Denis Scheck: Philip Roth hat Kommentar zu Trump bereits geschrieben
Donald Trumps zweite Amtszeit können sich hierzulande nur wenige erklären. Was, wenn nicht die Vernunft, hilft dabei, Trumps Erfolg zu verstehen? Vielleicht die Literatur? Ein Gespräch mit dem Literaturkritiker Denis Scheck.
Nicht nur Schecks Wirken als Kritiker lässt auf eine gewisse Hinwendung zur US-amerikanischen Kultur, vor allem zur Literatur schließen, sondern auch seine Biografie. Er hat unter anderem in Dallas studiert, hat US-amerikanische Autoren übersetzt, und eines seiner frühen Bücher heißt: "Hell's Kitchen. Streifzüge durch die neue US-Literatur".
Herr Scheck, was lieben Sie so an den Vereinigten Staaten?
Denis Scheck: Ich bin Jahrgang 1964, und ich hatte immer das Gefühl, wie das mal Thomas Hettche sehr schön in einem Roman beschrieben hat, dass die Polizeisirenen in der Bundesrepublik Deutschland irgendwie das falsche Signal von sich geben, dass die Geldscheine die falsche Farbe haben, dass meine Kindheit im falschen Film abläuft. Denn meine Kindheit war geprägt von "Flipper", "Raumschiff Enterprise" und den "Straßen von San Francisco", also amerikanischen Fernsehserien. Insofern sind wir alle, die wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sozialisiert sind, ob wir wollen oder nicht, Amerikaner.
Die US-amerikanische Literatur ist naturgemäß ganz stark von der europäischen prägt. Was machen die Amerikaner trotzdem anders?
Scheck: Der amerikanische Literaturmarkt ist insofern anders, weil Kultur im US-amerikanischen Leben generell eine viel geringere Rolle spielt als im europäischen, insbesondere im deutschen. Ich bin daran verzweifelt, ein Feuilleton in einer amerikanischen Tageszeitung zu finden. Als ich die "Dallas Morning News" abonniert hatte, sah ich da immer nur den Sport, den Wirtschaftsteil und einen kleinen Politikteil und fragte mich, wo die Kultur abgeblieben ist. Und genauso, wie es nicht in der Zeitung vorkam, so war es im Grunde in den Medien generell. Da ist noch ein kleiner Leuchtturm, "National Public Radio", aber dass es Fernsehsendungen gibt, die sich ausschließlich mit Literatur beschäftigen, das käme in der amerikanischen Wirklichkeit kaum vor.
Gibt es trotzdem eine besondere, erklärbare amerikanische Erzählgenialität?
Scheck: Die US-amerikanische Literatur ist eine wahnsinnig reiche Literatur, und man darf die auf gar keinen Fall über einen Kamm scheren. Zu Zeiten, als Hemingway noch veröffentlicht hat, gab es auch schon den Beginn der postmodernen amerikanischen Literatur mit ihren Heroen wie zum Beispiel Thomas Pynchon, William Gaddis oder Donald Bartheleme, die mich sehr stark beeindruckt haben. Das sind Namen, die wir in der europäischen Literatur eher einem Italo Calvino gegenüberstellen können.
Könnte es sein, dass Autorinnen und Autoren vor allem auch für den europäischen Markt schreiben und in ihrem eigenen Land kaum wahrgenommen werden?
Scheck: Das gab es immer, dass zwar die Ost- und die Westküste bestimmte US-Autoren wahrgenommen hat, nicht aber das sogenannte Flyover Country dazwischen, wo man James Michener las, aber eben nicht William Gaddis oder Thomas Pynchon. Aber das sind Phänomene, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland genauso gut kennen: Wie viele Menschen lesen heute Arno Schmidt oder haben Arno Schmidt in den 60er-Jahren gelesen? Arno Schmidt ist für mich der bedeutendste bundesrepublikanische Autor nach dem Zweiten Weltkrieg. Der wurde in seinem Massenerfolg überflügelt von Figuren wie Heinrich Böll, nach denen literarisch heute kein Hahn mehr kräht. Aber wenn wir uns der Literatur der Gegenwart zuwenden, dann haben wir - Stichwort: Inauguration von Donald Trump - mit Margaret Atwood beispielsweise eine, wenn auch kanadische, Autorin und ihrem "Report der Magd", die für mich den prägenden politischen Roman unserer Gegenwart geschrieben hat. Diese ganzen evangelikalen, neorechten Tendenzen der US-amerikanischen Politik sind da sehr schön auf den Punkt gebracht. Noch düsterer wird es bei Cormac McCarthy und seiner großen Dystopie "Die Straße".
Schlechte oder schwierige Zeiten sind oft gute Zeiten für die Literatur. Werden die nun folgenden Trump-Jahre ihrer Erwartung nach große Romane hervorbringen? Oder herrscht eine große Ermattung vor, nachdem man vor vier Jahren schon gedacht hatte, der "Trump-Spuk" sei für immer vorbei?
Scheck: Ich bin da skeptisch. Das Schöne an der Literatur ist, dass wirkliche Weltliteratur erfahrungsgemäß einen Abstand von 20, 30 Jahren zu historischen Ereignissen benötigt, um literarisch darauf zu reagieren. Das ist der Abstand zwischen den Napoleonischen Kriegen und "Krieg und Frieden". Direkt wird sich das, glaube ich, nicht auf die Literatur auswirken. Aber wenn ich zurückschaue und mal den Begriff der französischen Geschichtswissenschaft, der Longue durée, also der langen Dauer, dafür verwende, dann hat eigentlich Philip Ross mit "Der menschliche Makel", dem Abschlussband seiner amerikanischen Trilogie, schon den richtigen politischen Kommentar geschrieben. Es geht in diesem Fall um den US-Präsidenten Bill Clinton, der das Amtsenthebungsverfahren zu überstehen hat, weil er seine Sexualität mit einer Praktikantin geübt hat, und der Protagonist träumt davon, das Weiße Haus mit einer riesigen Banderole zu versehen mit der Aufschrift: "Hier wohnt ein Mensch", also mit den menschlichen Fehlern, die uns zu eigen sind. Wenn ich mir Donald Trump anschaue, dann kommt mir schon ein gewisser Zweifel angesichts seiner Menschlichkeit; er hat doch eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einer Muppet-Figur, finden Sie nicht?
In Ihrer Sendung "Druckfrisch" war mal Barack Obama zu Gast. Würden Sie gern auch mal mit Donald Trump über Literatur sprechen?
Scheck: Nein, ich glaube, das würde ein sehr kurzes Gespräch werden. Für Literatur fehlt ihm, glaube ich, das Sensorium.
Das Gespräch führte Eva Schramm.