Julia Voss über die Erfinderin der abstrakten Kunst, Hilma af Klint
Im Gespräch beschreibt die Kunstgeschichtlerin Julia Voss, wie Hilma af Klint Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich früher als der russische Maler Wassily Kandinsky abstrakte Bilder gemalt hat.
Einfach in der Mitte des Lebens nochmal etwas ganz Anderes machen - diesen Lebenstraum hat sich Julia Voss erfüllt. Die Kunstgeschichtlerin und Professorin an der Leuphana-Universität in Lüneburg hatte sich bei einem Ausstellungsbesuch in die Bilder der schwedischen Malerin Hilma af Klint verliebt, kündigte daraufhin ihren Job als leitende Redakteurin bei der "FAZ" und widmet sich seitdem der Forschung an dem Werk der Malerin.
Mittlerweile gilt Julia Voss als die Expertin für die schwedische Malerin, bewertet Bilder und berät zum Beispiel das Museum of Modern Art in New York beim Ankauf neuer Bilder. Aktuell läuft eine von Julia Voss kuratierte Ausstellung mit Bildern von Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf.
Frau Voss, können Sie die Faszination Hilma af Klint beschreiben? Ich glaube, es sind die Formen, die Farben - es ist eigentlich alles, oder?
Julia Voss: Hilma af Klint hat vor vielen anderen Künstlern angefangen, abstrakt zu malen. Das hat sie in den Jahren 1906/07 begonnen und gleich in sehr leuchtenden Farben und dann auch in riesigen Formaten. Das ist besonders beeindruckend, wenn man davor steht: Das ist eine ganz eigentümliche Formenwelt, eben abstrakt, man weiß nicht genau, womit man es zu tun hat. Aber man hat das Gefühl, man wird durch diese großen Formate und auch durch ihre ungewöhnliche Entscheidung, immer in Serien zu malen, in etwas hineingesaugt. Das heißt, wir haben es nicht mit Einzelwerken zu tun, sondern wir haben es immer mit einer Reihe von Werken zu tun, und die produzieren zusammen einen ganz eigenen Tanz, einen Rausch, eine eigene Welt. Das schlägt einen ganz schön in den Bann, wenn man davor steht.
Das spricht einen auch emotional an, oder?
Voss: Ja, so ist es mir gegangen, und ich glaube, das geht vielen Menschen so. Sie ist inzwischen auch an vielen Orten dieser Welt gezeigt worden, nicht nur in Europa, sondern zum Beispiel auch in Südamerika, in Brasilien, und da waren die Leute auch sehr bewegt. Ich glaube, es gibt tatsächlich etwas in dieser Formsprache, die sie entwickelt, das einen emotional anspricht, das offensichtlich auf vielen Ebenen funktioniert und sich auch mit vielen verschiedenen Traditionen verknüpfen kann.
Das war wie so ein ungehobener Schatz. Viele Künstlerinnen werden jetzt erst berühmt, aber bei Hilma af Klint war es so, dass sie sogar verfügt hat, dass ihr Werk erst 20 Jahre später überhaupt gezeigt werden darf. Ein Neffe hatte die Aufgabe, das irgendwo aufzubewahren. Was hat sie dazu bewogen? War die Gesellschaft noch nicht so weit?
Voss: Ja. Tatsächlich haben Sie mit der Formulierung "Schatz" den Nagel auf den Kopf getroffen. Es ist wirklich eine Schatzkiste, und dieser Schatz ist in vielen Kisten aus einer Zeit hinauskatapultiert worden in eine Zukunft - so hat sie sich das vorgestellt. Anfang der 30er-Jahre war sie um die 70, und sie hat da verfügt, dass ihre Werke erst 20 Jahre nach ihrem Tod wieder gezeigt werden dürfen. Das war eine Entwicklung, die sie dahin gebracht hat. Sie hat dieses monumentale, große, farbenfrohe, freudige, jubilierende Werk geschaffen und musste feststellen, dass ihre Zeitgenossen davon nicht so begeistert waren.
Sie hatte immer ein enges Umfeld von vor allen Dingen Frauen, die sie sehr unterstützt haben, aber der Schritt in die Öffentlichkeit war sehr schwer. Sie hatte mehrere Anläufe unternommen, und das hat irgendwann dazu geführt, dass sie diese Versuche eingestellt hat und daraus nicht den Schluss gezogen hat, etwas falsch gemacht zu haben, sondern den Schluss: Meine Gegenwart macht das falsch, die sind nämlich nicht bereit für mein Werk. Und zukünftige Generationen werden mehr Freude daran haben. Sie hat Recht behalten: Die Schätzung 20 Jahre hat nicht ganz gestimmt - es hat fast 70 Jahre gedauert, bis sie tatsächlich eine große Öffentlichkeit gefunden hat. Aber ihre Einschätzung, dass sie in ihrer Zeit mit diesem Werk nicht durchkommt, war richtig.
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