50.000 Menschen bei Demo gegen Rechtsextremismus in Hamburg

Stand: 20.01.2024 15:06 Uhr

Unter dem Motto "Hamburg steht auf - gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke" haben am Freitagnachmittag Zehntausende Menschen auf dem Jungfernstieg demonstriert. Die Kundgebung wurde aus Sicherheitsgründen von den Organisatoren vorzeitig beendet.

Hintergrund des Abbruchs war, dass der gesamte Innenstadtbereich überfüllt war und Rettungskräfte nicht mehr durchkamen. Laut Polizei kamen 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu der Demonstration, aufgrund der Menschenmassen könne man aber die Menge schlecht schätzen. Laut DGB Hamburg, der zu den Organisatoren der Kundgebung gehörte, waren es 80.000 Demonstrierende. SPD-Politiker Kazim Abaci vom Verein Unternehmer ohne Grenzen, der die Demo ebenfalls mitorganisiert hatte, sprach zwischenzeitlich sogar von 130.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Erwartet worden waren rund 10.000.

Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Kulturschaffenden, Wirtschaftsverbänden, Parteien und Vereinen hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Hintergrund der Demo war das Geheimtreffen von Rechtsextremisten unter anderem mit AfD-Funktionären in Potsdam.

Versammlung vor dem Rathaus nach Demo-Ende aufgelöst

Menschen versammeln sich am Rande einer Demo gegen Rechtsextremismus auf dem Rathausmarkt. © Jonas Walzberg/dpa
Nach dem vorzeitigen Ende der Demo am Jungfernstieg versammelte sich eine Menschenmenge vor dem Hamburger Rathaus.

Nach dem vorzeitigen Ende der Kundgebung gab es stellenweise großes Gedränge. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlitten nach NDR Informationen Schwächeanfälle. Rund 1.000 Menschen strömten auf den Rathausmarkt. Dort waren Zusammenkünfte wegen einer AfD-Fraktionssitzung im Rathaus am Freitag verboten gewesen. Die Menge skandierte Parolen wie "Ganz Hamburg hasst die AfD". Die Polizei löste die unangemeldete Versammlung auf, indem die Beamtinnen und Beamten die einzelnen Menschengruppen ansprachen, die daraufhin abzogen.

Tschentscher attackiert AfD in seiner Rede

Zu Beginn der Kundgebung auf dem Jungfernstieg hatte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) auf einer Bühne vor der Europa Passage zu den Demonstrierenden gesprochen. Er attackierte die AfD dabei scharf. "Die Botschaft an die AfD und ihre rechten Netzwerke ist: Wir sind die Mehrheit und wir sind stark, weil wir geschlossen sind und weil wir entschlossen sind, unser Land und unsere Demokratie nach 1945 nicht ein zweites Mal zerstören zu lassen."

Durch Bekanntwerden des Potsdamer Treffens habe man erfahren, "dass Rechtsradikale in Deutschland einen Umsturz und eine systematische sogenannte Remigration von Millionen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes planen", sagte er. Das zeige, wie schnell Populismus in verfassungsfeindliche, Demokratie und Menschen verachtende Aktivitäten umschlagen könne. Schon das Wort Remigration sei eine empörende Verharmlosung, so Tschentscher weiter. "Sie wollen eine Deportation. Sie wollen die Zeit zurückdrehen, zurück in eine Zeit von Hass und Gewalt", sagte er.

Menschen versammeln sich bei einer Demo gegen Rechtsextremismus auf dem Jungfernstieg. © NDR Foto: Ines Bellinger
AUDIO: Demo gegen Rechtsextremismus: Jungfernstieg brechend voll (1 Min)

Fehrs: "Nein zu jeder Form von Rassismus"

"Kein Platz für Rassismus" steht auf einem Plakat bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Jungfernstieg. © Jonas Walzberg/dpa
"Kein Platz für Rassismus": Viele Demonstrierende setzten auch mit Schildern und Plakaten ein Zeichen.

Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sagte: "Als Kirchen werden und dürfen wir nicht schweigen - heute nicht und morgen auch nicht, denn christlicher Glaube und völkisches Denken passen nicht zusammen - genauso wenig wie Kreuz und Hakenkreuz." Wenn Vertreibungsfantasien die Runde machten, dann breite sich im Land ein kriechender nasser Frost aus. "Wir wollen nicht, dass das gesellschaftliche Klima kälter wird - auch das ein Klimawandel, den wir aufhalten müssen - jetzt." Es könne nur eine Antwort geben: "Nein zu jeder Form von Rassismus und Antisemitismus."

Viele Demonstrierende hatten Schilder dabei, auf denen etwa "Bunte Truppe statt braune Suppe" oder "Nie wieder ist jetzt" stand. Auf der Bühne sollten neben weiteren Rednerinnen und Rednern auch die Bands Meute und Kettcar sowie der Musiker Stefan Gwildis stehen.

Breite Unterstützung im Vorfeld der Kundgebung

Die Demonstration war vom Verein Unternehmer ohne Grenzen, der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland und dem DGB Hamburg organisiert worden. Viel Unterstützung kam auch aus der Politik. Die SPD-Fraktion hatte alle Hamburgerinnen und Hamburger aufgerufen, sich an der Demonstration zu beteiligen - ebenso Grüne und Linke. Auch Prominente wie die Hamburger Ehrenbürger Udo Lindenberg und John Neumeier unterstützten die Demo. Ebenso der Präsident des FC St. Pauli, Oke Göttlich, sowie Vertreterinnen und Vertreter des Hamburger Sportbunds. Der FC St. Pauli, der HSV-Supporters-Club und mehrere Amateurvereine hatten ebenfalls dazu aufgerufen, gegen rechte Hetze zu demonstrieren.

