Bariton Benjamin Appl singt Weihnachtslieder
Mit Schuberts "Winterreise" verzückte der junge Bariton vor zwei Jahren die Kritik. Seitdem stehen ihm die großen Bühnen Europas offen. Seine Karriere begann mit den Regensburger Domspatzen.
Angefangen hat Benjamin Appls Sängerkarriere im berühmten Knabenchor seiner Heimatstadt Regensburg. Mit den Regensburger Domspatzen hat er gerade sein erstes Weihnachtsalbum eingespielt. Die Weihnachtszeit hat für ihn nach wie vor einen ganz besonderen Reiz, aber er singt auch Opern. An der Staatsoper Hamburg ist er zum Beispiel im Dezember und Januar als Papageno zu erleben in Mozarts "Zauberflöte". Während der Proben stattet er uns einen Besuch ab und präsentiert zusammen mit dem niederländischen Pianisten Daan Boertien bei NDR Kultur EXTRA eine Auswahl seiner liebsten Weihnachtslieder. Ein Video des ganzen Konzerts gibt es auf ndr.de/extra und in der ARD Mediathek.
Dieses Weihnachtsalbum, was du mit den Regensburger Domspatzen aufgenommen hast, hat ein großes Spektrum an Musik. Wie hast du die Musik zum Album ausgewählt? Wie bist du vorgegangen?
Benjamin Appl: Es ist ein sehr persönliches Album, weil es Musik widerspiegelt, die über mein ganzes Leben eine wichtige Rolle spielte. Zum einen sind es bayerische Weisen: Musik, die ich zum Beispiel innerhalb unserer Familie gesungen hatte. Meine Mutter spielt leidenschaftlich Gitarre, nicht professionell. Wir haben viel gesungen, gerade rund um Weihnachten. Dann ist es Musik, die ganz wichtig war während meiner Zeit bei den Regensburger Domspatzen: Motetten, Lieder, die im Dom zu Regensburg aufgeführt wurden und alljährlich wirklich als Tradition immer wieder aus den Chorschränken geholt wurden. Zum anderen sind es auch englische Werke. Ich lebe seit knapp 15 Jahren in London. England hat eine ganz große Weihnachtstradition, etwas anders: Das Sentiment ist bei den Engländern um Weihnachten unterschiedlich zu den Deutschen. Aber sie haben ganz wunderbare Carols, also Weihnachtslieder. Es gibt John Rutter, der sehr viele Weihnachtslieder geschrieben hat. Von dieser Auswahl von englischer Musik ist auch einiges auf dem Album vertreten. Das Album ist eine Definition von meinem Weihnachten, wie ich es heute - 2024 - empfinde.
Die Zeit bei den Regensburger Domspatzen muss eine extrem wichtige Zeit für dich gewesen sein, oder?
Appl: Sicherlich, das ist eine wichtige Zeit, wo man zuerst als Knabenstimme natürlich seine eigene Stimme finden muss, wo man lernt, sich auf neue Kulturen einzustellen, wo man viel rumreist, wo man eine musikalisch gute Grundausbildung bekommt. Dann kommt natürlich die Zeit des Stimmbruchs, die sehr schwer ist, weil sich das Leben total umstellt, die aber auch sehr wichtig ist und man neue Interessen findet, wie Tanzkurse oder Fußball. Da macht man einen Schritt zurück. Man reift als junger Mann heran und muss seine Stimme wiederfinden, um als junge Männerstimme dort zu singen. Das waren Zeiten, wo ich mir lange überlegte, ob ich Sänger werden möchte. Ich hatte eine Banklehre gemacht, Betriebswirtschaft studiert. Trotzdem gründet diese Liebe zur Musik im familiären Musizieren, aber eben auch bei den Regensburger Domspatzen. Es hat mich dann doch zurückgezogen.
Du wirst im Februar ein Album rausbringen, wo du zwei Komponisten gegenüberstellt, nämlich György Kurtág, der ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten, er ist inzwischen 98 Jahre alt. Und den kombinierst du mit Franz Schubert. Wieso diese Verbindung?
Appl: Ich durfte Kurtág vor fünf Jahren kennenlernen. Er gilt als einer, der sehr viel von seinen Künstlern fordert. Ich war sehr nervös, als ich dort hin kam, um seine Werke für das Konzerthaus Dortmund zu erproben. Es ist ein Liederzyklus von ungefähr 14 Minuten. An dem arbeite ich jetzt seit fünf Jahren mit ihm. Ich bin alle sechs bis sieben Wochen in Budapest für drei bis fünf Tage. Ich weiß, dass ich diesen Liederzyklus nie mehr meinem Leben richtig singen werden kann, das habe ich festgestellt. Wir arbeiten oft für drei bis vier Stunden an einem Takt. Ich freue mich am Nachmittag, wenn ich zurückkomme, auf Takt zwei und er sagt zu mir: 'Fangen wir wieder von vorne an.' In dieser Sisyphusarbeit haben wir uns entschlossen, dass wir gemeinsam ein CD-Projekt machen: Schubert-Lieder, die wir über die Jahre aus Freude gemeinsam musizieren. Er sitzt am Klavier, ich singe dazu. Seiner Meinung nach haben diese Stücke einen gewissen Bezug zu seinen eigenen Werken und dementsprechend entstand dieses Projekt, dass wir über Monate jetzt in 2024 aufgenommen haben.
Daan, ihr jetzt habt so viele kurze Stücke zusammen gespielt. Wie ist es für dich, immer wieder umzuschwenken, ganz neue Atmosphären zu schaffen?
Daan Boertien: Das ist ganz spannend. Jedes Lied ist wie ein kleines Kunststück mit einer ganz anderen Welt. Mit der Einatmung schafft man eine ganz neue Welt. Das ist eine der Sachen, die ich so schön finde an Liedgesang, dass man in so einer kurzen Zeit so viel vermitteln kann. Dann ist es wieder weg und dann kommt das Neue. So entstehen Geschichten.
Ich beobachte euch hier im Studio und du atmest auch mit Benjamin, wenn du ihn begleitet und mit ihm zusammenspielst am Klavier.
Boertien: Ja, das ist, glaube ich, eine sehr wichtige Sache für Liedpianisten. Das Schöne beim gemeinsamen Musizieren mit Benjamin ist, dass jede Phrase wirklich in dem Moment kommt. Er gestaltet das in dem Moment, deswegen klingt es immer natürlich.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.