Cover: Ulf Küster Nordlichter © Hatje Cantz Verlag

Bildband "Nordlichter": Der Norden, das Licht und der Wald

Stand: 23.02.2025 06:00 Uhr

Die Ausstellung "Nordlichter" in der Fondation Beyeler in Riehen (Schweiz) widmet sich den nördlichen Landschaften und ihrer Darstellung rund um das Jahr 1900. Bei Hatje Cantz ist der gleichnamige Katalog dazu erschienen.

von Martina Kothe

Schillernd wie die Aurora Borealis, das Nordlicht: In orange, lila, gelb und rosablau spannt sich der Himmel über einem weiten Wasser. Darauf kleine Segelschiffe. Links vorne ein Baum, der in seinen weichen Linien vor Begeisterung über den Ausblick zu zerfließen scheint; ein weißes Geschlängel trennt ihn vom Nadelwald am Ufer. Es ist der Dampf einer vorbeifahrenden Lok. "Zugrauch" hat Edvard Munch denn auch das 1900 gemalte Bild genannt. Ein Ausschnitt des Gemäldes ist gleich auf dem Umschlag des so spannend wie schön gestalteten Buches.

Sichtweisen über den Wald

13 Künstlerinnen und Künstler, 13 Ansichten von Wald, Schnee und Wasser, 13 Leben und Sichtweisen von Kanada bis Russland - was für ein Projekt. "Jede Ausstellung ist als ein Vorschlag zu verstehen, und jede Ausstellung sollte eher Fragen stellen, als Antworten geben. Unser Vorschlag hier ist, sich der nordischen Kunst einmal nicht über kunsthistorische Kategorisierungen zu nähern. Wir verfolgen einen eher naturwissenschaftlichen Ansatz. (…) Den borealen Wald zu erleben, ist überwältigend, allein schon wegen seiner unermesslichen Gleichförmigkeit. Sich in ihm zu verlaufen, bedeutet den sicheren Tod, denn man findet nie wieder heraus. Der Wald scheint wie eine Folie, auf der sich das Bildgeschehen der nordischen Malerei abspielt", schreibt Kurator Dr. Ulf Küster in seiner Einführung. Der Ansatz, den er wählt, hat auch persönliche Gründe. Sein im letzten Jahr verstorbener Bruder Hansjörg Küster war Professor der Biologie und publizierte etliche Sachbücher über den Wald. Im Austausch mit ihm, so beschreibt es der Kurator, fanden zwei Sichtweisen über den Wald zusammen.

Träumerische Wald-Gemälde

Was aber machten die borealen Wälder mit den Künstlerinnen und Künstlern, die Anfang des letzten Jahrhunderts auszogen, um die Natur zu malen? Sie brachten sie zum Träumen: Da tänzeln orangefarbene Irrlichter zwischen den Stämmen bei Hilma af Klint, jener berühmten schwedischen Malerin, die in den vergangenen Jahren große posthume Anerkennung für ihre abstrakten Gemälde bekam. Der Kanadier Tom Thomson lässt verschneite Zweige, hellblau und fliederfarben, wie abstrakte Muster über dunklen, schmalen Stämmen schimmern. Und Harald Sohlberg, Maler und Grafiker aus Norwegen, schafft es mit spürbarer Freude, Akribie und Verspieltheit, dunkle Stämme, Ästchen und Zweiglein vor einen hellen Himmel zu setzen, sodass man beglückt jeder Linie folgt. Edvard Munch sah im Wald Vampire und düstere Schatten, und Emily Carr zerlegte den Forst in British Columbia in farbig schimmernde Linien und abstrakte Wellen.

Wälder, auch die scheinbar endlosen, borealen Wälder, sind heute gefährdeter denn je. Auch darauf gehen Buch und Ausstellung ein. So spannt die begleitende Auftragsarbeit von Jakob Kudsk Steensen mit dem Titel "Boreal Dreams" einen Bogen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.

Weitere Informationen
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Der Baum: Quelle allen Lebens

Die Natur war für die Künstlerinnen und Künstler des Nordens aber nicht nur ein Sehnsuchtsort, sie stand auch sinnbildlich für Werden und Vergehen. Die Kunsthistorikerin Angela Lampe schreibt: "Als Symbol für das nahende Verschwinden gilt die Darstellung des abgestorbenen Baums, die insbesondere skandinavische Maler anzog. In der nordischen Mythologie spielt der Baum eine wichtige Rolle: Der große kosmische Baum Yggdrasil (Esche, Eiche oder Eibe) ist der Pfeiler der Welt, die universelle Säule, die Quelle allen Lebens. Das Abbild sterbender, gefällter und entwurzelter Bäume ist daher kein Mahnmal für das Waldsterben oder zunehmende Umweltprobleme, sondern Ausdruck einer metaphysischen Angst - der Angst angesichts der Zerbrechlichkeit unserer Existenz."

Ein Fotoessay von Ulf Küster am Ende des Bandes zeigt mit historischen Aufnahmen eine weitere Facette der Natur im Norden. Sie war rauh, unwirtlich, konnte harte Arbeit bedeuten und hatte mit den Träumen jener Künstler meist wenig zu tun, die Wald, Wasser und Himmel als Folie für ihre Arbeiten nutzten. Dennoch: Es ist so schön wie schaurig, in diese gemalten Wälder einzutauchen.

Nordlichter

von Ulf Köster (Hrsg.)
Seitenzahl:
240 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Hatje Cantz
Bestellnummer:
978-3-7757-5914-4
Preis:
58 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonntag | 23.02.2025 | 12:20 Uhr

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