Sonja Anders über Correctiv-Enthüllungen: "Müssen uns in Allianzen finden"
Am Mittwoch wurden die "Correctiv"-Enthüllungen in einer Szenischen Lesung am Berliner Ensemble auf die Bühne gebracht. Viele Theater in Deutschland haben die Veranstaltung im eigenen Saal - bei kostenlosen Eintritt. NDR Kultur hat im Vorfeld mit der Intendantin des Schauspiels Hannover, Sonja Anders, gesprochen.
Das Medienhaus "Correctiv" hatte am 10. Januar von einem geheimen Treffen in Potsdam berichtet, bei dem sich AfD-Politiker im Herbst mit Neonazis und Großunternehmern getroffen haben. Dort planten sie die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland. Auch zwei CDU-Politiker, Mitglieder der Werteunion, waren dabei. Das Berliner Ensemble hat die Enthüllungen in einer szenischen Lesung auf die Bühne gebracht. Auf der Bühne gibt es auch neue Details: Vorwürfe gegen einen Teilnehmer, der Mitarbeiter der AfD-Fraktion ist. Er soll laut Correctiv Informationen über linke Aktivisten an "erlebnisorientiere Fußballkreise" weitergegeben haben, die diesen dann "handfest konfrontiert" hätten. Der AfD-Mitarbeiter bestreitet dies.
Die Enthüllungen zu diesem Geheimtreffen haben für Aufsehen gesorgt, haben viele Menschen schockiert. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie davon gehört haben?
Sonja Anders: Mich hat das nicht wirklich verwundert, dass sich Kräfte zusammentun, die unsere Demokratie angreifen wollen und vor allen Dingen die Vielfalt der Migration dabei im Blick haben. Gleichzeitig habe ich trotzdem gedacht: Das ist so theatral, dass es in Potsdam stattfindet, schon wieder in einer Villa, dass es aus meiner Sicht schon fast wie inszeniert wirkt.
Jetzt bringt Regisseur Kay Voges das Ganze in einer Szenischen Lesung auf die Bühne. Wissen Sie, was das Publikum da erwartet?
Anders: Im Grunde wissen die am Berliner Ensemble nicht, was da auf sie zukommt. Auch die können nur dem Correctiv gefolgt sein, das höchst geheim agiert hat. Weil sie sich in die Veranstaltung eingeschlichen haben. Es ist eine szenische Lesung. Sie wird live gestreamt, das ist ein ganz schöner Aufwand. Wir sind den Kolleg*innen in Berlin sehr dankbar dafür, dass sie das so schnell angegangen sind. Sie werden, ähnlich wie wir, nach einer Vorstellung senden. Ich denke, das ist mit der heißen Nadel gestrickt, wurde aber auch ein paar Tage vorbereitet.
Heute Abend sollen neue Erkenntnisse vorgestellt werden. So etwas würde normalerweise in einer Pressekonferenz passieren und dann irgendwann Wochen, Monate später eine künstlerische Auseinandersetzung damit geben. Was kann diese ungewöhnliche Form der szenischen Lesung bringen?
Anders: Ich glaube, dass sie vor allen Dingen eine große Öffentlichkeit bringt. Es ist wichtig, dass wir uns in Allianzen zusammenfinden, und zwar die Medien und die Kultur. Denn es sind die ersten, die auch immer auf dem Tapet stehen, wenn die AfD laut wird. Da viele Theater sich inzwischen anschließen, ich weiß nicht genau, wie viele, denn es sind gestern noch einige spontan dazugekommen, wird in vielen Städten in Anwesenheit dieses Thema verhandelt werden. Da hat Correctiv gut gehandelt, als sie gesagt haben, "Lass' uns das in den Städten machen, in Orten der Öffentlichkeit und nicht online". Wobei es auch online zu verfolgen ist, also nicht ausschließlich über die Medien.
Es passiert eine ganze Menge, es gibt viele Aufrufe zu Demonstrationen gegen Rechts. In Köln waren 30.000 Menschen auf der Straße, 1.600 in Schwerin. Glauben Sie, dass da gerade etwas in Bewegung gerät?
Anders: Absolut. Ich bin auch immer wieder zwischendurch positiv gestimmt, zwischen Entsetzen und Hoffnung. Es ist ein breites Feld. Ich finde aber, diese Mischung aus den hohen Wahlprognosen und gleichzeitig aber diesen entsetzlichen, antidemokratischen und faschistoiden Plänen der AfD weckt so manchen auf. Unsere Zivilgesellschaft ist eine starke. Ich will da nicht ganz die Hoffnung aufgeben, dass sich noch einige Menschen gut überlegen, ob sie wirklich diese Partei wählen wollen. Das ist ja deutschlandweit der Fall.
Heute nun dieser Aufschlag: das Streaming in vielen Theatern bundesweit. Was muss, was kann Theater darüber hinaus in den nächsten Monaten leisten?
Anders: Wir versuchen immer, viel über das Programm abzudecken. Wir haben die Stücke, die zu Zusammenhalt aufrufen. Aber wir haben auch viele Gesprächsreihen Diskussionen. Düzen Tekkal wird jetzt zu uns ins Schauspielhaus kommen - zu "Wir müssen reden" (am 31. Januar, Anm. d. Red). Das ist eine Reihe, die Sascha Chaimowicz mit uns macht. Ansonsten bieten wir den Zuschauenden viel Diskussionsstoff an. Bezeichnend ist, dass diese Reihe mit einer Suppe im Foyer endet, wo wir uns wirklich noch einmal austauschen mit den manchmal bis zu 600 Leuten, die da kommen. Das Bedürfnis ist sehr groß, und die Theater sind schon immer die Orte gewesen, wo man auf auch Politik manchmal verhandeln muss.
Das Gespräch führte NDR Kultur Moderator Jan Wiedemann.