Westfälischer Friede: Vorbild für ein Ende des Ukraine-Kriegs?
Vor 375 Jahren wurde der Westfälische Frieden, ein einzigartiger Friedensvertrag, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, ausgehandelt. Was können wir von damals für die aktuelle Situation in der Ukraine ableiten?
Der Dreißigjährige Krieg, der 1618 mit dem Fenstersturz von Prag begann und erst 1648 durch den Westfälischen Frieden ein Ende fand, war der erste große Krieg in Europa. Fünf Jahre lang war zwischen den Kriegsparteien in Münster und Osnabrück verhandelt worden, während der Krieg weitertobte. Ein Krieg, der beides war: Religionskrieg und Territorialkrieg. Siegrid Westphal hat einen Lehrstuhl für Geschichte der frühen Neuzeit an der Uni Osnabrück und ist kulturhistorische Friedensforscherin. Ein Gespräch.
Frau Westphal, was ist am Westfälischen Frieden so besonders, so historisch bedeutsam, dass wir ihn 375 Jahre später noch groß feiern?
Siegrid Westphal: Zunächst einmal gibt es gar nicht so viele erfolgreiche Friedensschlüsse. Der Westfälische Frieden hat es wirklich geschafft, eine extrem komplexe Krisenlage in dieser Zeit zu klären und diese eng miteinander verflochtenen Krisenherde in Europa und im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation weitestgehend zu entflechten. Er ist im Großen und Ganzen gelungen, er konnte drei Krisenkriege lösen. Ein einziger Krieg konnte nicht geklärt werden: der Französisch-Spanische Krieg, der noch bis 1659 ging. Aber im Großen und Ganzen war es ein erfolgreicher Frieden, eine sehr gute Lösungsstrategie.
Können Sie diese Lösungsstrategien genauer beleuchten? Wie hat man das damals gemacht?
Westphal: Man hat fünf Jahre lang verhandelt. Das ist etwas, was man sich heute vor Augen führen muss: dass ein komplexer und schwieriger Krieg nicht innerhalb von wenigen Tagen gelöst werden kann. Man hat sich die Zeit genommen, die beteiligten Mächte haben Gesandte abgeschickt, die dann teilweise fünf Jahre in der Region gelebt haben, ihre Frauen haben nachkommen lassen und so weiter. Man hat diese Friedensgespräche sehr ernst genommen und hat sich Zeit dafür gelassen.
Bei den Lösungsstrategien ging es eigentlich nach Trial and Error: Man hat im Prinzip ganz vieles versucht. Man geht bei Verhandlungen auf der eigenen Seite immer vom Maximum aus und will auf der Gegenseite das Minimum erreichen. Im Endeffekt ist es dann ein mühsames, sehr kleinschrittiges Aufeinanderzugehen. Im besten Fall trifft man sich in der Mitte und findet eine Lösung, die für beide Seiten ehrenvoll und annehmbar ist.
Haben die Erfahrungen vom Westfälischen Frieden und die damaligen Verträge bei der Lösung von späteren Konflikten weiter geholfen?
Westphal: Der Westfälische Frieden ist einer der wenigen Frieden, die zu einem Referenz-Frieden wurden, zumindest bis 1806, bis das Heilige Römische Reich Deutscher Nation endete. Der Westfälische Frieden ist bei allen folgenden Friedensschlüssen immer wieder herangezogen worden, man hat ihn dann auch in die neuen Friedensinstrumente aufgenommen und ihn dort wiederum bestätigt. Man ist aber nicht stehengeblieben beim Westfälischen Frieden, sondern musste immer auf die einzelne Konfliktlage eingehen und hat dann Weiterentwicklungen vorgenommen.
Sie haben gesagt, dass keine der Parteien ihre Ehre verlieren darf. Gibt es so etwas wie allgemeingültige Regeln für das friedliche Beenden eines Kriegs, die über zeitliche und geografische Grenzen hinaus wirksam sind?
Westphal: Auf jeden Fall. Das ist kein Regelwerk, aber es gibt so etwas wie "allgemeine Weisheiten". Man braucht für einen Friedensschluss den uneingeschränkten Willen zum Frieden. Man muss auch bereit sein, Kompromisse zu schließen. Das alles setzt voraus, dass man Vertrauen hat in den Verhandlungspartner. Wenn dieses Vertrauen nicht da ist, dann muss Vertrauen erst mal aufgebaut werden. Im Endeffekt braucht man auch immer den Mut zu unkonventionellen Lösungen. Man darf sich nicht sklavisch an das, was man mal erreichen wollte, und auch nicht an die Verhaltensregeln halten, sondern man muss flexibel bleiben und auch auf die anderen Konfliktparteien eingehen. Das sind ganz wichtige Regeln, die man über die Zeiten hinweg beherzigen muss.
Können wir von damals etwas für die aktuelle Situation in der Ukraine ableiten?
Westphal: Zumindest kann man, wenn ich die Regeln anwende, sagen: Ich persönlich erkenne momentan auf beiden Seiten keinen Friedenswillen. Da gibt es immer noch diese Kriegsrhetorik der Eroberung. Ebenso gibt es auch kein Vertrauen. Die Friedensforschung hat festgestellt, dass es ganz wichtig ist, Vertrauen in die Gegenseite zu haben, dass sich auch an bestimmte Versprechungen gehalten wird, die gemacht werden. Das kann ich auch nicht feststellen. Zurzeit befindet sich der Krieg aus meiner Sicht in einer Phase, in der jede Seite den Krieg gewinnen will und dann mit dem Sieg im Rücken einen Frieden schließen möchte.
Was mir auch im Vergleich zu anderen Friedensprozessen aufgefallen ist: Üblicherweise sollte parallel zum Kriegsgeschehen immer die Gesprächsbereitschaft vorhanden sein und auch die Bereitschaft, Bedingungen für Friedensgespräche zu sondieren. Es gab immer wieder Anläufe, die aber abgebrochen worden sind. Daran müsste jetzt dringend gearbeitet werden. Der türkische Präsident Erdoğan tut hier einiges, auch von der UNO gibt es Bemühungen, aber eventuell muss man diese Bemühungen durch Vermittler deutlich verstärken, um überhaupt wieder die Gesprächsbereitschaft herzustellen, zumindest mal darüber nachzudenken, einen Friedenskongress einzuberufen und zu überlegen, was die Voraussetzungen wären, um zu einem vernünftigen Frieden zu kommen.
Und das war 1643, als die Verhandlungen begannen, anders? Waren alle am Frieden interessiert oder hat sich das auch erst entwickelt? Der Krieg war ja noch in vollem Gange.
Westphal: Da hatte man eine relativ ähnliche Situation: Auch wenn man ab 1643 den Frieden verhandeln wollte, gab es damals noch die Bemühungen, auf dem Schlachtfeld möglichst günstige Bedingungen für einen Friedensschluss zu erzielen. Das hat sich aber im Verlaufe des Kongresses gewandelt, weil vor allem eine Partei, nämlich die kaiserliche Seite, relativ viele Niederlagen hinnehmen musste und deutlich geschwächt war. Vor dieser Konstellation, dass die ganzen Fürsten, Kurfürsten und Städte des Reiches diesen Krieg auch nicht mehr länger tragen wollten und die Friedenssehnsucht sehr groß war, hat man Druck auf den Kaiser ausgeübt und Frankreich und Schweden sind als Verhandlungspartner mit eingestiegen. Und da war der Wille dann da. Es haben sich also während dieser Friedensverhandlungen die Rahmenbedingungen verändert, die den Frieden im Endeffekt befördert haben.
Das Interview führte Eva Schramm.