Eine Frau mit dunklen Haaren und dunkler Brille hält ein Buch und steht neben einer Frau mit kurzen hellen Haaren und Brille (Buchautorin Rebecca Spilker, links, steht neben NDR Redakteurin Alexandra Friedrich) © NDR Screenshots
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AUDIO: Selbstironisch, pointiert, radikal ehrlich: "MEGA!" von Rebecca Spilker (5 Min)

"MEGA!" von Rebecca Spilker: "Streit ist sozusagen mein Sport"

Stand: 10.04.2025 10:45 Uhr

Mit 56 Jahren das erste Buch veröffentlichen und das breitschultrig "Mega!" nennen. Darin rechnet die Autorin mit allem und jedem ab, der, die oder das sie nervt. Das hat gerade die Hamburger Autorin Rebecca Spilker vollbracht. 

Rebecca Spilker ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Hamburger Sub- und Popkultur, bekannt für ihren kritischen Geist und ihre Angriffslust. Eigenschaften, die sie auch in ihrem neuen Buch unter Beweis stellt.

"Ich streite mich wahnsinnig gerne, was bei mir aber nicht bösartig gemeint ist, sondern ich freue mich auch, wenn man dann wieder zusammen ein Schnäpschen trinken kann. Aber der Streit ist sozusagen mein Sport."

Spilker betreibt diesen Sport seit vielen Jahren auch in Form von Buchstaben auf Papier. Ihre Texte sind weder sachliche Analysen noch Lobhudeleien. Die Autorin liebt Schimpftiraden. "Irgendwann ploppt so etwas auf wie eine Wut oder ein Unverständnis bestimmten Umständen gegenüber, Umständen des Lebens oder der Entwicklungsphasen, die man durchmacht. Bei mir ist es so, dass ich es eher rauslasse. Ich versuche es humorvoll zu tun."

Facebookposts werden zum ersten Buch von Spilker

In den sozialen Medien hat sie eine große und treue Leserinnen- und Leserschaft. Der Ventil Verlag wurde aufmerksam und fragte Spilker, ob sie ihre Facebookposts, diese Zeugnisse eines sterbenden Mediums, unvergänglich machen, auf Papier drucken und zwischen zwei Buchdeckel packen möchte. Gefragt, getan.

Lästern über misogyne Figuren der Popmusik-Welt wie Rammstein

"Mega!" ist nun das erste Buch von Rebecca Spilker. Sie lästert etwa über den aus ihrer Sicht scheinheiligen, überheblichen und zu Unrecht gehypten Benjamin von Stuckrad-Barre. Oder schießt gegen die misogynen Figuren der Popmusik-Welt, die ihre Macht und mitunter auch ihre Fans missbrauchen. Rammstein fällt hier als aktuelles, aber eben nur eines von vielen Beispielen für ein System der Groupiekultur - so alt wie die Geschichte der Popmusik und scheinbar unausrottbar. Um diesen "toxischen Teich" trocken zu legen, will Spilker auch die Frauen in die Verantwortung nehmen, sie aus der reinen Opfer-Erzählung herausholen. 

An all dem wird sich nichts ändern, solange wir Frauen nicht ehrlich und selbstkritisch auf uns schauen und damit aufhören, die Kaltmamsell am Sex-Buffet zu geben, wo auch immer es steht, in Redaktionen, Universitäten oder Backstage. Bleiben die Leckereien nämlich endlich mal aus, wird sich auch das sexuelle Machtgefälle hinter der Bühne ändern, was ja richtigerweise gerade gefordert wird. Leider müssen die Frauen diesen Job erledigen. Schon wieder.

Abrechnung mit Männern, Frauen und sich selbst

Rebecca Spilkers Buch "Mega!" ist sowas wie eine Abrechnung mit Männern, Frauen und sich selbst, aber auch mit Winnetou und Gentrifizierung, AfD und Impfgegnern. Die Hamburgerin öffnet aber nicht nur ihre persönliche Sicht auf wichtige Debatten-Themen der vergangenen Jahre, sondern erzählt auch offenherzig aus ihrem Privatleben - als Frau mittleren Alters, als Mutter und als Partnerin eines mitunter umschwärmten Popmusikers (Sterne-Sänger Frank Spilker). Sie schreibt aber auch über die mangelnden Stilsicherheit in Modefragen, popmusikalischen guilty pleasures oder ihrer über lange Zeit vernachlässigten Intimpflege. 

Verrückt - der zarteste, weiblichste Bereich des Rebeccabodys hatte sein bisheriges Dasein in einer dunklen Höhle aus Bakterien, Sekreten und totaler Trockenheit fristen müssen, müffelte und runzelte beharrlich vor sich hin und war nur ab und zu gelüftet, ausgewickelt, betastet und aufgefüllt worden. Und das alles nur aufgrund von Faulheit.

Geschlechtskrankheiten, Verwechslungen von Sexualpartnern, alternde Brüste - kein Thema ist Rebecca Spilker zu persönlich oder zu peinlich. "Ich bin auch eher so gagig und zotig unterwegs. Ich beschränke mich jetzt nicht auf bestimmte Themen, und ich bin auch nicht delikat mit bestimmten Sachen, sondern wenn ich ein Thema aufstöbere und mich das interessiert und ich es irgendwie extrem merkwürdig oder lustig finde, dann beschreibe ich das auch." Sie denke nicht darüber nach, ob das irgendwie anstößig sein könnte. 

Schmerzbefreitheit hilft Rebecca Spilker beim Schreiben

Rebecca Spilker lebt ungeniert. Und das erst recht, seit sie in die Wechseljahre hinein und durch sie hindurchgekommen ist. "Diese ganzen körperlichen Malaisen und dieser ganze Stress, den man vielleicht hat mit extremen Hitzewallungen, das habe ich bereits hinter mir gelassen. Was jetzt bei mir übrig geblieben ist, ist Schmerzbefreitheit. (…) Das hilft natürlich jetzt im kreativen Prozess oder auch beim Schreiben enorm, weil dieses Angst-Gummiband, was einen immer so zurückzieht, das ist bei mir nicht mehr da."

Deshalb hat sie erst jetzt dieses Buch geschrieben, mit Mitte 50. "Jetzt habe ich eine Idee, und jetzt habe ich eine Sichtweise, und jetzt habe ich einen Ton, und er ist jetzt da. Jetzt mache ich das."

Themenauswahl im Buch wirkt willkürlich

Rebecca Spilker musste erst ihre Stimme entwickeln, und die ist selbstironisch, pointiert und radikal ehrlich. Die Themenauswahl wirkt mitunter etwas willkürlich. Mancher Text ist kein Volltreffer - etwa die nicht sonderlich originelle Wutrede über den Böller-Wahn deutscher Männer. Aber wer mal wieder die ganze Palette der Gefühle bespielt haben möchte, kommt hier zum Zug. Rebecca Spilkers klare Kommentare erzeugen klare Reaktionen. Hier ein herzhaftes Lachen und da ein verzweifeltes Kopfschütteln. Man kann sich an den Texten reiben, vehement widersprechen oder auch mal genervt oder gelangweilt weiterblättern. Das alles ist erlaubt. Das alles ist gut. Das alles ist mega!

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Mega!

von Rebecca Spilker
Seitenzahl:
176 Seiten
Verlag:
Ventil Verlag
Veröffentlichungsdatum:
14.03.2025
Bestellnummer:
978-3955752446
Preis:
18 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 10.04.2025 | 16:00 Uhr

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