Sonja Anders: Rückkehr ans Thalia Theater mit emotionaler Landkarte
Sonja Anders geht von Hannover zurück nach Hamburg ans Thalia Theater und freut sich riesig auf die Zeit. Ihr neuer Spielplan sei vergleichbar mit einer Landkarte, sagt sie. Wohin die führen soll, verrät sie im Interview.
Seit der Spielzeit 2019/2020 ist Sonja Anders Intendantin am Schauspiel Hannover. Damals kam sie aus Berlin, war dort als Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin am Deutschen Theater tätig. Nach Hannover brachte sie frischen Wind, überzeugte mit ihrem Enthusiasmus das Ensemble, begeisterte mit ihren kreativen Ideen das Publikum und entflammte immer wieder neu die Theaterszene - trotz Pandemie und Rotstift. Nach dem Ende der Spielzeitsaison 2025 verabschiedet sich Sonja Anders von Hannover und wechselt ans Hamburger Thalia Theater, um dort die Nachfolge von Joachim Lux anzutreten. Über ihre pläne für Hamburg redet sie in NDR Kultur à la carte mit Katja Weise.
Sie kennen das Haus in Hamburg am Alstertor sehr gut. Sie sind von 2000 bis 2009 dort Dramaturgin und zuletzt Chefdramaturgin gewesen. Als Sie sich den Beschäftigten am Haus vorgestellt haben, waren gar nicht so wenige darunter, die Sie schon kannten. Gibt es für Sie - auch wenn Sie jetzt lange nicht dort gearbeitet haben - eine Ecke oder einen Ort, der für Sie ganz wichtig im Thalia Theater ist?
Sonja Anders: Als ich der Mitarbeiterschaft, jetzt als Intendantin, vorgestellt wurde, schaute ich in die Gesichter und habe gedacht, es ist verrückt, die sind alle noch da. Sie haben sich auch in den 16 Jahren gar nicht so verändert. Ich bin einfach immer wieder ein Fan dieses Zuschauerraums mit all diesen Arbeitenden, den Expertinnen und Experten dort, die sich mit Licht, Ton, Bühne und mit Malerei auskennen. Dann merke ich, wie ich entspanne und denke, deshalb bin ich da. Weil wir dieses Werk gemeinsam fabrizieren, was am Ende in der Premiere auf der Bühne steht.
Sie schreiben im Spielzeitheft, ein Spielplan sei vergleichbar mit einer Landkarte. Ich finde das ein sehr schönes Bild. Das heißt, wir begeben uns mit Ihnen auf die Reise und schauen, welche Gegenden Sie für uns und mit uns entdecken wollen. Wie muss ich mir das vorstellen? Gehen wir mal davon aus, Sie haben jetzt eine imaginäre Karte ausgebreitet. Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?
Anders: Im Grunde ist es eine Landkarte der Gefühle und der Geschichten aus dem jetzt. Es ist eine Landkarte, die versucht, utopische Räumen zu betreten. Ich bin ein totaler Fan davon, dass man sich Utopien auch wieder traut. Wir sind so sehr beschäftigt mit Dystopien, mit düsteren Szenarien und man kann sich manchmal gar nicht vorstellen, dass Dinge gut ausgehen. So eine Landkarte würde ich schon gerne zeichnen. Nichtsdestotrotz müssen die Themen unserer Zeit dort vorkommen, und auch die Themen aus Hamburg. Das sind Aufgaben, die vor einem liegen, wenn man sich solch einer Stadt, solch einem Land oder solch einer Zeit widmet. Da hoffe ich, dass die Zuschauenden in kleine, zarte Dörfer und in Großstädte mitgehen. So wie bei "Taxi Driver", wo der Schmutz auf der Straße eine Aufgabe ist, und der muss man sich vielleicht gemeinsam annehmen.
Sonja Anders, Sie stehen für feministisches und diverses Theater. Abgesehen von den feministischen Themen, gibt es in der Tat viele andere Themen. Neben Geschlechtergerechtigkeit geht es auch um permanente Überforderung, die viele von uns im Alltag, angesichts der krisenhaften Zeiten, spüren. Es geht um Machtmissbrauch, es geht um Rassismus, Krieg und Lügen in Zeiten des Demokratiezerfalls. Hatten Sie so etwas wie einen Kompass bei der Entwicklung der Spielzeit?
Anders: Ja, durchaus. Es gibt einen Kompass. Es gibt den unbedingten Glauben daran, dass so eine Landkarte von Gefühlen geleitet ist. Manchmal ist es Wut. Manchmal ist es der Wunsch, zu lachen, über die Dinge zu lachen und sich zu erheben, auch mal auf sich zurück zu blicken oder runter zu blicken und das Ganze nicht ganz so ernst zu nehmen. Aber oftmals ist es natürlich auch die Sehnsucht danach, in wirkliche Begegnungen reinzugehen, auf der Bühne, aber auch mit dem Publikum. Ich glaube, dass das Publikum heutzutage so ausdifferenziert ist. Es gibt gar nicht mehr ein Publikum. Wir haben im Grunde für ganz unterschiedliche Bedarfe etwas auf dieser Landkarte bereitgestellt. Aber es geht immer entlang am Jetzt. Das finde ich wichtig. Selbst wenn wir über Hannah Arendt arbeiten, geht es natürlich darum: Wie gehen wir heute mit dem großen Thema Antisemitismus, aber durchaus auch mit Intellektuellen um? Was heißt eigentlich Kulturkampf? Das ist ein Thema, das mir sehr wichtig ist, weil ich glaube, es ist ein Begriff der Rechten, der auch gegen intellektuelle Linke genutzt wird und mit dem ich mich auseinandersetzen will. Dieses Jetzt, das ist mir wichtig. Ich glaube, die Menschen brauchen das. Aber eben nicht in der Hinsicht, als dass man alles nur als düster zeichnet, wie es vielleicht im Moment aussieht, sondern auch durchaus Auswege und neue Melodien findet.
Das Gespräch führte Katja Weise. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
