Fußball-WM in Katar: "Der Sport greift massiv in die Weltpolitik ein"
Der ehemalige Fußballprofi Thomas Hitzlsperger ist für eine Reportage an viele Orte gereist, hat mit vielen Menschen Interviews geführt und kommt am Ende zu dem Schluss: Die WM hätte nie nach Katar vergeben werden dürfen. "Katar, warum nur?" läuft heute Abend um Ersten und ist auch in der ARD Mediathek zu sehen.
Herr Bockrath, Thomas Hitzlsperger ist nicht allein mit dieser Meinung. Warum konnte es trotzdem dazu kommen?
Franz Bockrath: Nun, es ist noch nie anders gewesen. Sportliche Großveranstaltungen sind immer gerne insbesondere von autokratischen System genutzt worden, um sich in einem besonders positiven Licht darzustellen. Das geht schon los 1936 mit den Olympischen Spielen in Berlin, die eine große Propaganda-Show gewesen sind, und geht weiter 1978 bei der WM in Argentinien, wo in den Stadien Folterlager existierten. Wir denken beispielsweise an Peking 2008, wo es den Konflikt mit den Uiguren gab. Der ist dann 2022, als die Olympischen Winterspiele in Peking stattgefunden haben, immer noch nicht beendet gewesen, trotz gegenteiliger Zusicherungen, dass alles besser würde. 2014, kurz nach den Olympischen Winterspielen in Sotschi, gab es die Krim-Annexion. 2018 die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland, und kurze Zeit später die Giftanschläge auf Kritiker. Insbesondere autokratische Machthaber haben sich immer gerne des Sports bedient, um sich in einem besonders positiven Licht darzustellen. Das ist eine Propagandamöglichkeit für diese Systeme.
Die Linie, die Sie gerade aufgezeichnet haben, bedeutet ja, dass das historisch gewachsen ist. Die FIFA, die in der Schweiz sogar als gemeinnütziger Verein eingetragen ist, verdient ein Milliardenvermögen an diesem Deal mit Katar. Warum wird das nicht verhindert?
Bockrath: Weil man mit diesen Veranstaltungen eben ein Wahnsinnsgeld verdienen kann. Es gibt in Katar keine Tradition, wo der Fußball eine besondere Rolle spielen würde. Gleichwohl eignet sich der Sport in besonderer Weise, um die Interessen dieses kleinen Landes im globalen Wettbewerb mit anderen Staaten in den Vordergrund zu stellen. Und in Katar liegt das Geld vor. Der Sport bezeichnet sich ja offiziell als unpolitisch - gleichwohl macht er durch die Vergabepraktiken massive Politik. Er greift massiv in die Weltpolitik ein, indem dort bestimmte Möglichkeiten gegeben werden, diese Sportveranstaltung auch propagandistisch für sich zu nutzen. Früher hieß das noch Sponsoring, wenn einzelne Personen das gemacht haben, heute sind es - unter dem Begriff des Sport-Washings - ganze Nationen, die auf diesem Feld tätig sind. Das ist der Trend, den man sehen kann. Deswegen geht das durch.
Mal ganz naiv gefragt: Kann man das verhindern?
Bockrath: Man könnte etwas tun. Sie haben die Sendung von Thomas Hitzlsperger erwähnt, und auch sonst wird in den Medien eine Menge gemacht, vor allen Dingen in Deutschland. In anderen Ländern ist es nicht ganz so stark. Aufklärung muss betrieben werden, um diese glitzernden Fassaden zu entlarven. Die Jubelfans, die dort bezahlt und eingeflogen werden, dass man das aufzeigt, welcher Preis dafür gezahlt wird.
Das Zweite wäre, dass man die Vergaberichtlinien überprüft und auch verändert. Dass man also nicht nur überlegt, in welchem Erdteil wann wieder eine Weltmeisterschaft stattfinden kann, sondern dass man sich auf Richtlinien verständigt, ob man die Menschenrechte in die Vergabepraxis einbezieht oder nicht. Dazu müsste man sich aber positionieren.
Ich glaube, man wird es nicht erreichen können, aber man sollte auch das Vergabeverfahren insgesamt transparenter machen.
Schließlich kann man auch Boykott-Möglichkeiten ins Auge fassen. Ich denke nicht an den Boykott der Spieler - dieser Zeitpunkt ist verpasst worden. Aber es geht um die Einschaltquoten, die ein Erfolgsmaßstab für solche Großveranstaltungen sind. Diese kann man beeinflussen, indem beispielsweise Wirte sich bereit erklären, dass sie kein Public Viewing vor Ort anbieten, um dadurch zu dokumentieren, dass man gegen diese Weltmeisterschaft in diesem Land ist.
Ich würde nicht empfehlen, dass man die Dinge zu sehr moralisiert, sondern dass man in dem Zusammenhang die eigenen Verflechtungen, in diesem Fall mit dem Staat Katar, auch mit in Rechnung stellt, dass wir auch bestimmte Interessen in diesem Land verfolgen - ich denke insbesondere an ökonomische Interessen. Diesen Aspekt sollte man zumindest mitbedenken oder mitthematisieren.
Das heißt, man muss den Blick weiten und auch über den Fußball hinaus schauen. Man könnte ja auch sagen: Wenn hier Fußball so knallhart für politische Zwecke missbraucht wird, warum kann der nicht seine Marktmacht anders ausspielen?
Bockrath: Er könnte das sicherlich. Ich glaube schon, dass Fußball eine starke integrierende Kraft hat. Das, was wir momentan an Fanprotesten erleben, die eine gewisse Vorstellung vom Fußball thematisieren, das wären Möglichkeiten, die der Fußball hat. Ich glaube, dass solche sportlichen Großverbände, aber auch der DFB, gut beraten wären, auf die Fans zu hören, die zum Teil auch bereit sind, da erhebliche Einschnitte vorzunehmen, wenn Sie sagen, dass sie sich nicht mehr so sehr für die WM interessieren und sich andere Formen des Fußballspiels anschauen, die weniger mit Geld durchsetzt sind. Die Anziehungskraft dieser Sportart ist nach wie vor ungebrochen. Aber es gibt auch die anderen Tendenzen, die sehen, dass der Fußball sehr stark unter externe Interessen gestellt werden kann und damit auch seinen Charakter verliert.
Das Gespräch führte Katja Weise.