von Mathias Heller

Als am 11. März 2011 die japanische Ostküste von einem Erdbeben der Stärke 9 und einem Tsunami getroffen werden, ist Bea Davies gerade in Kolumbien. "Ich habe diese Bilder aus dem Hubschrauber gesehen, die live gestreamt wurden", erinnert sich die in Italien geborene Autorin und Zeichnerin. Von Tsunamis hatte sie eigentlich ein ganz anderes Bild. "Man sieht in apokalyptischen Filmen diese riesige Surferwelle, aber so war das nicht. Die Welle, die man gesehen hat, war diese schwarze Wassermasse, die aber nicht nur aus Wasser bestand, sondern aus Häusern, Autos, Erde und allem, was es mit sich genommen hat. Das habe ich nie vergessen." 

Eine Tsunami-Welle in Japan, ein normaler Tag in Berlin 

Dieses Nichtvergessen beschäftigt Bea Davies jahrelang - und ist schließlich in ihre Graphic Novel "Supergau" gemündet. "Es ist das Ergebnis von vielen Jahren Leben, Erfahrungen und Trial and Error", so die Autorin. 

Das Buch beginnt mit der Riesenwelle, die über eine Stadt hereinbricht, mit jetzt noch ungeahnten Folgen. Dort ist es eine Jahrhundertkatastrophe - hier in Deutschland, genauer gesagt in Berlin, etwa 10.000 Kilometer entfernt, beginnt dieser 11. März wie jeder andere Tag. Es ist Freitag und die Hauptfigur Lea wird an diesem Tag 18 Jahre alt. Lea hat blasse Erinnerungen an ihre Mutter, wächst beim Großvater in Kreuzberg auf. Sie jobbt in einer Notunterkunft für Obdachlose - wie auch die Autorin Bea Davies. Hier hat Lea Kontakt zu Menschen, deren Leben ebenso aus den Fugen geraten ist wie die Erdplatten in Japan. So bleibt sie nicht die einzige Figur, deren Leben wir im Buch begleiten. Da gibt es Nacho, den vom Leben und der Großstadt deprimierten Nachdenker; Josie, seine Ex, die auch Leas Sozialarbeiterin ist, und noch einige andere Personen. 

"Supergau": Alles ist verbunden  

Davies beschreibt und begleitet die Situationen dieser Menschen. So folgen wir ihnen durch die Stadt, in ihre Wohnungen oder an die Spree. Immer wieder wechselt Davies die Erzählebenen und zeigt dabei, dass alles und alle miteinander verbunden sind - in ihrer Einsamkeit, Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Empathie und dem täglichen Überlebenskampf. "Die Grundthemen von 'Supergau' begleiten mich schon sehr lange, eigentlich seitdem ich hier in Berlin bin", erklärt Davies. "Manche dieser Geschichten habe ich selbst erlebt, manche habe ich auf der Straße gesehen, manche Figuren wurden tatsächlich von Menschen, die es gibt, inspiriert."

Wie in einem Episodenfilm liegen die Geschichten am Anfang wie einzelne Fäden auf dem Boden und verweben sich im Lauf des Geschehens miteinander. Das ist nicht nur intelligent gemacht, sondern auch in ihren Schwarz-Weiß-Zeichnungen großartig gelöst. Sie wirken nie schwer, eher luftig und offen. So folgt auch das Layout keinem festen Schema: Klare Panels werden durch rahmenlose Bilder begleitet. Auch betrachten wir nur das Geschehene - viele Worte braucht es nicht.

Bea Davies: Inspiriert von Anfang an  

Dass Zeichnen mehr sein kann als bloßes Handwerk, hat die "Supergau"-Autorin schon früh gelernt: "Mein Vater hat Illustration studiert, meine Mutter war Tänzerin und dann haben sie gemeinsam eine Puppentheater-Kompanie gegründet. Meine Tante war Malerin, mein Opa war auch Maler. Ich hatte rundherum immer Inspiration und ich habe nie aufgehört, zu zeichnen."

"Supergau" will nichts und schafft doch so viel, weil es das Leben zeigt - mit all seinen Tiefschlägen und plötzlichen Veränderungen, Überraschungen und Enttäuschungen. Die Grundidee, die vielen Umstände und Zufälle des Lebens zwischen zwei Buchdeckel zu bannen, ist nicht neu. Doch dies so eindrucksvoll, leicht und dennoch mit ungeheurer erzählerischer Tiefe zu erzählen, ist hervorragend gelungen.

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