Faisal Hamdo steht im Hamburger Hafen. © Claudia Höhne
Faisal Hamdo steht im Hamburger Hafen. © Claudia Höhne
Faisal Hamdo steht im Hamburger Hafen. © Claudia Höhne
AUDIO: Faisal Hamdo über die Rückkehrdebatte und Syriens Zukunft (7 Min)

Syrischer Autor Faisal Hamdo: "Debatte über Rückkehr macht uns traurig"

Stand: 18.12.2024 13:46 Uhr

Faisal Hamdo lebt seit 2014 in Deutschland. Am 8. Dezember wurde das Assad-Regime in Syrien, vor dem er einst floh, gestürzt. Was bedeutet das für ihn? Darüber hat NDR Kultur mit ihm gesprochen.

"Fern von Aleppo. Wie ich als Syrer in Deutschland lebe" heißt das Buch, das Faisal Hamdo 2018 veröffentlicht hat. Er erzählt darin vom Ankommen in Deutschland nach seiner Flucht aus Syrien 2014. Seit 2016 ist Faisal Hamdo am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf tätig, inzwischen als Leitender Physiotherapeut. Im Interview mit NDR Kultur äußert sich Hamdo über die aktuellen Entwicklungen in Syrien.

Guten Morgen, Herr Hamdo. Es ist jetzt zehn Tage her, dass die Meldungen über die Ticker gegangen sind, dass das Regime ist gestürzt und Assad Syrien verlassen hat. Wie war das für Sie, als Sie davon erfahren haben?

Faisal Hamdo: Der Moment war und ist immer noch der Moment der Freude, der Moment des Glücks. Wir können bis jetzt nicht begreifen, können es uns nicht vorstellen, dass dieser schreckliche Krieg, den Assad gegen das eigene Volk geführt hat, beendet wurde und dass das Regime gestürzt ist. Wir freuen uns, aber wir sind natürlich besorgt, wie sich die Lage weiter entwickelt. Wir sind aber natürlich auch voller Hoffnung.

Sind sie in Kontakt mit Familie oder Freunden vor Ort?

Hamdo: Ja, mit viel mehr als während des Krieges, weil die Freunde und die Familie, die in Syrien noch geblieben sind, sich vor dem 8. Dezember nicht trauten Kontakt aufzunehmen - zu uns Geflüchteten oder Regimegegner im Ausland zu kontaktieren. Nach dem Sturz des Regimes haben wir intensiver Kontakt und sprechen über alles. Die Menschen, die dort sind, freuen Sie sich wirklich sehr und sind gespannt auf die Entwicklung.

Sie selbst sind leitender Physiotherapeut am UKE und gefeierter Buchautor. Man kann wahrscheinlich gar nicht besser integriert sein, als sie es sind. Ist es für sie klar, dass sie in Deutschland bleiben, oder ist Rückkehr auch ein Gedanke, mit dem sie spielen?

Hamdo: Diese Frage bekomme ich häufig gestellt, fast jedes Jahr und mit jeder kleinen Entwicklung in Syrien. Man kann sie nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Das hängt von vielen Faktoren ab. Ich habe mir vor dem Krieg 2014 nie vorgestellt, dass ich Syrien verlassen werde. Aber irgendwann schickte mich das Schicksal nach Deutschland. Ich habe hier in Deutschland eine neue Heimat, eine zweite Heimat gefunden. Ich habe meine Zukunft hier. Mittlerweile habe ich eine Familie gegründet. Deswegen kann ich diese Frage nicht konkret mit Ja oder Nein beantworten. Das hängt von vielen Faktoren ab, sowohl von der familiären Situation, als auch von der politischen Entwicklung - sowohl hier bei uns in Deutschland als auch in Syrien.

Was mir klar ist und feststeht, dass ich mich aktiv an dem Wiederaufbau Syriens beteiligen werde. Zurzeit erstelle ich ein Konzept für medizinische Einrichtungen, gemeinsam mit einigen syrischen Freundinnen und Freunden, die überwiegend auch im medizinischen Bereich tätig sind. Die meisten leben hier in Deutschland, und unsere Vorstellung ist eine medizinische Einrichtung für Rehabilitation, also für Kriegsverletzte zu gründen und diese Kriegsverletzten zu unterstützen. Denn fast alle Syrerinnen und Syrer, die verletzt wurden im Krieg, hatten andere Prioritäten, als sich physiotherapeutisch oder psychologisch behandeln zu lassen.

Unsere Überlegung ist, dass die hier in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrer, die voll integriert sind, gemeinsam vielleicht auch mit dem deutschen Staat sich aktiv an dem Wiederaufbau Syriens beteiligen werden. Ich bin der Meinung, dass gerade Deutschland, das nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Wiederaufbau des Landes sehr gute Erfahrungen gemacht hat, Syrien in diesem schwierigen Prozess unterstützen beziehungsweise begleiten kann.

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Was hat das mit Ihnen gemacht, dass auf politischer Ebene nur Stunden nach den ersten Eilmeldungen schon über eine Rückkehr für syrische Geflüchtete debattiert wurde?

Hamdo: Ich bin gegen jegliche Pauschalisierung. Das heißt, man muss immer individuell gucken und jeder Mensch soll selber entscheiden dürfen, ob er hier bleiben möchte oder nicht, insbesondere diejenigen, die hier angekommen sind. Diese Frage hat mich, um ehrlich zu sein, Stunden nach dem Sturz des Regimes sehr traurig gemacht, genauso wie alle anderen Syrer. Wir waren noch am Feiern, waren auf einer Kundgebung anlässlich des Sturzes des Assad-Regimes und der Befreiung Syriens. Dann lesen wir in den Nachrichten, dass über Rückkehr gesprochen wird. Dass Jens Spahn über Prämien gesprochen hat, fast 1.000 Euro pro Person, die zurückkehren möchte. Das macht uns wirklich sehr, sehr traurig.

Ich rede viel mit meinen syrischen Freundinnen und Freunden, die hier in Deutschland Fuß gefasst haben. Sie sagen, wir sind endlich hier angekommen. Und dann fühlen wir uns doch nicht willkommen. Der deutsche Staat hat viel daran gearbeitet, um diese Menschen zu integrieren. Wir brauchen diese Menschen, wenn ich mir Kliniken angucke oder in anderen Branchen, wo viele Menschen aus Syrien aktiv arbeiten und natürlich auch als Steuerzahler. Dass man einerseits diese Menschen, die angekommen sind, integriert sind und auf dem Arbeitsmarkt tätig sind, zurückschickt, um Fachkräfte aus dem Ausland zu holen. Das ist für mich ein Widerspruch.

Herr Hamdo, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

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