Cover des Buches "Das mangelnde Licht" von Nino Haratischwili © Frankfurter Verlagsanstalt

"Das mangelnde Licht": Furioser Roman von Nino Haratischwili

Stand: 25.02.2022 06:00 Uhr

Sie sind Ziegelstein-dick, die in Georgien spielenden Romane von Nino Haratischwili. Im Februar erschien "Das mangelnde Licht" - rund 830 Seiten stark und keine Seite zu lang.

von Katja Weise

Es ist ein Roman, der verschlungen werden will und der verschlingt. Nino Haratischwili erzählt so lebensprall und schonungslos, so mitreißend und dicht, dass, wer nachts nicht mehr liest, noch lange wachliegt. Wieder sind es Frauen, die im Mittelpunkt der Geschichten stehen, vier Freundinnen: Dina, Keto, Nene und Ira. Sie spüren früh, dass sie in ihrem "Zusammenhalt eine unzerstörbare Kraft bildeten, eine Gemeinschaft, die vor keiner Herausforderung mehr zurückschrecken würde."

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"Das mangelnde Licht" spielt zur Zeit der Auflösung der Sowjetunion

Eine wird sein, sich im Laufe der Jahre nicht zu verlieren. Die Wohnungen, in denen sie in Tbilissi - der georgische Name für Tiflis - aufwachsen, liegen dicht um einen Hof geschachtelt. Von hier gehen die Mädchen zusammen zur Schule - fast eine Idylle. Dann kommt die Auflösung der Sowjetunion. 1991 die Unabhängigkeit Georgiens, wenig später der Sturz des ersten frei gewählten Präsidenten. Es folgen Bürgerkrieg und Chaos. Der Riss geht teilweise durch die Familien, kriminelle Banden bekämpfen sich auf der Straße mit Messer und Gewehr. Irgendwann kommen die Drogen dazu, Heroin:

"Es hat alles irgendwie betroffen", erinnert sich Haratischwili an diese Zeit: "Jeder hat mal jemanden gekannt oder gehabt, der im Krieg gefallen ist oder einem anderen Gewaltakt zum Opfer. Sehr stark war auch dieses Drogenproblem, was fast zwei Generationen ausgerottet hat, diese omnipräsente Gewalt war schon sehr präsent." Davon erzählt Nino Haratischwili. Von Mord, Kälte und Todesangst, von Zwangsverheiratung und Vergewaltigung, von Menschen, die ein Menschenleben kaum noch wertschätzen. Das ist nicht immer leicht auszuhalten, und doch möchte man keine Seite missen.

Eine Fotoausstellung zeigt die Gewalt in den Straßen von Tbilissi

2019 treffen Keto, Nene und Ira nach Jahrzehnten in Brüssel wieder zusammen, anlässlich einer Ausstellungseröffnung. Gezeigt werden Schwarz-Weiß-Fotos von Dina, der kompromisslosesten, lebenshungrigsten der drei, die die Freundinnen mit Macht zurückkatapultieren in die Vergangenheit. Keto, aus deren Perspektive Haratischwili erzählt, ringt um Fassung:

"Ich habe so lange um meine Sicherheit gerungen, habe mir mit fast militärischer Disziplin das Gewesene ausgetrieben und gehe nun hier durch diesen Saal, (..) durchquere diese überdimensionierten, glanzvollen Räume und versuche mein Bestes, die Erinnerungen die mich wie hungrige Affen von der Seite anspringen, abzuwehren. " Zitat aus "Das mangelnde Licht"

Dina hat die Gewalt in den Straßen von Tbilissi eingefangen und später als Kriegsreporterin aus Abchasien und Südossetien berichtet. Irgendwann hielt sie es dann nicht mehr aus. Doch auch den anderen hat das Leben hart mitgespielt. Mit Keto erinnern wir uns, werden als Leserin, als Leser Teil dieser Geschichte, tauchen ausgehend von Dinas Bilder ab in ein zerrissenes, durch brutale Männer geprägtes Land - in dem die Liebe oft keine Chance hat.

Nino Haratischwili leuchtet gekonnt die Abgründe aus

Nino Haratischwili liebt das große Gefühl, die Leidenschaft, aber auch die Zärtlichkeit, von der Ketos Liebe zu ihren beiden Großmüttern durchdrungen ist. Die sich auch findet in kleinen Szenen wie dieser: Im klirrend kalten Bürgerkriegswinter sitzt ein kleines Mädchen mitten im Zimmer auf einer Leiter und lernt, weil es unbedingt über Hölderlin promovieren will. Ähnlich hat es die Autorin selbst erlebt – mit einer Freundin: "Ich kam rein und fand sie nirgends und dachte: Wo ist sie?" erinnert sich Haratischwili: "Und dann sah ich diese Leiter, hob meinen Blick und sah, dass sie in einem Schneeanzug eingepackt da oben saß. Wir waren, ich glaube, so acht, neun, und dann kam die Großmutter und brachte auch mir einen Schneeanzug und meinte: Da oben ist es wärmer."

"Das mangelnde Licht" ist ein furioser Roman, in dem viel Schatten ist, in dem Haratischwili Abgründe gekonnt ausleuchtet, doch das Licht geht trotzdem nicht aus. Wie schon in "Das achte Leben" webt sie ihre Geschichten zu einem großen Teppich mit faszinierendem Muster, und am Ende wird es tatsächlich hell.

Das mangelnde Licht

von Nino Haratischwili
Seitenzahl:
832 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Frankfurter Verlagsanstalt
Veröffentlichungsdatum:
25. Februar 2022
Bestellnummer:
978-3-62-7002930
Preis:
34,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 25.02.2022 | 12:40 Uhr

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