereist und tingelt derzeit durch Asien, um die Besten zu casten: Seoul, Taipeh, heute Tokio, erklärt Kai Oesterwinter vom Schleswig-Holstein Musik Festival. "Es gibt einige Bewerber, die eine gute technische Grundlage haben. Bei anderen ist die Leidenschaft mehr - und das macht dann die Mischung, die wir brauchen."
Dann wird es ernst, zuerst für Ise. Nach zehn Minuten ist es vorbei, die 24-Jährige wirkt erleichert: "Einiges ging nicht gut, aber das ist eben das, wozu ich jetzt fähig bin. Ich werde es das nächste Mal besser machen." Auf keinen Fall sich selbst loben, "Kenkyo" zeigen - Demut. Auch das ist sehr japanisch. Dann ist Takahashi an der Reihe: "Ich war sehr nervös, aber ich konnte es auch genießen. Das war gut." Wird eine von den beiden ein Ticket nach Deutschland bekommen? Das erfahren sie erst in einigen Wochen. Einen Freizeittipp für Norddeutschland gibt ihnen Kai Oesterwinter aber schon jetzt: "das Watt, unbedingt das Watt!"