Demo sollte ursprünglich auf dem Rathausmarkt stattfinden

Ursprünglich sollte die Kundgebung auf dem nahegelegenen Rathausmarkt stattfinden. Doch die AfD-Fraktion meldete kurzfristig für Freitag eine Fraktionssitzung in der Hamburgischen Bürgerschaft an. Durch das Treffen im Rathaus kommt nach Angaben der Bürgerschaft das Hamburger Bannkreisgesetz zum Tragen, das Versammlungen und Demonstrationen in einem Umkreis von 350 Metern um das Parlament verbietet. Die Organisatoren der Kundgebung erklärten, diese Attacke der AfD überrasche nicht: "Die AfD nutzt demokratische Instrumente aus, um Grundrechte auszuhebeln. Sie zeigt einmal mehr, dass sie die Demokratie verachtet."

AfD weist Vorwürfe zurück

Die AfD wies das zurück. "Genauso wie die Demonstranten das Recht haben, sich zu versammeln, haben auch unsere vom Volk frei gewählten Abgeordneten das Recht, sich jederzeit als Fraktion zu versammeln, um ihre parlamentarische Arbeit vorzubereiten und zu besprechen", hieß es vom Parlamentarischen Geschäftsführer Krzysztof Walczak am Donnerstag. Es liege der AfD fern, die Versammlungsfreiheit zu beschneiden. Bei einer Kollision der beiden Versammlungen sei gesetzlich aber klar geregelt, dass das Parlament vor der Straße Vorrang habe.

Bundesweit finden Proteste statt

Angesichts des Geheimtreffens in Potsdam, über das zuerst das Recherchenetzwerk "Correctiv" berichtet hatte, haben bundesweit bereits Tausende Menschen gegen Pläne zur Ausbürgerung von Menschen mit Migrationsgeschichte protestiert. Am Freitag gingen auch in Kiel Tausende Menschen auf die Straße. Am Wochenende sind zum Beispiel in Niedersachsen und Bremen zahlreiche weitere Demonstrationen geplant. Auch in Schleswig-Holstein wollen Menschen in vielen Orten Flagge gegen Rechtsextremismus zeigen.

Weitere Informationen
Anita Lasker-Wallfisch (2019) © picture alliance/dpa Foto: Wolfgang Kumm

NS-Zeitzeugen mahnen: "Es ist immer leicht, nach rechts zu gehen"

Schon seit Jahren warnen Überlebende des Holocaust vor einem Wiederaufflammen rechtsextremer Tendenzen wie jetzt durch die AfD. mehr

Der Protestforscher Dr. Sebastian Haunss im Porträt. © Sebastian Haunss
6 Min

Politikwissenschaftler: Proteste als Gegenpol gegen den Rechtstrend

Bei den Protesten werde das gesellschaftliche Potenzial und die Vielfalt in Deutschland deutlich, sagte Prof. Dr. Haunss von der Uni Bremen auf NDR Info. 6 Min

Aster Oberreit vom Verein We A.R.E. e.V. in Hamburg. © We A.R.E. e.V.

Protest gegen rechts: "Wir müssen nachhaltig laut sein"

Der Hamburgerin Aster Oberreit machen sogenannte Remigrationspläne von Rechtsextremen Angst. Sie hofft, dass es die Gesellschaft nicht bei bloßer Empörung belässt. mehr

Auf dem Schweriner Marktplatz hat sich eine Menschenmenge versammelt, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. © Milad Kuhpai / NDR

Breiter Protest gegen rechts - eine dauerhafte Bewegung?

Tausende demonstrieren derzeit gegen die AfD und einen bekannt gewordenen Plan zur "Remigration". Was treibt die Menschen an, die dagegen auf die Straße gehen? mehr

Innensenator Andy Grote (SPD) spricht auf einer Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft im Rathaus. © Georg Wendt/dpa

Debatte über AfD-Verbot in der Hamburgischen Bürgerschaft

Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken forderten, ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu prüfen. Innensenator Grote äußerte sich skeptisch. (17.01.2024) mehr

Protestierende vor der AfD-Zentrale in Hamburg. © NDR Foto: Kai Salander

Nach AfD-Treffen mit Rechtsextremen: 2.000 Menschen bei Demo in Hamburg

Nach einem Geheimtreffen von Rechtsextremen mit AfD-Beteiligung wächst der Protest. In Hamburg wurde vor der AfD-Parteizentrale demonstriert. (13.01.2024) mehr

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 19.01.2024 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rechtsextremismus

AfD

Mehr Nachrichten aus Hamburg

Ein Riss ist in der Außenfassade zwischen der West- und Südseite der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg zu sehen. © dpa Foto: Gregor Fischer

Schäden am Hamburger Michel sind größer als vermutet

Die Hamburger Hauptkirche ist eine Dauerbaustelle. Und nun sind bei aktuellen Arbeiten noch mehr Schwachstellen entdeckt worden. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?