Nino Haratischwili im Gespräch über Solidarität mit Georgien
Die deutsch-georgische Theatermacherin Nino Haratischwili ruft zur Solidarität mit Georgien auf. Mit dem Theaterprojekt "Sacred Monsters" will sie Kolleginnen und Kollegen Mut machen und es beflügelt auch sie selbst.
In Georgien gehen seit Monaten Menschen auf die Straße und kämpfen für Demokratie im Land, für Menschenrechte und Freiheit. Den protestierenden Menschen wurde mit Gewalt begegnet. Vor wenigen Tagen hat die Wahlversammlung in Georgien den pro-russischen Micheil Kawelaschwili zum neuen Präsidenten gewählt - trotz großer Proteste. Nino Haratischwili hier im Gespräch mit NDR Kultur.
Frau Haratischwili, was in den Nachrichten berichtet wird über die aktuelle Situation in Georgien, verfolgen wir hier mit Sprachlosigkeit. Was hören Sie?
Nino Haratischwili: Ich habe das Gefühl, dass ich mittendrin bin, obwohl ich geografisch ziemlich weit weg bin. Seit Wochen tue ich nichts anderes, als diese Nachrichten zu verfolgen, mit meinen Freunden zu sprechen, auf den Demonstrationen hier in Berlin zu sein oder Veranstaltungen diesbezüglich zu organisieren. Ich fühle mich selbst extrem involviert, beteiligt, betroffen - also das ist nichts, was ich einfach mit einer Distanz verfolgen kann, weil wir alle wissen, wie viel auf dem Spiel steht. Es ist tatsächlich eine große, eine existenzielle Krise.
Wie ist die Stimmung in der Kulturszene?
Haratischwili: Die Kulturszene war mit als erste betroffen, also die Zensur fängt in dem Bereich zuerst an. Die Kulturszene war schon weit vor diesen Massenprotesten im Boykott: Literatur, Filmschaffende, jetzt mittlerweile auch Theater. Sehr viele Schauspieler, Musiker, auch Autoren, Kollegen von mir sind verprügelt oder in Gewahrsam genommen worden. Manche sind immer noch inhaftiert. Das erfüllt mich einerseits mit Stolz, gleichzeitig ist das natürlich unglaublich deprimierend und bedrückend.
Sie bitten jetzt Europa um Hilfe für Georgien, rufen zur Solidarität auf und haben ein Theaterprojekt ins Leben gerufen. Etliche Theater sind dabei. Das Thalia-Theater und das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg machen mit. Gestern haben bereits mehr als 30 Schauspielerinnen und Schauspieler in Hamburg unter Leitung von Jette Steckel geprobt. Auch am Deutschen Theater in Berlin wurde ihr Text einstudiert. Dort fand das Ganze unter ihrer Leitung statt. Wie haben Sie das gestern in Berlin erlebt?
Haratischwili: Es ist grundsätzlich extrem berührend. Ich habe das nicht als so ein großes Projekt angelegt. Die Idee kam auch erst am letzten Freitag. Es läuft am Deutschen Theater eine Inszenierung von mir, die zweisprachig ist, mit georgischen Kolleginnen. Das Deutsche Theater hat die Idee gehabt, dass wir irgendetwas dazu machen, dass wir vielleicht eine Podiumsdiskussion veranstalten. Ich hatte das Gefühl, weil ich ohnehin sehr viel darüber rede, auch in der Presse die letzten Wochen sehr präsent war, dass es mehr bringt, wenn man sich künstlerisch damit auseinandersetzt und vielleicht auch Solidarität den Künstlern gegenüber zeigt. Fast alle Theater sind jetzt gerade in Georgien im Boykott und streiken. Alle sind auf der Straße. Daraus ist dann diese wunderbare Sache entstanden. Jette Steckel hat auch sehr geholfen. Es wurde eine Gruppe gegründet und es haben erstaunlich viele Theater deutschlandweit oder eigentlich im ganzen deutschsprachigen Raum mitgemacht. Wien und Zürich sind auch mittlerweile dabei. Es ist eine Riesenwelle entstanden aus dieser ganz kleinen Bewegung. Hier bei uns waren auch Kollegen vom Berliner Ensemble dabei. Es sind sehr viele freie Schauspieler gekommen und haben uns unterstützt. Es wurde ein Monolog eingelesen und es wird alles aufgezeichnet. Gestern fand das gleiche auch in Tbilisi statt mit sehr vielen Schauspielern, die alle im Protest sind. Jetzt kommt das "Material" sozusagen langsam bei mir an. Bis zum Wochenende wollen wird die ganze "Ernte" haben. Dann wird daraus ein Video montiert und an georgische, vor allem oppositionelle Sender gesendet. Das war sehr, sehr berührend und ich fühle mich sehr dankbar. Ich glaube, das wird den Menschen da vor Ort auch sehr viel bedeuten.
"Sacred Monsters" heißt das Stück. Den Anfangsmonolog studieren alle ein. Haben Sie das jetzt extra hierfür geschrieben, oder unter welchen Eindrücken ist das entstanden?
Haratischwili: Nein, das Stück ist tatsächlich relativ frisch. Es ist diesen Frühling und Sommer entstanden und wurde noch nicht aufgeführt. Ich fand das einfach nur sehr passend. Es ist ein Stück über, wenn man so will, systemische Gewalt. Es hatten gerade bereits Massenproteste in Georgien begonnen, wegen des sogenannten Anti-Agenten-Gesetzes, das die georgische Regierung verabschiedet hat, entgegen unser aller Willen. Es gab sehr viele verschiedene Sachen, die mich beunruhigt haben. Aus dieser Verzweiflung heraus ist dieser Text entstanden. Er beginnt und endet mit einem Kinderchor. Dieser Text, den wir einstudiert haben, ist ursprünglich dafür gedacht, dass Kinder ihn sprechen, und zwar deshalb, weil immer, wenn ich auf diese Demonstrationen geguckt habe und auch immer noch gucke, wenn ich auf den Israel-Palästina-Konflikt oder auf die Ukraine gucke, es mich unglaublich deprimiert, dass man auf eine Art die Zukunft opfert. Ich fand es jetzt im Zuge dieser Aktion sehr passend, diesen Text zu wählen.
Sie setzen auf die Macht der Worte, vor allem auf die Macht der Kunst. Was lässt sie daran glauben?
Haratischwili: Ich glaube daran, weil ich dem ganzen diene und mich tatsächlich im Dienste dieser Kunst auch sehe und es als ein unglaubliches Privileg erachte, das tun zu dürfen. Ich bin nicht naiv und idealistisch genug, zu denken, dass Kunst etwas verhindern kann, aber sie kann Dinge verändern. Das glaube ich schon. Ich selber als Zuschauerin, als Zuhörerin, als Leserin, habe solche karthartischen Erlebnisse durchaus gehabt. Ich weiß, dass ich da nicht die Einzige bin. Ganz oft, wenn ich in so einen Nihilismus verfalle und mich frage: "Wozu das Schreiben? Wozu mache ich das alles, wenn sich doch so wenig ändert?", ermahne ich mich und sage "Was ist die Alternative?". Die Alternative ist: gelähmt sein, deprimiert sein und passiv werden und das ist keine Alternative. Dann merke ich, dass ich doch diese Kraft in mir finde oder finden will. Diese Aktion jetzt gibt mir wieder ein unglaublich starkes Gefühl und es motiviert mich, zu sehen, dass so eine Idee uns alle eint und uns alle Dinge miteinander teilen lässt - über so viele Städte, über so viele Länder verteilt. Jetzt fühle ich mich wieder sehr beflügelt durch die Aktion.
Die Theaterregisseurin, Dramatikerin und Romanautorin Nino Haratischwili, vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.